Ronaldo ist nicht alleine Das Problem mit dem Karriereende zum richtigen Zeitpunkt

Analyse | Düsseldorf · Cristiano Ronaldo beschädigt in diesen Wochen sein eigenes sportliches Denkmal. Das WM-Aus ist nun der traurige Höhepunkt. Warum es Stars schwer fällt, die Karriere zum richtigen Zeitpunkt auf die beste Art zu beenden.

Letztes WM-Spiel: Cristiano Ronaldo verliert mit Portugal gegen Marokko - Abschied mit Tränen
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So verabschiedet sich Ronaldo von der WM-Bühne

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Foto: AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Portugals Nationaltrainer Fernando Santos wurde deutlich. „Lasst ihn in Ruhe“, sagte er noch vor dem WM-Viertelfinal-Aus der Portugiesen gegen Marokko und meinte damit Superstar Cristiano Ronaldo. Den kritischen Umgang durch die Medien habe dieser „nicht verdient nach allem, was er für den portugiesischen Fußball getan hat“. Was vordergründig dem Stürmer den Rücken stärken sollte, lässt sich aber auch anders interpretieren: Ronaldos Zeit neigt sich dem Ende entgegen, nur Spott muss es nun bitte wirklich nicht sein.

Die vergangenen Wochen wirken wie eine Teilmontage des Denkmals, das sich Ronaldo in seiner langen Profi-Karriere selbst errichtet hatte – zumindest aus sportlicher Sicht. Sagenhafte 701 Tore erzielte er in 949 Partien für seine Vereine Sporting Lissabon, Manchester United, Real Madrid und Juventus Turin. Für die Nationalmannschaft Portugals, mit der er 2016 überraschend Europameister wurde, waren es noch einmal 118 Treffer in 196 Spielen. Die WM in Katar war seine fünfte. Genauso häufig gewann er die Champions League, er wurde Meister in England, Spanien und Italien. Sein sportliches Vermächtnis ist unbestritten, aber der Legendenstatus bekommt langsam Risse.

Erst gab Ronaldo ein Eklat-Interview, auf das der Rauswurf bei seinem Herzensklub Manchester United folgte. Dann folgten Egomanen-Auftritte beim WM-Turnier in Katar bei immer schwächer werdenden Leistungen. Einst stand der Mann aus Madeira für Torgefahr. Diese kommt ihm immer mehr abhanden. Nur noch wenige Torschüsse pro Spiel gibt er überhaupt ab, längst hatte er seinen Stammplatz in Manchester verloren – und zum Schluss auch in der Nationalmannschaft. Es gibt einfach Bessere als ihn, Gefährlichere. Ronaldo wurde verzichtbar, selbst im wichtigen Viertelfinalspiel gegen Marokko saß er zunächst auf der Bank, bevor er später eingewechselt wurde.

Doch statt sich unterzuordnen, sich mit der Situation abzufinden, legt der egozentrische Ronaldo Auftritte hin, die auch Teamkollegen kopfschüttelnd zurücklassen. Während sich seine Mitspieler von den Fans nach dem Achtelfinale feiern ließen, drehte er ab, verschwand in der Kabine. Er wusste, dass Millionen Menschen diese Szenen sehen, wie zuvor Tausende seinen Einsatz im Spiel forderten. Am Samstagabend stapfte er mit Tränen in den Augen nach dem Aus gegen Marokko direkt in die Kabine, gratulierte dem Gegner nicht, tröstete seine Mitspieler nicht. Ronaldo ist Profi – auf und neben dem Platz. Doch mit der Karriere, die sich langsam, aber sicher gen Ende neigt, kann er sich nicht anfreunden. Ronaldo ist zerfressen vom Ehrgeiz. Passend dazu das Gerücht, er hätte abreisen wollen, nachdem ihn Santos auf die Bank verbannte. Majestätsbeleidigung.

„Es ist das erste Mal in seiner Karriere, dass er infrage gestellt wird. Viele Dinge ändern sich gerade für ihn, er hat keine Erfahrungswerte darin“, sagt Ex-Bundesliga-Profi Florian Kringe. Er spielte einst für Borussia Dortmund und den FC St. Pauli, bevor eine schwere Hüftverletzung ihn zum Karriereende zwang. Inzwischen betreut er Spieler als Berater und führt regelmäßig Gespräche über die Zeit nach der Karriere. Er könne nachvollziehen, dass sich Ronaldo derzeit schwertut, „Anspruchsdenken mit den sportlichen Möglichkeiten in Einklang zu bringen“.

Dass sich Sportler schwer damit tun, zum richtigen Zeitpunkt ihre Karriere zu beenden – oder diese zumindest in Würde ausklingen zu lassen – ist kein neues Phänomen. Und es betrifft auch nicht nur Fußballer. Die Skispringer Simon Ammann (Schweiz) und Noriaki Kasai (Japan) etwa hätten nach ihren großen Erfolgen in der Vergangenheit mehrfach die Möglichkeit gehabt, zum richtigen Zeitpunkt abzutreten. Doch sie schafften es nicht. Ähnlich erging es dem deutschen Tennis-Profi Thomas Haas, der sich lange weigerte, das Unvermeidliche einzusehen.

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Foto: AFP/KARIM JAAFAR

Der Sportpsychologe René Paasch nennt das „Angst vor der Zukunft“. Paasch arbeitet mit vielen Sportlern, spricht oft mit ihnen genau über solche Situationen. „Ronaldo hat ein Leben lang alles für diesen Sport investiert und definiert sich darüber. Wenn man sich nicht vorstellen kann aufzuhören, tut man alles dafür, um weiterhin in der Situation zu verbleiben“, so der Sportpsychologe.

Man müsse bei Ronaldo anerkennen, dass er mit 37 Jahren noch immer auf diesem Niveau Fußball spiele, meint Kringe, der mit dem BVB Deutscher Meister wurde. „Er ist fitter als andere und kann sicherlich noch den Unterschied machen“, so Kringe. „Auch wenn das vielleicht nicht mehr in der gewohnten Regelmäßigkeit der Fall ist“. Das müsse sich Ronaldo nun eingestehen. Mental sei diese Phase außergewöhnlich. Das weiß auch Sportpsychologe Paasch. „Profisportler sind oftmals so sehr mit ihrer Sportart verbunden, dass sie Sorge davor haben, nicht mehr damit in Verbindung zu stehen“, sagt er.

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Foto: AFP/NELSON ALMEIDA

Dieser Narzissmus scheint bei Ronaldo besonders ausgeprägt. Er war der erste Fußballer, der sich wichtiger nahm als den Verein selbst, der kaum jemanden anderen neben sich duldete. Er war stets die Nummer eins, auf ihn war alles ausgerichtet. Doch in den gut 20 Jahren seiner Karriere hat sich der Fußball verändert. Es sind nicht mehr nur die Einzelspieler, die das Spiel bestimmen. Die Mannschaft ist wichtiger geworden, die taktischen Vorgaben der Trainer sind es ebenfalls.

„Menschen blicken häufig ängstlich in die Zukunft“, sagt Paasch. Vielleicht gibt sich Ronaldo auch deshalb so, wie er das aktuell tut. Und der Sportpsychologe verweist zudem auf einen persönlichen Schicksalsschlag des portugiesischen Superstars. „Bei Ronaldo sehen wir aber immer nur seine Außenwirkung. Wir sollten auch in Betracht ziehen, dass er und seine Ehefrau in diesem Jahr ein Kind verloren haben. Solche Erfahrungen ziehen oft außergewöhnliches Verhalten nach sich. Man wird seinen eigenen Bedürfnissen und fremden Erwartungen dann nur geringfügig gerecht“, so Paasch.

 Cristiano Ronaldo schreibt nur noch selten sportliche Geschichten.

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Foto: dpa/Tom Weller

Bei Ronaldo kommt derzeit also eine Menge zusammen, womit ein Mensch erst einmal klarkommen muss. Seine Situation ist kaum mit der von „normalen“ Profi-Sportlern zu vergleichen, dennoch sehen sowohl Paasch als auch Ex-Profi Kringe darin einen guten Beweis, dass man sich frühzeitig mit dem beschäftigen muss, was nach der aktiven Karriere kommt. „Sportlern empfehle ich, sich mit kleinen Schritten Themen außerhalb des Berufsfeldes Leistungssport zu nähern. Wir verändern uns ein Leben lang und das bedingt eine stetige Entwicklung und Anpassung. In diesem Zusammenhang, erwähne ich auch gern Folgendes: Wir sollten weniger wollen und mehr geschehen lassen.“ Ob Ronaldo das nach dem WM-Aus auch tut, wird sich zeigen.

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