Wiedersehen mit Deutschland Brasilien trägt schwer am Fluch von 2014

Rio De Janeiro · Dennoch ist die Selecao gerade mal wieder der einzige Hoffnungsschimmer im gebeutelten Land.

Real Madrids Linksverteidiger Marcelo stand im WM-Halbfinale 2014 auf dem Platz.

Real Madrids Linksverteidiger Marcelo stand im WM-Halbfinale 2014 auf dem Platz.

Foto: dpa, PAG hjp

Im Sommer jährt sich das 1:7 im WM-Halbfinale gegen Deutschland zum vierten Mal. Noch immer hat die brasilianische Nationalmannschaft schwer an dieser Niederlage zu tragen. Dennoch ist die Selecao gerade mal wieder der einzige Hoffnungsschimmer im gebeutelten Land.

Manchmal ist der Schatten der Vergangenheit so breit, dass er nicht mal mehr auf eine Litfaßsäule passt. Derzeit prangt wieder einmal Ex-Weltfußballer Ronaldo von den Werbeflächen in Sao Paulo und Rio de Janeiro. Doch der Weltmeister von 1994 und 2002 ist in die Breite gegangen. Erneut Gewichtsprobleme. Die hat auch der brasilianische Fußball, denn nichts wiegt schwerer auf den Schultern der "Selecao" als die Vergangenheit. Fünfmal wurde Brasilien Weltmeister, davon zehrt die Volksseele und auch das Selbstverständnis des Landes. Doch da ist eben auch der schwärzeste Tag in der Geschichte der Nationalmannschaft, der nun fast vier Jahre zurückliegt. Das 1:7 im Halbfinale der WM 2014 von Belo Horizonte gegen den späteren Weltmeister Deutschland lastet wie ein Fluch auf dem Land. "Gol Alemanha" (Tor für Deutschland) ist ein Fluch, der sich fest im Sprachgebrauch eingenistet hat, wenn wieder mal etwas schief gegangen ist.

Das Aufeinandertreffen zwischen Deutschland und Brasilien am Dienstag in Berlin ist das erste offizielle Länderspiel zwischen den beiden Fußball-Giganten seit jener für die Gastgeber so schicksalhaften Nacht. Wer bei den Olympischen Spielen 2016 den Jubel nicht nur im Stadion sondern vor allem vor den Fernsehern beim Finalsieg der brasilianischen Kicker über die deutsche Olympia-Auswahl miterlebte, der konnte erahnen, wie sehr die Brasilianer dieser Tag von Belo Horizonte getroffen hat. Und wie sehr die brasilianische Seele nach Wiedergutmachung verlangt. Brasiliens Nationaltrainer Tite, der sich bislang mit Äußerungen zum Duell zurückhielt, umschreibt die Bedeutung der Partie als "emotional wichtig." Das ist schlichtweg untertrieben.

Inzwischen ist die Stimmung nicht nur am Zuckerhut im Keller. Nach 14 Jahren linker Arbeiterpartei mit Lula da Silva und Dilma Rousseff an der Spitze ist das Land heruntergewirtschaftet. Statt blühender Landschaften durch Investitionen für WM 2014 und Olympia 2016, die aus Brasilien die Supermacht der Südhalbkugel machen sollten, legte ein gewaltiger Korruptionssumpf das Land trocken. Die Kassen sind geplündert, die Stimmung am Boden, viele Politiker im Gefängnis. Unter dem ungeliebten weil nur nach der umstrittenen Amtsenthebung von Dilma Rousseff ins Amt gekommenen Präsidenten Michel Temer ist zumindest der wirtschaftliche Absturz erst einmal gestoppt. Doch Gewalt und Kriminalität haben das Land fest im Griff. Der Mord an der linken Menschenrechtlerin Mariella Franco vor ein paar Tagen in Rio lässt Tausende Menschen auf die Straßen gehen.

Mitten im wirtschaftlichen und politischen Niedergang des Landes ist die neuformierte Nationalmannschaft derzeit der einzige Silberstreif am Horizont. Denn mit dem neuen Trainer Tite kehrte der Erfolg zurück. Er setzt auf junge Kräfte wie Gabriel Jesus (Manchester City) oder Marquinhos (Paris) die wie der damals verletzte Superstar Neymar beim Halbfinal-Desaster nicht dabei waren. Unter Tite marschierte die zuvor holprig gestartete Selecao durch die WM-Qualifikation. Im Sommer soll in Russland WM-Titel Nummer sechs her. Nur wenig später stehen in Brasilien Präsidentschaftswahlen an. Nach Jahren der sportlichen wie politischen Niederlagen soll es dann endlich wieder aufwärts gehen. Denn im Moment setzt Brasilien nur noch Hoffnungen in den Fußball.

(RP)
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