Deutschlands Stärke Markenzeichen: Turniermannschaft

Pretoria (RP). Bei Welt- und Europameisterschaften schnitt die deutsche Mannschaft oft besser ab, als es das Potenzial der einzelnen Spieler hätte vermuten lassen. Trainer wie Sepp Herberger 1954 oder heute Joachim Löw formten Erfolgsgemeinschaften.

Das Magazin "11 Freunde" hat das Wort Turniermannschaft zum Unwort erklärt, zu einem Ausdruck der Phrasendrescherei als Beruhigungspille für das Fußballvolk. Und einer Untersuchung der Uni Duisburg-Essen zufolge, die Zahlen der letzten neun Welt- und Europameisterschaften ausgewertet hat, soll dieser Begriff auf die DFB-Auswahl keineswegs zutreffen. Der Mythos von der deutschen Turniermannschaft — ist er wirklich nur eine schöne Illusion?

Aus dem deutschen Fußballvokabular wird das Wort dennoch nicht verschwinden. Zu sehr haben wir uns daran gewöhnt, Leistungen unseres sportlichen Flaggschiffs damit zu begründen, dass es während eines Turniers zu einer starken, schlagkräftigen Einheit wird. Und ohne die Qualität von Turniermannschaften hätte es die großartige Bilanz deutscher Nationalteams ja auch nicht gegeben. So weist die Statistik Deutschland bei Weltmeisterschaften als die nach dem fünfmaligen Titelgewinner Brasilien erfolgreichste Fußballnation aus.

Deutschland siebenmal im Finale

Schon siebenmal haben deutsche Mannschaften das Finale einer WM erreicht. Und dreimal haben sie ein Endspiel gewonnen: 1954, 1974 und 1990. Das ist — über jeden Zweifel erhaben — eine große Erfolgsgeschichte, deren Hintergrund die Qualität von Spielern ist, sich im Laufe eines Turniers auf das große Ziel zu konzentrieren. Bei Europameisterschaften spricht die Bilanz ebenfalls für sich mit sechs Finalteilnahmen und drei DFB-Triumphen (1972, 1980 und 1996).

Bei der WM 1954 in der Schweiz ging die deutsche Mannschaft als verschworene Gemeinschaft in die Fußballgeschichte ein. In dem kleinen Ort Spiez oberhalb des Thunersees, genauer gesagt: im Hotel Belvédère, hatte Bundestrainer Sepp Herberger seine Männer eingeschworen für das große Turnier. Und dieser geheimnisvolle "Geist von Spiez" soll, wie wir seit mehr als einem halben Jahrhundert zu hören bekommen, das Wunder von Bern mit dem sensationellen Endspielsieg gegen die Ungarn (3:2) bewirkt haben.

"Elf Freunde müsst ihr sein", hatte Herberger von seinem Team gefordert. Als Urheber des Spruchs gilt der Mann von der Bergstraße zwar nicht, aber die Elf von Bern um Kapitän Fritz Walter und Düsseldorfs Torhüterlegende Toni Turek war tatsächlich eine verschworene Gemeinschaft. Zwanzig Jahre nach dem "Wunder von Bern" rauften sich auch die Spieler zusammen, die Helmut Schön für die WM im eigenen Land um sich geschart hatte.

Allerdings gab es nach der 0:1-Niederlage gegen die DDR im Trainingslager Malente eine Aussprache, die personelle Umstellungen zur Folge hatte wie die Nominierung des Mönchengladbachers Rainer Bonhof — eine stürmische Aussprache soll es gewesen sein oder auch ein reinigendes Gewitter, wie behauptet wurde. Das Ergebnis war eindrucksvoll. 15 Tage nach der Pleite gegen die DDR feierte Deutschland den Endspielsieg gegen die Niederlande.

Robustheit statt Spielkunst

Bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko setzte Franz Beckenbauer, der als Spieler der personifizierte Fußballästhet gewesen war, verstärkt auf die Karte Robustheit, denn Profis wie Ditmar Jakobs, Karlheinz Förster, Hans-Peter Briegel, Norbert Eder oder Dieter Hoeneß standen nicht für die Gattung "hohe Spielkunst".

Aber der Plan des Teamchefs, mit einer Reihe kompromisslos zupackender Recken neben Technikern wie Felix Magath, Karl-Heinz Rummenigge und Klaus Allofs den Erfolg zu erzwingen, ging auf. Immerhin reichte es in Mexiko zu Platz zwei. Nur Argentiniens Mannschaft um Superstar Diego Maradona stoppte den deutschen Erfolgszug. Und wieder sorgte die Auswahl des DFB dafür, dass Deutschland von seiner Turniermannschaft schwärmte.

Das tat es noch mehr vier Jahre später bei der WM in Italien, wo Lothar Matthäus als Kapitän und Antreiber sein Team mit Klassespielern wie Rudi Völler und Klinsmann zum Titel führte. Und 1996, als Berti Vogts mit seinen Männern in England den EM-Titel feierte. Vogts setzte auf Gruppendynamik, und deshalb lautete das Motto damals: "Die Mannschaft ist der Star."

Die junge Mannschaft, die Joachim Löw nun ins Viertelfinale geführt hat, scheint ebenfalls von Gruppendynamik beflügelt zu sein, auch wenn man inzwischen nicht mehr unbedingt von der Mannschaft als Star sprechen mag. Es ist vielmehr die richtige Mischung aus jung und alt, aus jugendlichem Schwung und Erfahrung, die Deutschland von einer neuen Turniermannschaft schwärmen lässt.

(RP)
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