Bundestrainer macht alles richtig Jogi Löws taktische Meisterleistung

Salvador · Mit der falschen Neun wählte der Bundestrainer genau die richtige Formation. Aber auch die Abwehrkette mit vier gelernten Innenverteidigern hat sich bewährt. So wurde Weltfußballer Ronaldo zur Randfigur degradiert.

Joachim Löw popelt – und gibt Cristiano Ronaldo die Hand
8 Bilder

Jogi Löw popelt – und gibt Cristiano Ronaldo die Hand

8 Bilder
Foto: dpa, nic

Vor ein paar Jahren hätte die englische Boulevardpresse jetzt das hässliche Bild von den deutschen Panzern hervorgekramt, die mit knirschenden Ketten die Gegner im Weltfußball plattmachen. Derart martialisches Geheul aber blieb diesmal weitgehend aus. Auch das ist eine Anerkennung für die Art, wie Deutschlands Nationalmannschaft mittlerweile spielt. Mit einer sehr ausgewogenen Mischung aus Kunst, taktischer Disziplin, großer Ruhe und Zielstrebigkeit fuhr das Team von Bundestrainer Joachim Löw den 4:0-Auftaktsieg gegen Portugal ein. Damit holte sie sich das breite Kreuz für die nächsten Aufgaben. Und sie jagte den Konkurrenten einen ordentlichen Schrecken ein. Der große Diego Maradona bekannte im venezolanischen TV-Sender "Telesur": "Deutschland hat die Perfektion gestreift. Angesichts der körperlichen Stärke machen die Deutschen Angst."

Tatsächlich scheinen die Dauersprints des dreifachen Torschützen Thomas Müller und das Laufvermögen der gesamten Mannschaft die vielfach geäußerten Bedenken zu widerlegen, nach denen in der tropischen Mittagshitze kein Tempofußball möglich sei. "Die Mannschaft", sagte Trainer Löw, "ist körperlich schon auch in einem sehr guten Zustand." Das hört sich immer so an, als wenn ein Mechaniker über seine Lieblingsmaschine spricht.

Thomas Müller beschert DFB-Team Traumstart – Pressestimmen
89 Bilder

Deutschland - Portugal: Pressestimmen

89 Bilder

Und es hatte auf jeden Fall etwas von einem harmonischen Gebilde aus vielen passenden Einzelteilen. Die Deutschen fanden früh einen feinen Rhythmus, blockierten das portugiesische Spiel äußerst wirkungsvoll und kamen über ihre fußballerische Leitstelle Toni Kroos sehr schnell in den Angriff. Dort war natürlich Müller der überragende Akteur, aber auch Mesut Özil und Mario Götze lieferten wichtige Beiträge zu Angriffen, die Portugal vor unlösbare Probleme stellten.

Portugal findet keine Antwort auf die Flügelspieler

Dabei war die erfolgreiche deutsche Offensive ein Ergebnis bewusst falscher Aufstellung. Müller ist der Inbegriff der falschen Neun, ihm werden vermutlich bald entsprechende Kapitel in den Lehrbüchern gewidmet. Götze und Özil griffen von der falschen Seite an, Linksfuß Özil von rechts, Rechtsfuß Götze von links. Dadurch ging es im Ballbesitz meist in Doppelpässen durch die Mitte, und die Außenbahnen wurden für nachrückende Spieler frei. Portugal staunte und hatte darauf so wenig eine Antwort wie auf die Dribblings der Flügelspieler. "Die Mannschaft hat sehr, sehr gut umgesetzt, was wir uns vorgenommen hatten", erklärte Löw.

Die privaten Fotos der Nationalspieler aus Brasilien
Infos

Die privaten Fotos der Nationalspieler aus Brasilien

Infos
Foto: Facebook/Lukas Podolski

Für Portugal, auf das sich sein Team in der ersten Trainingswoche in Santo André besonders vorbereitet hatte, war das eine perfekte Taktik. Und auch mit dem aus der personellen Not geborenen Versuch, wohl erstmals in der langen DFB-Geschichte eine Abwehrkette aus vier gelernten Innenverteidigern zu bilden, lag Löw gegen die Portugiesen völlig richtig. Im Verbund mit den defensiven Mittelfeldspielern Philipp Lahm (nur ein Aussetzer zu Beginn) und Sami Khedira nahmen sie dem portugiesischen Konterspiel die Wege. Und sie machten aus dem Weltfußballer Cristiano Ronaldo eine vom Publikum verspottete Randfigur ohne Wirkung.

Bei aller Zufriedenheit über die souveräne Vorstellung war es der deutschen Auswahl allerdings auch nicht entgangen, dass sie diesmal sehr mit den manchmal so grimmigen Schicksalsmächten des Fußballs im Bunde standen. Den sicher vertretbaren Foulelfmeter zur frühen Führung, der Portugals Konterfußball-System schon entscheidend in Frage stellte, wäre beispielsweise nicht von jedem Schiedsrichter verhängt worden. Das brasilianische Fernsehen widmete in der Nacht den strittigen Entscheidungen der Unparteiischen jedenfalls eine ganze Sendung, in der Götzes Zweikampf mit Joao Pereira vor dem Strafstoß etwa 200 Mal gezeigt wurde. Drei Experten stritten in ausgiebigen Redebeiträgen, manchmal zur gleichen Zeit vorgetragen, ohne Ergebnis über die Berechtigung des Pfiffs.

Ronaldo scheitert an Ein-Mann-Mauer Lahm
7 Bilder

Ronaldo scheitert an Ein-Mann-Mauer Lahm

7 Bilder

Auch Pepes zwar zarter, aber doch deutlich sichtbarer Kopfstoß gegen Müller erfuhr eine ausgiebige Videoanalyse mit vielleicht 100 Zeitlupen-Wiederholungen. Hier fiel das Urteil jedoch eindeutig zu Ungunsten des Verteidiger-Hünen aus, der in seiner Laufbahn häufig Anwärter auf den Oscar für die Rolle des besten Bösewichts im Weltfußball war.

Die Überzahl nach der Roten Karte für Pepe begünstigte das deutsche Spiel natürlich. Das räumte Müller bereitwillig ein. "Es ist gut für uns gelaufen", betonte der falsche Stürmer mit der richtigen Trefferquote, "in Unterzahl einem Rückstand hinterherzulaufen, ist ein schwieriges Unterfangen."

Und im Bewusstsein der eigenen Stärke wehrte er Komplimente der Konkurrenz mit einer bescheidenen Einordnung des Auftakts ab. "Wir haben hier sicher nicht als Übermannschaft agiert", sagte Müller. Wer will, der kann das als zusätzliche Drohung auffassen. Die Welt will das wohl.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort