Kolumbien im Gelbieber "Cafeteros" feiern auf dem Trockenen

Bogota/Rio de Janeiro · Kolumbien ist nach dem erstmaligen Einzug in ein WM-Viertelfinale im Fußballrausch. Eine Bestandsaufnahme in einem Land außer Rand und Band.

So feiern "Los Cafeteros" den Viertelfinal-Einzug Kolumbiens
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Hollywood-Star Will Smith trägt es, Staatspräsident Juan Manuel Santos natürlich auch. Und natürlich James Rodriguez, Kolumbiens neuer Volksheld, der mit seinen fünf Toren ein ganzes Land ins WM-Fieber versetzt hat. Das gelbe Trikot mit den blauen Querstreifen und dem roten Ball auf der Brust - es ist für die Fans in dem Kaffee-Staat zwischen Karibik, Pazifik und Anden zur zweiten Haut geworden.

Und der irre Freudentaumel, der am Freitag beim Viertelfinale gegen Brasilien einen neuen Höhepunkt erreichen soll, steckt selbst den coolen "Man in Black" an. Hollywood-Star Smith, derzeit an der Nordwest-Ecke Südamerikas auf Konzert-Tournee, verbrüderte sich am Samstag nach dem 2:0-Achtelfinal-Triumph über Uruguay im Nationaldress mit den Fans, die vor seiner Hoteltür in Neiva ausgeharrt hatten.

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Landauf, landab feiern 47 Millionen, einige Hundert davon in der farbenfrohsten Straße Medellins: Auf den 350 Metern der "Carrera 30 A" wehen Kolumbiens Landesfahnen einträchtig neben denen der übrigen 31 WM-Teilnehmer, an Balkonen und Strommasten baumeln zahllose bunte Ballons und Wimpeln. Zum Viertelfinale gegen Brasilien pilgern sie dann wieder zur Feiermeile La Milagrosa ("die Wundervolle"). Ein Name, der zu Kolumbiens erstmaligem Einzug in die Runde der letzten Acht einer WM passt wie die Faust aufs Auge.

Party hat auch Schattenseiten

Aber die große Party hat auch Schattenseiten. Die Generaldirektion der Polizei vermeldete nach dem Uruguay-Spiel landesweit 3261 Einsätze wegen Prügeleien, 34 Verletzte, darunter drei mit Schusswunden. Immerhin gab es keine Todesopfer, die direkt mit den WM-Feiern in Verbindung gebracht wurden. Viele werten das Erfolg.

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Wohl vor allem "Ley Seca", das trockene Gesetz, das am vergangenen Samstag in gleich 19 Städten und Regionen verhängt wurde, verhinderte schlimmeres Unheil. Wenn die Cafeteros, die derzeit beliebtesten Repräsentanten des Kaffeelandes, im fernen Brasilien zaubern, herrscht Alkoholverbot - diesmal ab 10.00 morgens für zwölf Stunden.

Sperrstunde für Minderjährige, Fahrverbot für Motorräder und ihre wilden Fahrer - selbst der Verkauf von gängigen Partyutensilien wie Sprayschaum und Mehl, die bei den Riesenfesten gerne auf den Straßen verteilt werden, wurde untersagt. Alles, um die brodelnde Masse irgendwie im Griff behalten zu können, um die euphorisierten Menschen vor sich selbst zu schützen.

"Hoffentlich haben wir keine Gründe zu leiden, und damit meine ich, keine Morde und Schlägereien. Wir wollen nur das schönste Fest unter Kolumbianern", sagte Ricardo Bonilla, Oberbürgermeister in der Hauptstadt Bogota mit Blick auf das Spiel gegen den WM-Gastgeber. "Lasst uns in Ruhe feiern", fordert auch Staatspräsident Santos, bei Seleccion-Spielen selbst ein Heißsporn, der jedes Kolumbien-Tor via Twitter bejubelt. "Lasst uns beweisen, dass wir ein Land sind, das zu feiern versteht."

Die Ausgelassenheit wird dennoch auch diesmal wieder irgendwo in Gewalt umschwenken. Ein Sozial-Wissenschaftler aus Cartagena beschrieb der Tageszeitung El Universal den Hintergrund. Gewalt-Reaktionen seien "eine Mischung aus Wut, Stolz, Nationalismus und Melodram", sagte Ricardo Chica Gelis.

Für den Universitäts-Professor sind seine Landsleute halt "catolicos y alcoholicos", Katholiken und Alkoholiker. Die Katholiken sähen nach dem verletzungsbedingten WM-Aus in Superstar Radamel Falcao einen Märtyrer. Und James Rodriguez habe ihre Erhoffnungen wiederbelebt.

Und der Alkohol? Der nehme den Revoluzzern im Lande, die gegen die vielen Missstände ins Feld ziehen, erst die Hemmungen. "Hier wird doch alles mit Alkohol gefeiert: Muttertage, der Tag der Sekretärin, Fußballspiele - halt alles", sagte auch die Psychologin Zaida Prada.

Und wenn die Kolumbianer am Freitag wegen "Ley Seca" wieder auf dem Trockenen sitzen müssen, wollen sie sich zumindest wieder an James und Co. berauschen.

(sid)
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