Beckenbauer und die WM Licht aus!

Düsseldorf/Salzburg · Franz Beckenbauer rückt in den Mittelpunkt des Skandals um die WM-Vergabe 2006. Es geht um Korruption.

 Das Denkmal Franz Beckenbauer bröckelt nach den neuesten Erkenntnissen im Skandal um die WM-Vergabe 2006 gewaltig.

Das Denkmal Franz Beckenbauer bröckelt nach den neuesten Erkenntnissen im Skandal um die WM-Vergabe 2006 gewaltig.

Foto: dpa, au nic

Es war einmal eine Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Ein Spieler, der allen irdischen Kategorien zu entschweben schien, undeutsch und elegant wie keiner vor ihm und keiner nach ihm, Ein Mensch, dem alles, was er in seinem Leben anpackte, mühelos zu gelingen schien. Und der Funktionär, von dem die Legende behauptet, er habe die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland gebracht. Das Sommermärchen! Im Alleingang! Der Franz! Der Kaiser! Der Beckenbauer!

Vielleicht wird die Legende wahr. Vielleicht hat der Wahl-Salzburger Franz Beckenbauer tatsächlich im Alleingang dafür gesorgt, dass sich das Fifa-Exekutivkomitee am 6. Juli 2000 mit 12:11 Stimmen dafür entschied, die WM 2006 nach Deutschland zu vergeben, allerdings in einem Alleingang, den niemand bewundernswert finden kann. Denn nun deutet alles auf ein ganz krummes Geschäft zwischen dem deutschen WM-Bewerbungskomitee und dem früheren Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner hin. Genauer: auf ein ganz krummes Geschäft zwischen dem Chef des deutschen Bewerbungskomitees und Warner. Der Chef des Komitees war Franz Beckenbauer. Seine Unterschrift steht nach DFB-Angaben auf einem Vertragsentwurf, in dem Warner Leistungen zugesagt werden.

Dieser Entwurf wurde vier Tage vor Deutschlands Wahl zum WM-Ausrichter unterzeichnet. Neben Beckenbauers Unterschrift steht die Paraphe seines Vertrauten Fedor Radmann, der später Vizepräsident des Organisationskomitees war. Es gibt Grund zu der Annahme, dass bis auf Beckenbauer und Radmann niemand davon wusste.

Der DFB weiß offenbar schon länger, dass es zu Korruption im Rahmen der WM-Vergabe 2006 gekommen sein könnte. Das lässt sich aus einer Aussage von DFB-Schatzmeister Reinhard Grindel vor dem Sportausschuss des Bundestags schließen. Nach Informationen unserer Redaktion aus Kreisen des Gremiums hat der CDU-Politiker in der nichtöffentlichen Sitzung am vergangenen Mittwoch auf die Frage des Grünen-Politikers Özcan Mutlu, ob die WM 2006 gekauft sei, geantwortet: "Auch das ist Gegenstand der Untersuchung." Mutlu hat das bestätigt. Grindel dagegen sagte, er habe lediglich den bekannten Prüfungsauftrag vorgetragen.

Einen Alleingang hat Beckenbauer in seiner ersten Erklärung zu den Geldflüssen und den Korruptions-Vorwürfen eingeräumt. Er behauptete: "Um einen Finanzierungszuschuss der Fifa zu erhalten, wurde auf einen Vorschlag der Fifa-Finanzkommission eingegangen, den die Beteiligten aus heutiger Sicht hätten zurückweisen sollen. Für diesen Fehler trage ich als Präsident des damaligen Organisationskomitees die Verantwortung." So ähnlich muss er den Vorgang auch seinem Freund Wolfgang Niersbach geschildert haben. Niersbach, inzwischen als DFB-Präsident zurückgetreten, unterbreitete der Öffentlichkeit die Darstellung, nach der Beckenbauer persönlich den Handel mit der Fifa abgenickt und zunächst sogar mit seinem Privatvermögen für die Zahlung von 6,7 Millionen Euro habe einstehen wollen. Erst auf Intervention seines Managers Robert Schwan habe sich Beckenbauer für das OK die Summe als Darlehen vom ehemaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus vorstrecken lassen. Er habe Dreyfus einen persönlichen Schuldschein ausgestellt. Interessant daran ist, dass alle Beteiligten diesen Vorgang auf die Jahre 2002 (Darlehen von Dreyfus) und 2005 (Rückzahlung des Darlehens über ein Fifa-Konto) datieren.

Das schien Beckenbauers Version zu stützen, nach der "keine Stimmen gekauft wurden". Schließlich wurde ja erst zwei Jahre nach der WM-Vergabe gezahlt. Das neue Dokument über den möglichen Deal mit Warner lässt ganz andere Deutungen zu.

