Skandal um die WM-Vergabe 2006 Was wissen wir? Was wissen wir nicht?

Düsseldorf · Im Skandal um die Vergabe der WM 2006 geht es mittlerweile nicht mehr "nur" um die dubiose Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro. WM-Organisationsboss Franz Beckenbauer wird nun auch mit einem versuchten Stimmenkauf in Verbindung gebracht. Wenige Fragen wurden bislang beantwortet, vieles ist noch im Dunkeln. Ein Überblick.

WM-Vergabe 2006: Fakten und offene Fragen um das "Sommermärchen"
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WAS WIR SICHER WISSEN

Wolfgang Niersbach ist zurückgetreten

Der DFB-Präsident trat zurück, nachdem ihm Hinweise über die Ermittlungsergebnisse der Agentur Freshfields vorgelegt worden sind. Er beteuert: "Ich habe mir persönlich nichts vorzuwerfen." Trotz seines Rücktritts kann er seine Ämter im Exekutivkomitee der Uefa und der Fifa weiter ausüben. Die Posten in den internationalen Gremien sind nicht mit der Funktion beim DFB verknüpft.

Im Etat des WM-OK fehlen 6,7 Millionen Euro

Dass das Geld im Jahr 2005 geflossen ist, ist belegt. Ungeklärt ist jedoch der Empfänger. Die ursprüngliche Verwendung der Summe als Beitrag für ein Kulturprogramm kam nicht zum Tragen. Es herrscht immer noch Unklarheit, wofür die Summe gezahlt wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt deshalb wegen Steuerhinterziehung gegen Niersbach, dessen Vorgänger Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt. Dieser war geschäftsführender Vizepräsident des OK und bis 2007 Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bundes.

Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft

Den Beschuldigten wird vorgeworfen, "die Einreichung inhaltlich unrichtiger Steuererklärungen veranlasst" und damit Körperschafts- und Gewerbesteuern sowie den Solidaritätszuschlag für das Jahr 2006 "in erheblicher Höhe" hinterzogen zu haben. Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler soll eine Zahlung des OK im Frühjahr 2005, die als Kostenbeteiligung an der Fifa-Gala deklariert war, als Betriebsausgabe steuermindernd geltend gemacht worden sein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Zahlung in Wirklichkeit einem anderen Zweck hatte. Damit wäre sie keine abzugsfähige Betriebsausgabe mehr gewesen. Die Zahlungszusage des OK vom 19. April 2005 wurde von Zwanziger und Schmidt unterzeichnet.

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WAS WIR NOCH NICHT SICHER WISSEN

War die WM 2006 gekauft?

Diese zentrale Frage der WM-Affäre ist bis dato nicht eindeutig geklärt. Als der "Spiegel" zum ersten Mal berichtete, dass die WM 2006 mutmaßlich mit schwarzen Kassen gekauft wurde, kündigte der DFB umgehend rechtliche Schritte gegen das Nachrichtenmagazin an. Doch Rainer Koch, der nach dem Rücktritt von Niersbach gemeinsam mit Rainer Rauball dessen Nachfolge angetreten hat, sagte nun, dass der DFB von diesen juristischen Schritten absehen wird. Die Entscheidung legt nahe, dass die externen Ermittler der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer Hinweise gefunden haben könnten, dass die "Spiegel"-Berichterstattung um das "Sommermärchen" nicht falsch ist.

Was geschah mit den 6,7 Millionen Euro?

Die 6,7 Millionen Euro seien an die Fifa gezahlt worden, um später 170 Millionen zu erhalten, erklärte Niersbach auf einer Pressekonferenz, die mehr Fragen als Antworten hinterließ. Die Fifa reagierte auf diese Aussagen überrascht. Bislang gibt es für die ominösen 6,7 Millionen weder Belege noch einen Zahlungseingang bei der Fifa. Auch, ob das Geld später tatsächlich an den mittlerweile verstorbenen Adidas-Boss Louis-Dreyfus zurückgezahlt wurde, ist nicht gänzlich geklärt. Klar ist nur, dass die Zahlung vom WM-OK zur Tarnung als Beitrag für eine Fifa-Gala deklariert wurde, die später nie stattfand. Ob die Geldflüsse durch Staatsanwaltschaft oder die vom DFB beauftragen Wirtschaftsjuristen jemals komplett geklärt werden können, bleibt abzuwarten.

