DFB-Kapitän Julian Draxler Eine Frage der Ehre

Frankfurt/Düsseldorf · Julian Draxler hat seine Karriere kühl durchgeplant. Doch die Kapitänsbinde im Perspektivteam für den Confed Cup empfindet sogar der Geschäftsmann in kurzen Hosen als Verpflichtung.

Julian Draxler spielt mit Binde in Regenbogenfarben
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Draxler spielt mit Binde in Regenbogenfarben

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Die älteren Schalker Fußballfreunde mit einem gut funktionierenden Langzeitgedächtnis werden sich bestimmt noch erinnern. Vor vier Jahren ließ der Gelsenkirchener Bundesligist acht Kleinlaster durchs Revier rollen, darauf überlebensgroße Bilder des Spielers Julian Draxler, und auf den Plakaten war zu lesen: "Mit Stolz und Leidenschaft bis 2018." Der Kollege Draxler hatte soeben seinen Vertrag verlängert.

Bis zum Jahr 2018 hielten Stolz und Leidenschaft dann doch nicht, denn Draxler fand es 2015 viel besser, für noch viel mehr Geld zum VfL Wolfsburg zu wechseln. Rund 37 Millionen Euro soll der VW-Konzern ins Ruhrgebiet überwiesen haben. In der Nähe der VW-Zentrale vereinbarte Draxler ein neues Zukunftsmodell. Bis 2020 sollte er die prägende Figur bei den Niedersachsen sein.

Doch auch hier kam etwas dazwischen. Hauptsächlich wieder viel Geld. Diesmal stammt es von den Scheichs aus Katar. Denen gehört der französische Erstligist Paris St. Germain. Sie zahlten 45 Millionen Euro, und deshalb wechselte Julian Draxler im zarten Alter von 23 Jahren zum dritten großen Klub. "Ich fühle mich wohl", sagt er, "ich bin sportlich und vom Umfeld her gut aufgehoben."

"Ich versuche immer voranzugehen"

So geht das, wenn Draxler spricht, immer auf den Punkt, nie zu verbindlich und auf keinen Fall zu viel. Selbst in seiner jüngsten Rolle fühlt er sich nicht zum Pressesprecher berufen. Draxler führt als Kapitän das sogenannte Perspektivteam des Deutschen Fußball-Bundes in den Confed Cup nach Russland, der am Samstag mit dem Spiel des Ausrichters gegen Neuseeland beginnt und in dem die DFB-Auswahl am kommenden Montag gegen Australien antritt.

Draxler hat seine Vorstellung vom neuen Job nach seinem 30. Länderspiel der Öffentlichkeit beschrieben. "Ich sehe meine Aufgabe auf dem Platz", stellte er nach dem Nürnberger Schießen gegen San Marino fest, "da versuche ich immer voranzugehen. Darüber hinaus habe ich mich nicht verändert. Es ist nicht meine Art, 20-minütige Reden in der Kabine zu halten."

Dabei hätte er durchaus Talent zum flüssig vorgetragenen Wort. Er ist schon so furchtbar lang Profi, dass er sehr korrekt, sehr anständig, manchmal ziemlich blumig und, wo es denn sein muss, in den Floskeln des Berufssports antworten kann.

Zum Beispiel, wenn einer von ihm wissen will, ob er sich in diesem Sommer nicht lieber wie andere aus dem Kreis der vergleichsweise arrivierten Nationalspieler an den Strand gelegt hätte, statt im fernen Russland um zweifelhaften Ruhm beim Pokal der Konföderationen zu kämpfen. Da erklärt er: "Der Bundestrainer hat immer zu mir gestanden, auch wenn es mal nicht so lief. Es ist mir eine Ehre, für Deutschland und für Jogi Löw zu spielen."

Wie ein glattgebügelter Geschäftsmann

Das ist ein Bekenntnis, das zunächst so gar nicht zu einem passen will, der seine Karriere mit kühler Berechnung zu planen scheint, der Öffentlichkeitsarbeit ohne erkennbare Emotionen leistet und der alles in allem wie ein glattgebügelter Geschäftsmann in eigener Sache rüberkommt. Er hat gelernt, dass Vereine aus Vertragsabschlüssen zwar nette Werbeaktionen machen können, ansonsten aber immer am kürzeren Hebel sitzen.

Schalke hat mit seiner folkloristischen Lkw-Aktion bei Draxler ebenso wenig bleibenden Eindruck hinterlassen wie die Idee der Wolfsburger Öffentlichkeitsarbeiter, die sein Foto im Sommer 2016 auf ein Plakat mit der Aufschrift "Wolfsburger. Mit jeder Faser" drucken ließen. Das hinderte den Spieler nicht daran, bereits im besagten Sommer ein mächtiges Genöle anzustimmen, das allein den Zweck verfolgte, sehr bald nach London, Paris oder Turin zu wechseln. Es half dem Verein nur unwesentlich, dass sogar VW-Vorstand Garcia Sainz dem prominenten Fußballer eine kleine öffentliche Nachhilfestunde in Fragen des Vertragsrechts hielt. Zum Jahreswechsel hatte Draxler sein Ziel erreicht.

Anders allerdings als nach seinem Wechsel von Schalke zu Wolfsburg bietet der Mittelfeldspieler im Pariser Star-Ensemble sehr manierliche Leistungen an. Er wirkt reifer, entschlossener und viel mehr am Spiel beteiligt. Seine Vorstellungen in der Nationalmannschaft spiegeln diese fußballerische Entwicklung. Draxler wartet nicht mehr auf den offensiven Flügelpositionen darauf, dass ihm das Spiel herbeigetragen wird, damit er es mit einem flotten Solo und ein paar Übersteigern fortsetzen kann. Er holt sich das Spiel, kommt häufig durch die Mitte, bietet sich an als zentraler Punkt eines jungen Teams. Und er ist sich nicht einmal mehr für den Rückwärtsgang zu schade. Das ist neu.

Löw darf sich in seiner Geduld mit Draxler bestätigt fühlen, und Draxlers Karriere wird womöglich in der Erfüllung eines großen Versprechens münden. Er legte es als Teenager ab, durch seine Vorstellungen auf dem Rasen. Mit 19 hatte er 100 Pflichtspieleinsätze für Schalke 04 auf dem jungen Buckel, mit 20 war er Weltmeister. Mit 23 ist er Kapitän der DFB-Auswahl - wenn auch nur vertretungsweise. 20-minütige Kabinenreden wird er auch künftig nicht halten.

(pet)
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