Zumal dann, wenn man sich die Figur Warner vergegenwärtigt. Der einstige Chef der karibischen Fußball-Union aus Trinidad und Tobago gilt als eine der korruptesten Personen im Weltfußball. Er wurde von der Fifa-Ethikkommission lebenslang gesperrt. Sie bezeichnete ihn als "Drahtzieher von Systemen, die die Annahme, Gewährung und den Empfang verdeckter und illegaler Zahlungen beinhalteten". Zurzeit ist er vor einem Bundesgericht in New York City wegen des Verdachts des Betrugs und der Geldwäsche angeklagt. Er wurde in seiner Heimat festgenommen, aber er erhielt gegen eine Kaution von 2,5 Millionen Dollar Haftverschonung. Eine feine Gesellschaft für Beckenbauer, die Lichtgestalt.

Korruption bei WM-Vergaben: ein Überblick
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Korruption bei WM-Vergaben

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Vermutlich gibt es aber im großen Fußball keine ausgeprägte Abneigung gegen Zeitgenossen, die sich auf die windigen Geschäfte verstehen. Vielleicht haben viele von Warners Kollegen anerkennend genickt, als bekannt wurde, wie geschickt er die TV-Rechte der WM-Turniere 2010 und 2014 vermarktete. Die Fifa hatte sie ihm für 600.000 Dollar zugeschustert, er verkaufte sie für 18 bis 20 Millionen weiter. Unrechtsbewusstsein hat ihn nie bewegt.

Es ist die Frage, ob Beckenbauer vor 15 Jahren von Skrupeln heimgesucht wurde. Es war die Zeit, in der sportliche Großereignisse nahezu selbstverständlich in einem Wettbewerb von Gefälligkeiten und Gegengeschäften an den Ausrichter kamen. Mitspieler im Fußballgeschäft registrieren das heute noch mit Achselzucken. Sie können die Empörung rechtsbewusster Zeitgenossen überhaupt nicht teilen. Guido Tognoni, lange Jahre Mediendirektor der Fifa, sagte in einem Gespräch mit dem Sender "Sky", die Deutschen, mithin auch Beckenbauer, seien "ein Opfer der Umstände" geworden, "sie wollten eine WM, und sie mussten im hochkorrupten Umfeld eine WM holen".

Wenn das aber so selbstverständlich ist für die Geschäftsleute des Fußballs an der Jahrtausendwende, dann ist Beckenbauers öffentliche Zurückhaltung in der Frage der Aufklärung solcher Vorgänge besonders erstaunlich. Schließlich könnte er als Schlüsselfigur am meisten zu einer klaren Sicht beitragen - auch weil Korruptionsvorwürfe inzwischen verjährt sind. Er hat in der Tat viel zu erzählen - nicht nur in dieser Affäre. Er könnte lang über die Beziehungen des Organisationskomitees und des FC Bayern zum verstorbenen Adidas-Chef Dreyfus plaudern, der hinter der Millionenzahlung stecken soll. Er könnte sein Wissen über die Vermarktungsfirma ISL ausplaudern, die bis zum Konkurs 2001 Marketingpartner der Fifa war. Er könnte über Leo Kirch und dessen Medienimperium sprechen, das die TV-Rechte der WM 2006 besaß. Er könnte sogar bitter beklagen, dass sich nun seine alten Freunde im Springer-Verlag von ihm abzuwenden scheinen. Selbst die "Bild" findet das Schweigen des Kaisers seit einigen Tagen irritierend. Zu früheren Zeiten wäre ihm die Rechtfertigungsarmada eilig zu Hilfe gesprungen. Sie ist aber nicht nur Beckenbauer außerordentlich eng verbunden, sie hat auch ein gutes Gefühl für Mehrheitsmeinungen.

Und an der Basis verliert Beckenbauer zunehmend das Image des charmanten Kaisers, der sich so leicht über alle Widrigkeiten der Wirklichkeit hinwegsetzen kann wie einst der Spieler Beckenbauer über seine bedauernswerten Gegenspieler. Bislang wurde ihm noch alles nachgesehen. Morgens und abends wechselnde Meinungen zu den grundlegenden Fragen des Seins ohnehin. Aber auch schwerwiegende Dinge wie sein Engagement für den russischen Staatskonzern Gazprom, just nachdem er als Mitglied der Fifa-Exekutive für Russland als Ausrichter der WM 2018 gestimmt hatte. Oder seine unsägliche Bemerkung nach einem Besuch in Katar, er habe dort keine Sklaven auf den WM-Baustellen gesehen.

All das war bis zu diesen Tagen der deutschen WM-Affäre kein großes Thema. Nun könnte es eines werden. Denn die Lichtgestalt ist einstweilen ziemlich abgedunkelt.

(RP)
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