Rücktritt von Philipp Lahm Deutschlands Musterprofi tritt ab

München/Düsseldorf · Für die Nationalmannschaft ist der Abgang von Kapitän Philipp Lahm ein tiefer Einschnitt. DFB-Präsident Niersbach will den 30-Jährigen beim Länderspiel gegen Argentinien am 3. September in Düsseldorf angemessen verabschieden.

Philipp Lahm – Top-Außenverteidiger, Musterschüler, Weltmeister-Kapitän
25 Bilder

Das ist Philipp Lahm

25 Bilder

Es gibt da diesen Moment aus dem Jahr 2006. Noch ahnt das deutsche Fußball-Publikum nichts vom Sommermärchen, das ihm bevorsteht. Im Spielertunnel der Münchner Arena warten die Profis auf die Eröffnungspartie der Weltmeisterschaft. Sie trippeln vor der Begegnung mit Costa Rica ungeduldig wie aufgeregte Rennpferde auf der Stelle, die Augen flackern. Nur bei einem nicht. Mittendrin steht Philipp Lahm, er schaut schon mal raus auf den Platz, und er pfeift fröhlich die Melodie des Liedes, das draußen zur Einstimmung gespielt wird. Lahm sieht aus wie ein Junge, der zum Spielen geht, man kann ihn sich gar nicht anders als in kurzen Hosen vorstellen.

Das geht immer noch nicht, obwohl er inzwischen 30 Jahre alt ist, hochdekorierter Kapitän der Nationalmannschaft und des Rekordmeisters Bayern München, seit dem zurückliegenden Wochenende Weltmeister. Lahm sieht nach wie vor aus wie ein großer Junge. Aber er pfeift wohl nicht mehr mit, wenn im Stadion die Einlaufmusik erklingt. Er ist erwachsener geworden. Gestern hat er die ganze Welt überrascht.

Er erklärte seinen Rücktritt aus der DFB-Auswahl. Montag vor dem Rückflug aus Brasilien, am Tag nach dem Titelgewinn, habe er seine Entscheidung Bundestrainer Joachim Löw mitgeteilt. Und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach berichtete von einem Telefonat mit dem Kapitän. "Ich habe in dem Gespräch sehr schnell gemerkt, dass es aussichtslos ist, ihm diese Entscheidung ausreden zu wollen", sagte Niersbach, "er war in zehn Jahren bei der Nationalmannschaft nicht nur ein herausragender Spieler, sondern immer ein absolutes Vorbild."

Stimmen zum Rücktritt von Philipp Lahm
Infos

Stimmen zum Rücktritt von Philipp Lahm

Infos
Foto: afp, EJ

Und weil das so ist, stellte Niersbach einen 114. Länderspieleinsatz am 3. September in Düsseldorf gegen Argentinien in Aussicht. Das müsse der Bundestrainer entscheiden, sagte er: "Wir sind es Philipp vom DFB schuldig, ihm nach diesen zehn tollen Jahren in der Nationalmannschaft einen Superabschied zu bereiten."

Lahms Stern geht beim deutschen Sommermärchen auf. Damals verteidigt er auf der linken Seite, er wird von den Experten früh und zu Recht in die Weltklasse einsortiert. Bezeichnend für die allgemeine Einschätzung ist die Bewertung seines großen Förderers Hermann Gerland, der ihn bei den Amateuren der Bayern betreute. "Der Philipp", sagt der knorrige Westfale Gerland, "kann gar nicht schlecht spielen."

Lahm sammelt mit den Bayern Titel, wird mit der Nationalmannschaft zweimal WM-Dritter, Halbfinalist und Zweiter der Europameisterschaft 2008, er gewinnt mit den Münchnern die Champions League und ist seit Sonntag nach einem 1:0-Erfolg im Endspiel gegen Argentinien Weltmeister. Lahm hat links verteidigt, rechts verteidigt, im Mittelfeld gespielt und kaum einmal ein Spiel verpasst. Die Fehlpässe einer Saison sind an zwei Händen abzuzählen.

Twitter-Reaktionen zum Rücktritt von Philipp Lahm
Infos

Twitter-Reaktionen zum Rücktritt von Philipp Lahm

Infos
Foto: afp, ej

Er verlässt die Nationalmannschaft auf dem Höhepunkt. Aber er hätte sich auch bei einem anderen Turnierausgang so entschieden. "Der Entschluss ist in mir während der letzten Saison gereift", sagte er. Natürlich ist er glücklich, dass er mit dem Weltpokal in der Hand geht.

Seine Entscheidung ist eine große Überraschung, weil Lahm einfach immer noch nicht der Typ ist, dem die nervliche und körperliche Last des Profifußballs auf dem höchsten Niveau anzusehen ist. Er steckt 50 Spiele in der Saison äußerlich ungerührt und unbeeindruckt weg. Und auch wenn er keine fröhlichen Liedchen beim Auflaufen mehr pfeift, wirkt sein Spiel leicht, unangestrengt.

Das ist es aber sicher nicht mehr. Lahm hat in München und in der Nationalmannschaft Verantwortung übernommen, das kann durchaus eine Last sein. Auch wenn der kleine Mann von flachen Hierarchien schwärmt, wird er als Führungsperson wahrgenommen. Und er will das auch.

Das hat er unter anderem vor vier Jahren in Südafrika unterstrichen, als er mit all seinem diplomatischen Geschick den einstigen Platzhirsch Michael Ballack aufs Altenteil schickte. Führungspersonen aber dürfen sich keine Schwächen erlauben, sie stehen unter Beobachtung, und Lahm hat in Brasilien einen wahren Satz gesagt: "Hierarchien bilden sich immer noch auf dem Platz heraus."

Aus dem Fußball verschwindet er nicht. Seinen Vertrag in München hat er gerade bis 2018 verlängert.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort