Viertelfinale gegen Kolumbien Brasiliens "Heulsusen" wollen zu Helden werden

Fortaleza · Die Brasilianer waren reif für die Couch, jetzt sehen sie sich psychisch gerüstet für eine Heldentat. Nichts anderes erwarten 200 Millionen Landsleute im Viertelfinale gegen Kolumbien.

WM 2014: James Rodriguez verkürzt per Elfmeter auf 1:2
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Rodriguez verkürzt per Elfmeter auf 1:2

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Psychologin Regina Brandao scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Superstar Neymar jedenfalls trat äußerst selbstsicher vor die Presse, er versprühte seinen jugendlichen Charme und drückte bei seinen Kampfansagen das Kreuz kräftig durch. Jeder sollte sehen: Die als "Heulsusen" verspotteten Brasilianer wollen wieder Helden sein — mit einem Sieg im WM-Viertelfinale am Freitag (22.00 Uhr MESZ/Live-Ticker) gegen die unbequemen "Cafeteros" aus Kolumbien um Shootingstar James Rodriguez.

"Wir müssen nicht so viel über Druck nachdenken. Wir spielen doch hier im Hinterhof unseres Hauses, die Fans sind unsere", sagte Neymar: "Ich stecke das locker weg, weil das mein Traum ist." Seinen weniger gefestigten Mitspielern riet er: "Wir tragen eine große Verantwortung, aber wir müssen das auch als Spiel ansehen. Wenn wir verlieren, sind wir nicht tot." Auch Trainer Luiz-Felipe Scolari meinte, eine Niederlage "wäre nicht das Ende der Welt".

Silva trifft zur frühen Führung für Brasilien
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Silva trifft zur frühen Führung für Brasilien

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Das nicht, aber Neymar und Co. wissen: Scheiden sie aus, stürzen sie ihr Land in ein Tal der Tränen, und die momentane Euphorie würde schnell in Wut auf die "Versager" umschlagen. Die emotionalen Szenen mit reichlich Tränen beim Achtelfinal-Krimi gegen Chile haben gezeigt, dass das Nervenkostüm der Brasilianer angesichts des Titel-Drucks mächtig gelitten hat.

Wie groß die Erwartungshaltung ist, bekam der Rekord-Weltmeister, für den bei den zwei Weltmeisterschaften zuvor jeweils im Viertelfinale Endstation war, bei seiner Ankunft in Fortaleza zu spüren. Hunderte Fans hießen ihre Lieblinge Mittwochnacht am Marina Park Hotel willkommen, mehr als den Teambus bekamen sie aber nicht zu sehen.

Professionelle Hilfe von der Psychologin

Luiz erhöht für Brasilien mit einem Freistoßkracher
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Luiz erhöht für Brasilien mit einem Freistoßkracher

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Wegen der enormen Anspannung hat Trainerfuchs Luiz-Felipe Scolari der Selecao professionelle Hilfe zur Seite gestellt. Offenbar mit Erfolg. "Positive Energie!!", twitterte Linksverteidiger Marcelo vor dem Anpfiff. Auch Neymar taten die Stunden mit Psychologin Brandao gut: "Ich hatte so etwas vorher nicht gemacht, aber ich habe es genossen."

Auch körperlich ist der 22-Jährige bereit für das mit Spannung erwartete Privat-Duell gegen Kolumbiens Ausnahmekönner Rodriguez. "Mir geht es gut, ich habe keine Schmerzen mehr", sagte der Offensivstar des FC Barcelona. Als Erinnerung an den harten Kampf gegen Chile hatte er sich zuletzt mit Problemen am linken Oberschenkel und am rechten Knie herumgeschleppt.

Neymar muss auch mental und physisch auf der Höhe sein, denn Brasilien war bislang stark abhängig von der Form des viermaligen WM-Torschützen. Außerdem wartet auf der anderen Seite Rodriguez (5 Treffer) zum Wettballern um die WM-Torjägerkrone. "Keine Ahnung, wer der bessere Spieler ist. Ich hoffe, sein Zyklus endet jetzt", sagte Neymar über "King James".

Der kolumbianische Überflieger nannte Brasilien einen schwierigen Gegner mit großartigen Spielern, "aber das gleiche müssen sie auch über uns denken." Mittelfeldspieler Carlos Sanchez glaubt, dass Rodriguez und dessen kongenialer Partner Juan Cuadrado (4 Torvorlagen, 1 Tor) den WM-Gastgeber in eine tiefe Depression schießen: "Wir haben unsere Waffen, mit denen wir jedem Team weh tun können."

Brasilien - Kolumbien: die Fakten
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Foto: afp, desk

"Gelbfieber" im Stadion

Doch nicht nur auf dem Rasen wird es heiß zugehen. Die Rivalität der beiden südamerikanischen Teams dürfte für eine hitzige Stimmung im Estadio Castelao sorgen. Da die traditionelle Trikotfarbe beider Mannschaften gleich ist, wird in der Arena das "Gelbfieber" umgehen.

Die benachbarten Grenzstädte Tabatinga (Brasilien) und Leticia (Kolumbien) schließen am Spieltag sogar ihre Schranken, weil sie Krawalle befürchten. Der Bürgermeister von Bogota hat für die Kolumbianer ab 10.00 Uhr morgens für zwölf Stunden "Ley Seca" ausgerufen, ein Ausschenk-Verbot von Alkohol.

Zudem ist der Verkauf von Mehl und Rasierschaum untersagt. Im fußballverrückten Kolumbien werden Fans bei Siegesfeiern häufig mit Schaum eingeseift und in "Mehl-Bomben" gehüllt. Beides führt regelmäßig zu Schlägereien. Auch Fortaleza ist in erhöhter Alarmbereitschaft, es patrouillieren deutlich mehr Polizisten und Soldaten an öffentlichen Plätzen.

(sid)
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