Nach Niederlage gegen Kroatien Russland feiert Spieler trotz WM-Aus als Helden
Moskau · Russlands Präsident Wladimir Putin hat Stanislaw Tschertschessow zu einem „großartigen Spiel“ gratuliert. Auch Medien und Fans feiern das russische Team nach dem Ausscheiden im Elfemterschießen gegen Kroatien.
Der Kreml hat die Spieler der Sbornaja trotz des Ausscheidens aus der Weltmeisterschaft als Nationalhelden bezeichnet. „Unsere Mannschaft hat in einem ehrlichen und schönen Spiel verloren“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstagabend in Moskau. Man könne stolz auf die Fußballer sein, sie seien toll gewesen. „Sie sind Helden. Sie sind auf dem Feld gestorben“, sagte der Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin der Agentur Interfax zufolge.
Russland schied nach der 3:4-Niederlage im Elfmeterschießen gegen Kroatien im Viertelfinale in der Schwarzmeerstadt Sotschi aus dem Turnier aus. Nach 120 Minuten hatte es 2:2 (1:1, 1:1) gestanden. Im Elfmeterschießen unterlagen die Russen dann mit einem Fehlschuss mehr als die Kroaten. Peskow betonte, man wünsche den verbliebenen Mannschaften alles Gute.
Auch Wladimir Putin hat dem Team zu der Leistung während der WM gratuliert. „Er hat mich kurz nach dem Spiel angerufen und uns für ein großartiges Spiel gratuliert“, sagte Tschertschessow.
„Aber ich habe ihm gesagt, dass wir enttäuscht sind. Er hat mir geantwortet, dass wir die Augen offen halten und unsere nächsten Schritte machen sollen.“
Putin war bei der Partie in Sotschi nicht im Stadion gewesen. Stattdessen hatte Ministerpräsident Dmitri Medwedew auf der Tribüne des Fischt-Stadions mitgefiebert. „Ich hatte noch nie solche Emotionen bei einem Fußballspiel“, sagte Medwedew. Putins Premierminister bedankte sich auch im Namen seines Bosses persönlich beim Team in der Kabine im Olympiastadion für "eine großartige WM". Er war überzeugt, Zeuge einer Zeitenwende geworden zu sein. Der russische Fußball werde nie wieder "sein enttäuschendes altes Selbst" zeigen, sagte Medwedew: "Ich bin ganz sicher, dass wir einfach einen anderen Fußball sehen werden."
In der russischen Hauptstadt feierten Zehntausende Menschen in der Fanzone in der Nähe der renommierten Lomonossow-Universität beim Public Viewing. Schnell überwog der Stolz auf die bärenstarke Sbornaja und eine märchenhafte Endrunde. „Ich habe ja nie geglaubt, dass Russland überhaupt so weit kommt“, sagte ein Moskauer Fan. „Wir hatten schon Grund zu feiern, bevor wir heute rausgeflogen sind. Wir können stolz auf unsere Leistung sein.“ Zahlreiche Russen bejubelten auf dem Weg ins Stadtzentrum die russische Mannschaft mit lauten „Rossija, Rossija“-Rufen und feierten bis in den Morgen - Autokorsos und euphorische Gesänge blieben diesmal aber aus.
Wenige Stunden zuvor war ein körperlich und mental völlig erschöpfter Stanislaw Tschertschessow wie ein schwer geschlagener Boxer vor die Presse getreten, die ersten Journalisten-Fragen bekam er gar nicht mit. Der Nationaltrainer der Russen, der weltweit zum Gesicht des extrem wehrhaften Außenseiters geworden war, tat sich nach der Niederlage im Elfmeterschießen am schwersten, den Frust abzustreifen.
Ob Tschertschessow die vermeintliche neue Ära des russischen Fußballs weiter prägen wird, ist offen. "Es ist nicht vorhersagbar, ob ich bleibe oder nicht, wir werden erst mal nicht nach vorne schauen", sagte der 54-Jährige: "Wir müssen alles sorgfältig analysieren."
Die Russen werden wohl alles dafür tun, ihren Nationaltrainer, der gegen die Kroaten wie ein wild gewordener Bär immer wieder Spieler und Zuschauer angefeuert hatte, vom Weitermachen zu überzeugen. Kritische Worte waren in den russischen Medien am Tag nach der Pleite kaum zu vernehmen. In einer Umfrage des populären Fachportals Sports.ru bewerteten mehr als 80 Prozent der befragten die WM trotz des Ausscheidens des Gastgebers positiv.
Allenfalls Fedor Smolow bekam sein Fett weg. Nachdem Russland in einer nervenaufreibenden Verlängerung durch Domagoj Vida zunächst das 1:2 kassiert (101.) und dann doch noch durch den eingebürgerten Brasilianer Mario Fernandes ausgeglichen hatte (115.), vergab Smolow den ersten Elfmeter mit einem peinlichen und überheblichen Lupfer.
Trotzdem herrschte grundsätzliche Jubelpflicht. "Champion unserer Herzen", titelte Sport Express, und Sowjetski Sport schrieb: "Danke, Jungs! Ihr habt gegen Kroatien verloren, aber wie die Löwen gekämpft."
Dass nun allerdings tatsächlich die Zukunft des russischen Fußballs golden leuchtet, darf getrost bezweifelt werden. Auch gegen die Kroaten war die Sbornaja wie schon im Achtelfinale gegen Spanien, das sie im Elfmeterschießen gewann, spielerisch klar unterlegen. Vor allem dank ihres unbändigen Kampfgeistes und eines fast unglaublichen Laufvermögens, das nicht wenige Anti-Doping-Experten mit Argwohn beäugen, konnten die Russen in der K.o.-Phase mithalten. Gegen die Kroaten liefen sie neun Kilometer mehr als der Gegner.
So gab es in den russischen Medien trotz allen Jubels auch Stimmen, die die Leistung des Teams zwar anerkannten, aber auch realistischer als Medwedew einordneten. "Die Grenze des Glücks ist erreicht", stellte Gazeta trocken fest, und Sport Express fragte: "Wann wird Russland wieder die Chance auf ein WM-Halbfinale haben? Wahrscheinlich erst beim nächsten Heimturnier, wenn wir alle nicht mehr leben."