Staatsfeinde in der Türkei Sportstars Kanter und Sükür hätten kein Foto mit Erdogan gemacht

New York/Köln · Mesut Özil und Ilkay Gündogan posierten mit Recep Tayyip Erdogan, andere türkischstämmige oder türkische Sportler wären nie auf eine solche Idee gekommen. Etwa Enes Kanter, für den NBA-Basketballer ist der Staatspräsident ein rotes Tuch.

 NBA-Star Enes Kanter gilt in der eigenen Heimat als Staatsfeind.

NBA-Star Enes Kanter gilt in der eigenen Heimat als Staatsfeind.

Foto: AP/Julie Jacobson

Händeschütteln mit Recep Tayyip Erdogan? Posieren für gemeinsame Fotos, auf Einladung? Als Mitbringsel Trikots mit Widmung? Was Mitte Mai für Mesut Özil und Ilkay Gündogan kein Problem war, hätten andere türkischstämmige oder türkische Sportler nie und nimmer mitgemacht. Etwa Hakan Sükür, Ünsal Arik oder Enes Kanter.

Der türkische Staatspräsident Erdogan ist für sie alle ein rotes Tuch, ganz besonders für Kanter. Vor neun Jahren war der NBA-Profi aus der Türkei in die USA gegangen, eine Rückkehr gibt es für den Basketballer von den New York Knicks vorerst nicht. Sein Pass wurde in der Heimat für ungültig erklärt, die Staatsanwaltschaft hat dort im Vorjahr vier Jahre Haft für ihn gefordert. Kanter gilt als Staatsfeind, als unerwünschte Person.

"Ich habe kein Land", hat Kanter zuletzt in einem seiner vielen Interviews gesagt. Der 2,11-m-Riese ist erklärter Anhänger von Fethullah Gülen, und hier liegt das Problem. Erdogan macht den im US-Exil lebenden Prediger für den gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich.

Kanter lässt keine Gelegenheit aus, seine Meinung zur Situation in der Türkei zu verbreiten. Als "Hitler unseres Jahrhunderts" bezeichnete er Erdogan einst, benutzt bei Twitter den Hashtag "#DictatorErdogan". Außerdem macht er sich für den in der Türkei inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson stark.

"Die Unschuldigen müssen befreit werden", fordert Kanter: "Mehr als 700 Babies und mehr als 23.000 Frauen sind derzeit im Gefängnis. Das bricht mir das Herz." Er selbst erhalte pro Woche wegen seiner Haltung drei bis vier Morddrohungen. Frei bewegen kann Kanter sich nach eigenen Angaben nicht: "Außerhalb der USA wäre es sehr gefährlich."

In der gleichen Situation ist Hakan Sükür. Als Fußballer war der 46-Jährige ein Stürmer von Weltklasseformat, der "Bulle vom Bosporus" ist ebenfalls Gülen-Unterstützer und lebt in den USA - außerhalb des Zugriffs türkischer Behörden. Gegen Kanter und Sükür wurde wegen vermeintlicher Twitter-Beleidigungen gegen Erdogan ermittelt, die Väter von beiden wurden festgenommen.

Sükür, der früher für Erdogans Partei AKP im türkischen Parlament saß, betreibt heute ein Cafe. "Es ist mein Land", sagte Sükür der New York Times: "Ich liebe die Menschen dort, auch wenn ihre Meinung über mich durch kontrollierte Medien verzerrt ist." Er will sich nicht beugen. "Ich hätte ein gutes Leben haben und Minister werden können, wenn ich ihr Spiel mitgespielt hätte", so Sükür, "aber jetzt verkaufe ich Kaffee."

Auch der deutsch-türkische Profiboxer Ünsal Arik hat sich klar positioniert. "Ich engagiere mich seit Jahren gegen Erdogan, weil Tausende unschuldige Menschen wegen ihm im Gefängnis sitzen", sagte der 38-Jährige der FAZ: "Es gibt keine Freiheit mehr in der Türkei. Jeder, der ihn unterstützt, ist ein Mittäter."

Dass der inzwischen als Fußball-Nationalspieler zurückgetretene Özil in seiner Erklärung mitteilte, dass er bei Erdogan zwischen politischem Führer und Person trenne, findet Arik völlig falsch: "Das hieße ja, der Präsident darf alles machen, unschuldige Leute einsperren, Kriege führen, und ich muss ihn immer unterstützen?"

(pabie/sid)
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