Woher kamen die 6,7 Millionen Euro ursprünglich?

Alles deutet darauf hin, dass sie von Dreyfus vorgestreckt wurden. Zunächst hatte Beckenbauer den Betrag aus seinem Privatvermögen bereitstellen wollen, sein mittlerweile ebenfalls verstorbener Berater Robert Schwan riet ihm aber davon ab.

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Was wusste Franz Beckenbauer?

Als Präsident des deutschen WM-Organisationskomitees trug Beckenbauer die Gesamtverantwortung für die Vorbereitung und Durchführung der WM-Endrunde in Deutschland. Ein brisanter Vertragsentwurf trägt die Unterschrift des damaligen Bewerbungskomitee-Präsidenten Beckenbauer. Das bestätigte DFB-Interimspräsident Rainer Koch. Als Vertragspartner habe der inzwischen lebenslang gesperrte Jack Warner (Trinidad und Tobago), Ex-Präsident des Verbands für Nord- und Zentralamerika sowie der Karibik (Concacaf), unterzeichnet. Das Schreiben wurde am 2. Juli 2000 unterzeichnet, vier Tage später wurde die Weltmeisterschaft an Deutschland vergeben. Es gebe aber "keine Erkenntnis, ob die Vereinbarung vollzogen worden ist", sagte Koch. Zudem sei keine Aussage zulässig, "dass dieser Vertrag zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten von Jack Warner geführt hat".

Welche Rolle spielte "Schattenmann" Fedor Radmann?

Der Bayer war bis Juni 2003 OK-Vize-Präsident und dabei zuständig für Marketing, Sponsoring und Kultur. Auch sein Name soll in dem brisanten Dokument auftauchen. Er unternahm mit Beckenbauer in der WM-Bewerbungsphase zahlreiche Reisen, um für Deutschland auf WM-Stimmenfang zu gehen und gilt bis heute als Einflüsterer und Schattenmann des "Kaisers". 2003 geriet er durch Berater-Verträge mit der Kirch-Gruppe und Adidas unter Druck. Diese Verbindungen legte er erst auf Drängen des OK offen. Daraufhin hatte Radmann um sein Ausscheiden aus dem operativen Geschäft gebeten. Der als Strippenzieher und Lobbyist im internationalen Sport bekannte Bayer fungierte allerdings weiter als Berater des WM-OKs für die Bereiche Marketing und Tourismus und als Sonderbeauftragter in der neuen Kunst und Kultur GmbH.

Welche Rolle spielt Jack Warner?

Ihm sollen in dem brisanten Dokument Leistungen durch den DFB zugesichert worden sein. Nach Angaben aus DFB-Kreisen soll es unter anderem um Freundschaftsspiele und Tickets gegangen sein. Warner war Ende September lebenslang von der Fifa-Ethikkommission gesperrt worden. Der Funktionär aus Trinidad und Tobago galt als eine der korruptesten Figuren im Weltfußball und wurde von der Kammer als "Drahtzieher von Systemen, die die Gewährung, Annahme und den Empfang verdeckter und illegaler Zahlungen beinhalteten" bezeichnet. Warner war vor 15 Jahren eines von 24 stimmberechtigten Mitgliedern der Fifa-Exekutive. Eine Verbindung zu Warner würde Beckenbauer in große Erklärungsnot bringen. Bislang hatte Beckenbauer zwar den "Fehler" eingeräumt, auf einen Vorschlag der Fifa-Finanzkommission eingegangen zu sein, einen Stimmenkauf aber vehement abgestritten.

Welche Verbindung besteht zu Mohamed Bin Hammam?

