Analyse zur WM-Qualifikation DFB-Elf fehlt oft die "högschde Konzentration"

Nürnberg · Bei aller Spielkunst fallen Patzer wie der von Torwart Manuel Neuer, schlechte Chancenauswertung und Abstimmungsprobleme im Defensivverbund gegen einen Gegner wie Kasachstan zwar kaum ins Gewicht – gegen stärkere Kontrahenten aber schon.

WM-Quali 2014: Neuer verdribbelt sich
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Bei aller Spielkunst fallen Patzer wie der von Torwart Manuel Neuer, schlechte Chancenauswertung und Abstimmungsprobleme im Defensivverbund gegen einen Gegner wie Kasachstan zwar kaum ins Gewicht — gegen stärkere Kontrahenten aber schon.

Den strengen Herrn Bundestrainer, den Perfektionisten, der so herrlich schmallippig in der Trainerzone wüten kann, hatte Jogi Löw irgendwo auf dem Weg von der Bank in die Kabine von Nürnberg zurückgelassen. Stattdessen kramte er nach dem 4:1-Sieg im WM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan den väterlich-milden Freund seiner Spieler hervor. "Wir haben es in der ersten Halbzeit unheimlich gut gemacht", sagte Löw, "in der zweiten Halbzeit ging ein bisschen die Konzentration verloren. Dafür habe ich aber auch ein bisschen Verständnis. Schließlich haben die Spieler bald wieder schwere Aufgaben."

Es gab kein böses Wort zum grotesken Solo von Torwart Manuel Neuer vor dem eigenen Strafraum, der hoffnungslos unterlegenen Gästen ihr Tor schenkte. Allenfalls die lapidare Bemerkung: "Es war ein Fehler, na gut. Und ich fand es nicht fair, dass das Publikum danach seine Aktionen mit Häme begleitet hat." Niemand hörte ein verschärftes Grummeln über den verschwenderischen Umgang mit Torchancen. Löw stellte lediglich fest: "Wir hätten schon auch ein paar Tore mehr machen müssen". Und er ersparte sich die übliche, mit dem badischen Superlativ gewürzte Mahnung, nach der es ohne "högschde Konzentration" auf der ganz großen Bühne nichts zu gewinnen gebe.

Entscheidung im Herbst

Für dergleichen Mahnungen war die Begegnung mit dem nicht einmal zweitklassigen Gegner vielleicht auch kein glaubwürdiger Anlass. Die Partie bot trotzdem Lehrmaterial für gemeinsame taktische Stunden auf dem Weg zur Weltmeisterschaft. Dass dieser Weg durch zwei eingeplante Erfolge über den Fußballzwerg Kasachstan und die gleichzeitigen Punktverluste der Konkurrenz ein wenig leichter geworden ist, räumten Löw und seine Spieler ein. "Entschieden wird die Gruppe aber erst im Herbst", betonte der Bundestrainer zu Recht.

Dann kommt es zu den Spielen gegen die ernsthafteren Mitbewerber Österreich, Irland und Schweden. Dann wird die deutsche Elf zu högschder Konzentration über die gesamte Spieldauer aufgefordert sein. Und sie muss dann, ganz sicher aber bei der WM, eine bessere Balance zwischen Zauberfußball und abgeklärter Berufsausübung hinbekommen. So sehr auch Mesut Özil, Mario Götze, Ilkay Gündogan und Marco Reus ihr Publikum durch direkte Kombinationen verzücken können, so wichtig ist dann und wann auch der ganz kühle Abschluss. Das war gegen Kasachstan wunderbar zu erkennen.

Die Offensivkräfte, die in ihrem wirbligen Zusammenspiel längst alle Diskussionen um das vermeintliche Spiel ohne Stürmer beendet haben, kombinierten sich im Minutentakt zu großen Chancen. Und sie wollten es vor lauter Begeisterung oft viel zu schön machen. Dabei scheiterten sie mit Kunstschüssen am Torgestänge oder schossen Torwart Andrey Sildelnikov warm. Dass es einfacher geht, bewies Reus in der letzten Minute. Sein Wille, diesen Treffer ohne überflüssigen Bonuspunkt für die Schönheit der Ausführung zu erzielen, war zu erkennen wie die notwendige letzte Konzentration beim Schuss.

Reus wird ebenso wie seine Kollegen und wie Löw wissen, dass gegen die Großen nicht zehn Chancen gelassen verspielt werden können, denn dann gibt es manchmal nur zwei. Dass Patzer wie der von Neuer und ein zu großer Abstand zwischen Offensive und Defensive gegen bessere Kontrahenten verboten sind, ist ebenfalls eine Lehre aus dem Kasachstan-Spiel. Die bescheidenen Tormöglichkeiten der Gäste wurden durch den deutschen Torwart und ein, zwei kleine Momente mangelnder Abstimmung zwischen den Mittelfeldspielern und den Verteidigern geschenkt. Dass die Innenverteidiger Per Mertesacker und Jerome Boateng in der Rückwärtsbewegung gegen mehrere bewegliche Angreifer dann manchmal unglücklich aussehen, kann bei furchtsamen Gemütern Bedenken auslösen.

Lob für Gündogan

Bei einem funktionierenden Zusammenhalt kommen solche Szenen nicht vor. Verhindert werden sie von den zentralen Spielern im einstmals defensiven Mittelfeld. Wenn die zur högschden Konzentration finden, ist Deutschland in diesem Bereich beneidenswert besetzt. Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger sind auf oberstem internationalen Niveau. Ilkay Gündogan ist höchstens ein kleines Stück davon entfernt. "Er war gut", sagte Löw, "er ist extrem wichtig für uns geworden und für den Kader unentbehrlich." Gündogan hat das schon beim 2:1-Sieg in Frankreich bewiesen. Das ist dann schon eher das Kaliber, mit dem sich Löws Team messen muss.

(RP/seeg)
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