Bundestrainer Löw über Popularität „Würde manchmal am liebsten aus dem Fenster springen“

Frankfurt · Joachim Löw wird sich wohl nie ganz daran gewöhnen, dass das öffentliche Interesse an ihm so groß ist. Einer österreichischen Zeitung gab der Bundestrainer Einblicke in seine Gefühlswelt.

Joachim Löw gibt sich trotz einer alles andere als idealen Vorbereitung optimistisch.

Joachim Löw gibt sich trotz einer alles andere als idealen Vorbereitung optimistisch.

Foto: dpa/Christian Charisius

An Flughäfen und in Bahnhöfen habe er "keine Sekunde Ruhe", sagte Löw im Interview mit dem österreichischen Kurier: "Wenn ich zum Beispiel im Zug sitze und es steigen Fans ein und die erkennen mich und singen ein Lied. Ehrlich, da würde ich manchmal am liebsten aus dem Fenster springen."

Er wisse zwar, dass das Interesse der Leute "nett gemeint" sei, "aber es ist nicht immer einfach für mich. Du spürst die Blicke, was macht er, was tut er? Ich weiß nicht, ob man das lernen kann, dass man sich irgendwann so frei fühlt, dass einem das nichts mehr ausmacht."

Nach zwölf Jahren im Amt hat Löw (58) aber ein Konzept entwickelt, mit seiner Popularität umzugehen. "Ich versuche, mich so normal wie möglich zu benehmen", sagte er. Das gelte auch, wenn etwa in seiner Heimatstadt Freiburg wildfremde Menschen an der Tür klingeln und nach Eintrittskarten für WM-Spiele fragen.

Löw berichtet von „schwierigen Gesprächen“ mit jüngeren Spielern

Löw lässt es sich nicht nehmen, ins Kino zu gehen. Daheim in Freiburg ist es sowieso nicht so schlimm. Da kennen mich die Leute, und wahrscheinlich habe ich da inzwischen alle schon durch mit einem Foto". In anderen Städten sei es schlimmer, meinte Löw.

Der Bundestrainer berichtete von schwierigen Gesprächen mit jüngeren Spielern. "Die ticken völlig anders. Das ist eine ganz andere Generation als früher Lahm, Klose oder Mertesacker. Manchmal hast du richtig Schwierigkeiten, auf gemeinsame Themen zu kommen", sagte er.

Die Youngster verhielten sich ihm gegenüber meist relativ ruhig, "alles läuft nur noch übers Handy. Und sie reagieren fast nur noch visuell und auf optische Reize". Löw meinte daher: "Vielleicht sollte man wirklich Instagram verwenden."

„Wir werden besonders gejagt“

Kurz vor dem Abflug - das deutsche Team wird am Dienstag um 13 Uhr Richtung Russland abheben - beschäftigt den Bundestrainer aber vor allem die sportliche Herausforderung der kommenden Wochen. Er steige in Frankfurt auch mit "einer gewissen Demut vor der Schwere der Aufgabe" in den Flieger mit der Nummer LH 2018, betonte Löw in einem Gespräch mit dem Sport-Informations-Dienst (SID).

Das liegt an der Bürde des Weltmeisters. Der, weiß Löw, werde vom ersten Spiel am Sonntag (17 Uhr/ZDF) in Moskau gegen Mexiko an "besonders gejagt. Jede Mannschaft will unbedingt den Titelverteidiger stürzen." Das liegt aber auch am Ballast, den die Mannschaft mit ins WM-Quartier nach Watutinki südwestlich der russischen Hauptstadt nimmt: Sportlich, wegen der nicht enden wollenden "Erdogan-Affäre" aber auch atmosphärisch.

Im Bemühen, die leidigen Foto-Diskussionen zu beenden, sprang Löw sogar Angela Merkel bei. Die Bundeskanzlerin warb um Nachsicht mit Mesut Özil und Ilkay Gündogan, beide hätten "nicht bedacht, was das Foto auslöst mit dem Präsidenten Erdogan", sagte sie in der ARD-Talkshow Anne Will. Merkel appellierte an die rund 100.000 in Russland erwarteten deutschen Fans, auch das Duo zu beklatschen.

Der letzte Titelverteidiger im Finale war Brasilien 1998

Löw will nicht zu viel Energie für dieses Thema verschwenden, will alles dem Griff nach dem fünften Stern unterordnen. "Zum wiederholten Male Weltmeister zu werden, bedeutet mir natürlich viel. Das wäre etwas Historisches", sagte er. Nur Italien 1938 und Brasilien 1962 haben ihre Titel erfolgreich verteidigt. Aber: Brasilien war 1998 der letzte Weltmeister, der ins Finale kam, Italien und Spanien scheiterten 2010 bzw. 2014 schmählich in der Vorrunde.

Umso mehr sieht sich Löw gefordert, seinem Team mit neun Helden von 2014 um Kapitän Manuel Neuer "zu vermitteln, was auf sie zukommt" - ein ganzes Rudel gieriger Gegner. "Die anderen Mannschaften sind seit 2014 besser geworden", sagte Löw, das gelte für Frankreich, Spanien, Brasilien oder Argentinien. "Man muss von Anfang an und in jedem Spiel eine Top-Leistung abrufen, hellwach und voll konzentriert sein, darf sich keine Schwäche leisten." Ansonsten "kann man auch schnell nach Hause fahren".

Schon die Auftakthürde ist hoch. Löw sieht Mexiko als "schwersten Gegner" in Gruppe F, aus der noch nie ein Weltmeister hervorging. Der Schauplatz Luschniki-Stadion, wo am 15. Juli die Krönung erfolgen soll, garantiert laut DFB-Präsident Reinhard Grindel, "dass man sofort im WM-Fieber sein wird". Gut so, meinte Löw, denn danach warten Schweden (23. Juni in Sotschi) und Südkorea (27. Juni in Kasan), ebenfalls "unbequeme Mannschaften".

Es gelte, in Watutinki eine „Gewinnermentalität“ zu formen

Das hätten Österreich (1:2) und Saudi-Arabien (2:1) in der Vorbereitung nicht sein sollen, dennoch tat sich die DFB-Auswahl schwer. Löw will in den fünf Tagen in Watutinki vor dem Auftakt vor allem mannschaftstaktisch arbeiten lassen. Titelreife soll seine Elf, in der mit dem noch angeschlagenen Mesut Özil (Knie) acht Weltmeister gesetzt sind, im Turnierverlauf erlangen.

Trotz aller Mängel im Vorfeld: "Ich weiß, dass unsere Mannschaft unheimlich viel Potenzial hat und das in Russland auch abrufen wird", sagte Sami Khedira. Löw sieht auch in Sachen Teamgeist gute Voraussetzungen, "weil sich unsere Mannschaft gut kennt und wir eine starke Achse haben, die die Mannschaft anführt".

Allerdings gelte es, in Watutinki auch eine "Gewinnermentalität" zu formen. "Es ist wichtig, wie wir dem Druck begegnen und wie leidensfähig und diszipliniert wir sind", sagte Löw. Sollte im WM-Puzzle nur eines dieser Details fehlen, dann sei Deutschland nur "eine durchschnittliche Mannschaft". Und sicher nicht in der Lage, den Traum vom fünften Stern wahr zu machen.

(togr/SID)
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