Analyse zum Deutschland-Spiel Wer wird denn gleich in die Luft gehen?

Fortaleza · Bundestrainer Joachim Löw musste erleben, wie das WM-Spiel seiner Mannschaft gegen Ghana taktisch aus dem Ruder lief. Doch nach dem 2:2 ist nichts verloren. Die Begegnung kann als Wachmacher dienen.

Miroslav Klose rettet mit Rekordtor Deutschland ein 2:2 gegen Ghana – Pressestimmen
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Deutschland - Ghana: Pressestimmen

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Auf dem Rasen ging es zu, als habe noch nie jemand etwas von Taktik gehört. Es wurde geradezu besessen gestürmt, ohne Absicherung, ohne Netz, ohne doppelten Boden. Beste Chancen wurden im Halbminuten-Takt panisch verschleudert, bis zur letzten Sekunde war für beide Mannschaften der Sieg möglich. Das 2:2 zwischen der deutschen Nationalmannschaft und Ghana hob das Publikum vor Begeisterung von den Sitzen, für die Trainer war es ein Spiel irgendwo zwischen "Spaß und Hölle", wie Bundestrainer Joachim Löw einräumen musste. Das zweite WM-Gruppenspiel wirft einige Fragen auf.

Warum griff Löw nicht ein?

Wie schon beim bemerkenswerten 4:4 nach 4:0-Führung im Berliner Qualifikationsspiel gegen Schweden wogte die Begegnung vor Löws Augen in ein taktisches Chaos, ohne dass es von der Seite erkennbare Korrekturhinweise oder irgendwelche taktische Rücksicht auf dem Platz gab. "Das Spiel hat sich einfach so entwickelt", sagte der Trainer. Das klang hilflos und beweist erneut, dass Löw schlüssige Modelle entwickeln und einüben kann, aber auf die gelegentlichen Wendungen in der fußballerischen Wirklichkeit wenn überhaupt, nur zögerlich reagiert. Das Coaching bleibt seine Schwäche.

Warum nahm die Mannschaft nicht einen Gang raus?

Das ist ihr selbst ein Rätsel. Vielleicht ließ sie sich von der Atmosphäre mitreißen, und Kapitän Philipp Lahm durfte unwidersprochen feststellen: "So richtig clever war das nicht." Es war auf jeden Fall ein Problem des Mittelfelds, das nicht mal bei abgewehrten eigenen Standardsituationen Konterwege verstellte.

Wie stark ist die deutsche Mannschaft?

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Die Antwort gab Toni Kroos: "Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen dem Portugal- und dem Ghana-Spiel. Man darf nicht vergessen, dass gegen Portugal mit früher Führung und Überzahl alles wie gemalt für uns lief." Die Begegnung mit den deutlich stärkeren Ghanaern zeigte, dass die DFB-Auswahl verwundbar ist, wenn sie ihre Ordnung preisgibt. Und sie offenbarte schlechte Tagesform ganz wichtiger Spieler.

Was war mit Lahm und Khedira los?

Die beiden zentralen Mittelfeldspieler sind die wesentlichen Figuren in Löws strategischem Konzept. Er braucht sie in Bestform, um die Gegner einzubremsen und das eigene Spiel zu entwickeln. Aber Lahm, von dem sein Entdecker Hermann Gerland mal sagte, "der kann gar nicht schlecht spielen", leistete sich verblüffende Ballverluste.

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Einer führte zum zwischenzeitlichen 1:2. "Das kann immer passieren", sagte er. Löw urteilte: "Spieler mit einer engen Ballführung bekommen auf dem stumpfen Platz Probleme." Keine gute Kunde vor dem USA-Spiel, der Rasen ist wegen der Hitze in Recife ebenfalls stumpf. Und Sami Khedira spürt ausgerechnet jetzt die Folgen des Aufbautrainings nach dem Kreuzbandriss. Er wirkt müde, dabei braucht er für sein Spiel viel Kraft. Auf Lahm wird Löw auf keinen Fall verzichten, für Khedira steht Bastian Schweinsteiger bereit, der nach seiner Einwechslung das Spiel an sich riss und in 20 Minuten mehr Wirkung erzielte als Khedira in 70.

Wird Özil zum Problemfall?

Das ist möglich. Löw sieht die fußballerischen Möglichkeiten des Arsenal-Profis, und die blitzten auch gegen Ghana immer wieder auf. Schwierig wird es, wenn Mesut Özil den Ball im letzten Angriffsdrittel verliert, auch diese Fälle gab es im zweiten Gruppenspiel. Dann hadert er beleidigt mit den Fußballgöttern oder sich selbst, bleibt jedenfalls mit großer Sicherheit der Abwehrarbeit fern und ist der personifizierte Grund für Konter.

Es bleibt die Frage, wie lange Löw in der verzweifelten Hoffnung auf Geistesblitze an Özil festhält. Er könnte deutlich mehr fußballerische Geradlinigkeit in André Schürrle einwechseln. Das sind aber genau die Entscheidungen, vor denen Löw zurückscheut. Er fürchtet, dass sich Özil auf der Bank völlig in Depressionen verliert.

Was bedeutet das 2:2 gegen Ghana?

Ergebnis und Spielverlauf dämpfen allzu kühne Hoffnungen. Wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig kann sich die DFB-Auswahl auf die Grundsätze ihres eigenen Spiels und ihres Erfolgs in der fast makellosen Qualifikation besinnen. "Das Spiel war ein Wachmacher", befand Torwart Manuel Neuer, "wir wissen jetzt, dass wir mit beiden Beinen auf den Boden gehören."

Fehler wie vor den Gegentoren "dürfen bei einer WM nicht passieren", womit er übrigens Lahm und Löw widerspricht. Im Spiel gegen die USA muss folglich nicht nur die enge Ballführung auf stumpfem Rasen (Lahm) verbessert werden, sondern auch die taktische Disziplin und die gute Ordnung auf dem Feld, letzten Endes die Einstellung zum Spiel.

Vielleicht war es ein Glück, dass Ghana mit Nachdruck daran erinnert hat.

(RP)
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