Oranje in der Krise Niedergeschlagenlande

Düsseldorf · Holland wird wohl einmal mehr ein großes Turnier verpassen. Einer Nationalmannschaft, die früher für begeisternden Offensivfußball und einen nie versiegenden Quell an Talenten stand, mangelt es heute an Qualität und Köpfen.

 Die enttäuschten Oranje-Spieler um Arjen Robben.

Die enttäuschten Oranje-Spieler um Arjen Robben.

Foto: rtr, saw

Am Ende war es wohl wieder eine dieser Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Und es war eine, die Dick Advocaat auf die Füße fiel. Ihm und seiner Aussage, die der Trainer der holländischen Nationalmannschaft im Vorfeld des WM-Qualifikationsspiels in Weißrussland einem Journalisten engegengeblafft hatte. "Die werden nicht 8:0 gewinnen. Was für eine dumme Frage", hatte Advocaat gepoltert, nachdem er auf einen möglichen Kantersieg des direkten Kontrahenten Schweden gegen Luxemburg angesprochen worden war. Dumm nur, dass die Skandinavier 8:0 gewannen und dadurch für eine Vorentscheidung im Kampf um die Play-offs zur Endrunde in Russland sorgten.

Weil die Niederlande in Weißrussland später nur 3:1 siegten, brauchen sie morgen gegen Schweden (20.45 Uhr) einen Erfolg mit sieben Toren Vorsprung, wollen sie nicht nach der EM 2016 das zweite große Turnier in Folge verpassen. In Holland selbst, ja auch in ganz Europa reiben sich Fußballfans verwundert die Augen, was aus dieser Nationalmannschaft geworden ist. Aus der "Elftal", die über Jahrzehnte mit ihrem "Totaalvoetbal", dem Totalen Fußball, die Gegner auseinanderspielte. Schaurig schön gescheitert waren sie am Ende dann ja doch immer - wie bei den verlorenen WM-Endspielen 1974, 1978 und 2010 -, aber wenn Holland spielte, gab es eigentlich immer offensives Spektakel. In einem System, in dem elf Spieler angriffen und elf verteidigten, in dem jeder theoretisch jede Position einnehmen können sollte. Unberechenbar waren sie, die Holländer, schnell, überfallartig, ihrer Zeit voraus. Mit einem Verständnis für Raum und Bewegungen, wie es keiner hatte. Inzwischen jedoch haben andere Nationen Holland in puncto taktische Flexibilität überholt. Wo Oranje war, war lange vorne, heute indes ist der Spielstil in Teilen rückständig.

In Holland, so sah man es neidisch im umliegenden Europa, reihte sich Goldene Generation an Goldene Generation. Johan Cruyff und Co. in den 70ern, danach Ruud Gullit, Marco van Basten und Frank Rijkaard, es folgten Teams um Denis Bergkamp, Marc Overmars und Patrick Kluivert, zuletzt Ausnahmetalente wie Wesley Snijder, Arjen Robben oder Robin van Persie. Doch die letzte Goldene Generation ist in die Jahre gekommen, und Nachfolger sind nicht in Sicht.

Denn die Nation, die über das Vorzeigeprojekt Ajax Amsterdam über Jahrzehnte Talente am Fließband hervorbrachte, produzierte zuletzt mehr Masse als Klasse. Es wechseln zwar immer noch Nachwuchskönner aus Holland für viel Geld in die europäischen Top-Ligen, aber so wie die Vereine der "Eredivisie" international nur noch zweitklassig sind, so hat auch die Nationalelf ihren Platz unter den Top-Nationen eingebüßt. Die Zeitung "De Volkskrant" urteilt: "Die Krise ist so tief. Die Niederlande müssen wieder lernen, Fußball zu spielen."

Die Frage ist dabei allerdings: Wer soll der Nationalelf das Fußballspielen wieder beibringen? Denn die Protagonisten im Verband taten sich zuletzt eher durch persönliche Animositäten und Scherereien hervor, als durch den Willen, demütig ein Konzept zur Besserung aufzulegen. Auch für den erst vor wenigen Monaten als Bondscoach zurückgekehrten Dick Advocaat könnte der morgige Abend von Amsterdam schon wieder der Schlusspunkt sein. Konstanz auf der Trainerbank? Zuletzt Fehlanzeige.

Arjen Robben hat jedenfalls den Glauben an ein Oranje-Wunder schon aufgegeben. "Ich würde den Rechenschieber mal schön zu Hause lassen", sagte der sichtlich frustrierte Kapitän mit Blick auf das Schweden-Spiel.

mit Material von dpa und sid

(klü)
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