Leiser Abgang des Experten Delling macht ohne Netzer weiter

Düsseldorf (RPO). Günter Netzer wünscht sich einen leisen Abgang. Ein Ende ohne das sonst übliche mediale Brimborium mit Konfettiregen, bewegten Bildern aus der Vergangenheit und dem damit verbundenen Wunsch, der so Geehrte möge auf Kommando möglichst innig anfangen zu schluchzen.

Die besten Sprüche von Günter Netzer
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Foto: ddp

Es werden vermutlich am Samstagabend keine Tränen kullern, zumindest nicht bei Netzer, 65, der zum letzten Mal beim "kleinen Finale" als Experte im Studio der ARD steht. Neben ihm wird, wie immer in den vergangenen zwölf Jahren, der schlaksige Gerhard Delling den Part des witzelnden Stichwortgebers mimen. Das Erfolgsgeheimnis dieses Duos liegt in seiner Unaufgeregtheit.

Die Rollen sind klar verteilt, so wie es Netzer von seiner aktiven Zeit noch auf dem Rasen gewohnt war. Er selbst ist der Mann für die wirklich wichtigen Szenen, Routineaufgaben muss Delling erledigen. Er ist so etwas wie der Wasserträger, wie einst Hacki Wimmer bei Borussia Mönchengladbach. Dabei ist Netzer nicht gerade ein ausgewiesener Entertainer.

Im Gegensatz zu den oft in der Branche vertretenen Lautsprechern redet er nicht einfach drauflos. Netzer wählt seine Worte mit Bedacht — und diese haben eine ungeheure Wirkung.

Wie im September 2003, als sich die deutsche Nationalmannschaft gegen Kicker-Zwerg Island mit einem mickrigen 0:0 begnügen musste. Rudi Völler war damals Bundestrainer und saß schon zum Gespräch mit Waldemar Hartmann bereit. "Die Samstagabend-Unterhaltung", ätzte Delling als Einstimmung auf die erwartete Analyse von Völler, "steckt in der Krise."

Netzer hatte zuvor schonungslos die Schwachstellen der Mannschaft diagnostiziert. Völler fand das alles gar nicht lustig und polterte: "Delling, das ist eine Sauerei, was der sagt. Die Geschichte mit dem Tiefpunkt, und noch mal ein Tiefpunkt. Da gibt's noch mal einen niedrigen Tiefpunkt. Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören." Und: "Der Günter, was die früher für einen Scheiß gespielt haben, da konntest du doch früher überhaupt nicht hingehen, die haben doch früher Standfußball gespielt." Delling und Netzer ließen sich von der Attacke nicht aus der Ruhe bringen.

Es ist quasi die Grundregel ihrer vor der Kamera ausgelebten Männerfreundschaft. Begonnen hat alles bei der WM 1998 in Frankreich. Das neue Konzept beruhte auf der simplen Idee, dass nicht mehr zwangsgeduzt wurde, stattdessen beherrschte vornehmes "Sie" das Drumherum vor und nach einem Fußballspiel. Selbst im Privatleben sollen beide diese Umgangsform bis heute pflegen. Um erst gar nicht allzu viel Harmonie aufkommen zu lassen, bemühten sich beide fortan nach Kräften, den Partner mit Sticheleien zu treffen.

Für ihre Auftritte wurden sie vielfach geehrt. Mit dem Grimme- und dem deutschen Fernsehpreis zum Beispiel. Warum er jetzt seinen Freund Delling verlässt? Kurzes Schweigen. Dann sagt er: "Für mich ist es der richtige Zeitpunkt. Ich habe alles gesagt. Wir können den Fußball ja nicht neu erfinden."

Die ARD versucht es erst gar nicht und setzt künftig auf die gleiche taktische Aufstellung. Mehmet Scholl gesellt sich als Experte an die Seite von Delling und Reinhold Beckmann. Ach ja, da wäre noch die Sache mit dem würdigen Abschied für Netzer aus dem öffentlich-rechtlichen Dienst. "Ich habe", sagt der gebürtige Mönchengladbacher, "die ARD aufgefordert, dass nichts stattfinden darf. Mir wäre das äußerst peinlich. Ich kann so etwas nicht ertragen." Delling wird sich sicherlich schon eine Gemeinheit ausgedacht haben.

(RP)
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