DFB-Elf offenbart viele Defizite Der Weltmeister muss endlich den Schalter umlegen

Düsseldorf · Die jüngsten Auftritte des deutschen Nationalteams sahen nicht gerade vielversprechend aus. Der Bundestrainer bleibt gelassen. Eine Bestandsaufnahme.

 Mats Hummels war beim Spiel gegen Saudi-Araien sichtlich unzufrieden.

Mats Hummels war beim Spiel gegen Saudi-Araien sichtlich unzufrieden.

Foto: AFP/PATRIK STOLLARZ

Die Alphatiere finden, dass es Zeit ist, mal vorsichtig in die Runde zu knurren. Weltmeister Mats Hummels ist irritiert darüber, wie viel Unruhe fußballerische Riesenzwerge wie Saudi-Arabien in den Verteidigungslinien des Fußball-Giganten Deutschland anrichten können. „Ich war überrascht, dass wir es nicht hinbekommen, den Ball zu sichern, in unserer Formation zu stehen und Konter abzusichern“, sagte er nach dem mageren 2:1-Erfolg in Leverkusen. Und Sami Khedira, wie Hummels ein gekröntes Haupt im Weltsport, urteilte: „In der zweiten Halbzeit haben wir so gut wie alles vermissen lassen. So wird es schwer.“

Er hätte auch sagen können: „So wird das nichts mit der Titelverteidigung bei der Weltmeisterschaft in Russland.“ So laut aber knurren die großen Tiere noch nicht. „Diese Mannschaft“, erklärte Khedira dann doch in gebotener Milde, „hat großes Potenzial. Das wird sie auch abrufen.“

„Wir sind eine Turniermannschaft“
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Foto: AFP/LEON KUEGELER

Das hat sie allerdings schon längere Zeit nicht mehr getan, jedenfalls nicht mehr 90 Minuten am Stück. Die beiden abschließenden Testspiele vor der Abreise nach Moskau (1:2 in Österreich und eben jenes 2:1 gegen Saudi-Arabien) verbreiten für sich gesehen wenig Zuversicht auf eine zeitnahe Besserung. Nicht nur die B-Elf, die in Österreich randurfte, sondern auch die A-Mannschaft, die Löw in Leverkusen auf den Rasen schickte, offenbarte Abstimmungsprobleme, läuferische Schwächen, viele Unkonzentriertheiten im Abschluss und ließ den unbedingten Willen zum Erfolg vermissen.

Da muss schon ein tiefenentspanntes Wesen wie der Bundestrainer her, um der Nation den Glauben an ihre Elf zurückzugeben. „Ich mache mir überhaupt keine Sorgen“, sagte Joachim Löw, und es klang überhaupt nicht wie das laute Pfeifen im dunklen Wald. Diesen Satz sagte er auch schon im vergangenen Herbst nach dem 2:2 gegen Frankreich, bei dem die Franzosen der deutschen Mannschaft ein paar Tricks und Angriffsvarianten gezeigt hatten, die bei Löws Schützlingen noch ziemlich unbekannt waren.

Derartige kleine Lektionen passen in Löws Schulungsprogramm – ebenso wie die erwartbare Leistungsdelle nach dem kräftezehrenden Trainingslager. „Bis zum Sonntag zum ersten Spiel gegen Mexiko werden wir mehr Power haben“, versprach der Bundestrainer. Und er darf zu Recht darauf verweisen, dass es ihm in zwölf Jahren in der Rolle des Cheftrainers immer gelungen ist, seine Mannschaft zum richtigen Zeitpunkt auf das richtige Niveau zu bringen. Das ist ein wesentlicher Grund für seine geradezu unerschütterliche Ruhe.

Selbstverständlich kann das, was seine Auserwählten in den Freundschaftsspielen gegen Brasilien (0:1), Österreich und Saudi-Arabien auf den Platz brachten, Löws Ansprüchen nicht genügen. Er hat bereits während der überaus unkomplizierten WM-Qualifikationsserie „die absolute Weltklasse“ zum Maßstab erhoben. Davon waren zuletzt auch seine Besten noch ein ordentliches Stück entfernt. Und sie müssen sich anstrengen, den Schalter endlich umzulegen.

Löw setzt nun auf den Lerneffekt und auf das Talent seines Teams, auch über die Anforderungen eines Turniers zu einer Einheit zu finden. Solche Prozesse hat er bei den vergangenen großen Turnieren ebenfalls mit großem Geschick gesteuert. Seine Mannschaften hatten sicher nicht auf jeder Position den besten Spieler der Welt, aber ihr Gefüge passte, und die Teamarbeit glich so manchen Mangel perfekt aus.

Zumindest auf einer Position gibt es überhaupt keinen Mangel. Selbst wenn Manuel Neuer nicht rechtzeitig fit geworden wäre, ist die Stelle des Torwarts in Deutschland traditionell bestens besetzt. Nun ist Neuer tatsächlich wieder im Vollbesitz seiner gelegentlich ins Sagenhafte reichenden Kräfte, und da hat Löw einen, der den Kollegen die nötige Sicherheit gibt und der die Gegner mit seiner Autorität einschüchtert. Neuer ist, anders als so mancher Mitspieler, in WM-Form.

Bei den anderen wird Löw das schon noch hinkriegen, das scheint die Grundstimmung hinter dem leisen Knurren der Alphatiere zu sein. Und wer noch eine Bestätigung dafür benötigt, dass der Trainingsplan eine Woche vor einem großen Turnier eher selten die Fähigkeit zu (Achtung: Jogi-Deutsch) „högschder“ Leistung vorsieht, der muss nur die Ergebnisse anderer Testspiele anschauen. Spanien mühte sich zu einem 1:0 über Tunesien, Frankreich gelang erst spät der Ausgleich zum 1:1 gegen die USA – nicht gerade eine Fußball-Supermacht. Auch für diese Favoriten ist der Titel damit noch nicht verspielt.

(pet)
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