Weltmeister-Trainer Löw - ein Mann geht seinen Weg

Rio De Janeiro · Der Bundestrainer hat sich und das Spiel verändert, aber er ist sich treu geblieben. Es gibt zu ihm noch keine sinnvolle Alternative.

Joachim Löw bei der EM 2021 – Freiburger, DFB-Pokalsieger, Weltmeister
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Das ist Joachim Löw

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Schon vor der WM hat Joachim Löw seinen Vertrag als Bundestrainer bis 2016 verlängert. Und er wird als Wunschkandidat des DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach betrachtet. Das sind schon mal zwei gewichtige Argumente für einen Verbleib im Amt. Das dritte: Er hat beim Turnier in Brasilien bewiesen, dass er weiter hohen Ansprüchen gerecht wird. Vor allem, weil er sich andere Meinungen anhört und daraus die richtigen Schlüsse ziehen kann. Diese Meinungsbildung ist manchmal ein quälend langsamer Prozess, weil Löw es überhaupt nicht liebt, klare Entscheidungen zu treffen, sondern lieber dem freien Spiel der Kräfte vertraut. Aber er trifft sie endlich. Und das macht ihn groß.

Seine Laufbahn beim DFB schien lange eine lupenreine Erfolgsgeschichte. Während Jürgen Klinsmann in der Aufbruchzeit zwischen 2004 und dem Sommermärchen 2006 den Verband und den deutschen Fußball mit reichlich öffentlichem Getöse umkrempelte, galt Löw als der Stratege, der Architekt einer neuen deutschen Spielweise. Zu Klinsmanns Zeiten überraschte die DFB-Elf mit ihrem Mut, ihrer Frische, ihrer Abenteuerlust.

Als Löw dann selbst das Sagen hatte, arbeitete er den Fußball mit viel Geschick noch einmal um. Sein Grundsatz klang unumstößlich, und er war so richtig was für die vielen Romantiker im Land, die es leid waren, sich für errumpelte, erkämpfte und extrem schmucklose Siege zu schämen. Dieses Gefühl hatte viele Jahre vor Klinsmann/Löw das Verhältnis zu den Auftritten der Nationalmannschaft geprägt. Löw erklärte: "Ich liebe den schönen, den offensiven Fußball. Weltmeister wird nur, wer schönen Fußball spielt." Das war Musik in den Ohren einer erstaunten Öffentlichkeit, die sich in nie gekannter Art mit der Nationalmannschaft identifizierte.

WM 2014: Weltmeister! Deutschland jubelt nach Schlusspfiff
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Weltmeister! Deutschland jubelt nach Schlusspfiff

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Und Löws Team zahlte zurück. Mit einer bemerkenswerten Vorstellung bei der WM 2010 in Südafrika kam eine junge Mannschaft, die ohne ihren früheren Leitwolf Michael Ballack antreten musste, auf Platz drei. Die Fachwelt begeisterte sich für Löws Stil.

Aber es wuchsen auch die Ansprüche. Platz zwei bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz wurde ebenso wie der dritte Rang bei der WM in Südafrika als Nachweis großer Fähigkeiten und der Entwicklung eines großen Teams betrachtet. Die logische Folge daraus aber war, dass dieses große Team irgendwann die Reife für einen Titel haben sollte.

Mit diesem Anspruch schickte Deutschland Löw und seine Mannschaft schon in die Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine. Tatsächlich wirkte der Fußball nun reifer, abgeklärter und deshalb ein kleines bisschen langweiliger. Das nahm das Volk in dankbarer Erwartung eines ersten Titels für die vielleicht begabteste deutsche Mannschaft aller Zeiten hin.

WM 2014: Joachim Löw jubelt nach WM-Titel mit Pokal
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Löw jubelt nach WM-Titel mit Pokal

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Aber bei dieser EM fiel der erste Schatten auf Löws Erfolgsgeschichte. Er leistete sich im Halbfinale gegen Italien grobe taktische Fehler, seine Mannschaft verlor, und Löw wurde zum ersten Mal in seiner so ruckelfreien Laufbahn hart kritisiert. So richtig erholt hat er sich davon nicht. Es hat sein Verhalten deutlich verändert.

Löw ist unnahbarer geworden, er reduziert seine öffentlichen Auftritte und gibt zumindest ganz zart zu erkennen, dass ihn die Angriffe getroffen haben. Zugeben würde er es nicht. Es scheint aber, als sei auch in der Mannschaft vorübergehend der Glaube an Löws taktische Sicherheit in diesem verlorenen Halbfinale erschüttert worden. Auch die seltsame Abwesenheit des Trainers am Spielfeldrand, als im WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden in Berlin eine 4:0-Führung noch verspielt wurde (Endstand 4:4), trug nicht dazu bei, diesen Glauben völlig wiederherzustellen.

Ins WM-Turnier ging Löw mit seiner Mannschaft trotzdem als einer der großen Favoriten, weil die Qualifikation fast (Ausnahme Schweden) makellos war und weil sein Team nach wie vor die größte Sammlung von Talenten aufweist, die je zugleich für Deutschland Fußball spielen durfte. Und erst in Brasilien kehrte Löw in die Erfolgsspur zurück. Er ging dafür einen Umweg. Weil Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira, wesentliche Größen in seinem Konzept, in die Vorbereitung humpelten, beförderte er Philipp Lahm ins Mittelfeld, und er baute sein System komplett auf 4-3-3 um. Dazu erfand er eine Abwehrkette aus vier Innenverteidigern, "weil sie schon auch die gelernte Verantwortung haben, die Mitte zuzumachen". Zum ersten Mal in der Ära Löw galt nicht mehr das Prinzip des Schönen, Guten, Feinen, das die Brasilianer "O Jogo bonito" nennen, es zählte das Ergebnis. "Wir müssen nicht fantastisch spielen", sagte Löw, "wir müssen gewinnen." Gefallen hat ihm dieses Zugeständnis an die Wahrheit eines WM-Turniers nicht, es zog ihm Furchen ins Gesicht. Dennoch hat sein Team beim 7:1 gegen Brasilien fantastisch gespielt. Das glättete die Furchen, der Fußball aber blieb eine viel ernstere Sache als noch 2010.

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Im Lauf des Turniers hat Löw noch einmal alles umgekrempelt. Er kehrte zum 4-2-3-1 zurück und gehorchte der taktischen Vernunft, als er Lahm wieder zum Verteidiger machte. Beide radikalen Umbaumaßnahmen könnten böse Menschen als Ergebnisse einer um sich greifenden Torschlusspanik bezeichnen. Gute Menschen nennen sie flexibles Denken und die Fähigkeit, anderen zuzuhören. Es hat von beidem etwas.

Weil der Erfolg in diesem Geschäft der entscheidende Maßstab ist, hat Löw sicher vieles richtig gemacht. Es ist nicht mehr wichtig, ob er dazu getrieben wurde oder ob ihn eigene Einsicht bewegte. Das Ergebnis zählt. Deshalb gibt es zum Bundestrainer Löw immer noch keine sinnvolle Alternative. Vor dem Finale hat er einen schönen Satz gesagt: "Der deutsche Fußball hat eine Zukunft, diese Mannschaft hat eine Zukunft." Und dieser Trainer hat eine Zukunft.

(RP)
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