In den von der Frankfurter Staatsanwaltschaft beim DFB beschlagnahmten Akten taucht laut "SZ" der Name des katarischen Strippenziehers Mohamed Bin Hammam auf. In dem Papier über eine Unterredung des früheren DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt mit Kollegen aus dem Organisationskomitee soll auch eine Zusatzvereinbarung der WM-Macher mit der Fifa über zehn Millionen Schweizer Franken (6,7 Millionen Euro) notiert sein — der zuständige Ansprechpartner für den Deal bei der Fifa-Finanzkommission: Bin Hammam.

Auf den ersten Blick war Bin Hammam ordentliches Mitglied der Finanzkommission. Allerdings steckt der Strippenzieher in so ziemlich jeder Korruptionsaffäre bei der Fifa drin. Damals, im Jahr 2003, wusste das angeblich aber noch niemand. Gingen die 6,7 Millionen Euro tatsächlich über den Fifa-Umweg an den katarischen Geschäftsmann, kann damit so ziemlich alles passiert sein — bis hin zur Bestechung stimmberechtigter Mitglieder der Fifa-Exekutive.

Seit wann ist Niersbach informiert?

Niersbach übernahm die politische Verantwortung für die Affäre und damit "für Ereignisse rund um die WM 2006, wo ich mich persönlich nicht in der Verantwortung fühle und selber sage, ich habe dort absolut sauber und gewissenhaft gearbeitet", wie er betont. Von den 6,7 Millionen Euro will er nach eigener Aussage erst im Sommer 2015 erfahren haben. Für den DFB arbeitet er in verschiedenen Funktionen schon seit 1988.

Leidet die Bewerbung für die EM 2024 darunter?

Die Bundestags-Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) stellte die notwendige Unterstützung der Politik für die DFB-Kandidatur als Gastgeber des EM-Turniers zuletzt infrage. "Ich denke nur an das Thema Steuerbefreiungen, die dann erteilt werden müssen. Bestimmte Großereignisse werden von den internationalen Verbänden tatsächlich nur vergeben, wenn vorher entsprechende Bundesgarantien auch gegeben werden. Das ist immer im Einzelfall zu beurteilen. Aber im Moment schauen wir natürlich, was den Fußball angeht, schon besonders genau hin", sagte Freitag in der Magazinsendung "sport inside" im WDR-Fernsehen.

Leidet Hamburgs Olympia-Bewerbung darunter?

In Verbindung mit dem Dopingskandal in der Leichtathletik ist der Imageverlust für den Sport immens. Das dürfte mit Sicherheit Einfluss auf das Referendum am 29. November 2015 haben. Auch Alfons Hörmann schließt mögliche negative Auswirkungen der DFB-Krise auf die Hamburger Olympia-Bewerbung nicht aus. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sagte in der vergangenen Woche in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt", dass die Debatte über die Vergabe der WM 2006 für die Hamburger Olympia-Pläne "nicht hilfreich ist — da mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube — und dass wir alle sie uns gern erspart hätten".

Wer wird Nachfolger von Niersbach?

Rainer Koch und Reinhard Rauball haben kommissarisch die Amtsgeschäfte übernommen. Ein Nachfolger soll bis zur EM 2016 gefunden werden. Neben Koch und Rauball gelten DFB-Schatzmeister Reinhard Grindel und DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock als aussichtsreichste Kandidaten. Heribert Bruchhagen und Oliver Bierhoff stehen nach eigenen Aussagen nicht zur Verfügung.

Wird es Regressansprüche durch Südafrika geben?

Südafrika verlor 2000 die Abstimmung gegen Deutschland mit einer Stimme Unterschied, erhielt dann aber den Zuschlag für die WM 2010. Der südafrikanische Fußball-Verband Safa wird sehr genau verfolgen, ob dem DFB ein Stimmenkauf nachgewiesen werden kann. Allerdings ist auch die WM 2010 belastet, die in Südafrika stattfand.

(mit Agenturmaterial)
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