Technik im Fußball Der DFB setzt auf künstliche Intelligenz

Moskau/Düsseldorf · Der Deutsche Fußball-Bund nutzt zur Vor- und Nachbereitung der Spiele eine Datenbank seines Sponsors SAP. Die WM-Blamage in Russland hat das nicht verhindert.

 Bundestrainer Joachim Löw und sein Assistent Thomas Schneider.

Bundestrainer Joachim Löw und sein Assistent Thomas Schneider.

Foto: dpa, jai

Über eine an Schlaglöchern reiche Straße im dunklen Wald von Watutinki rumpelt ein russischer Laster der Marke Ural. Der Motor stöhnt vernehmlich, auf der Ladefläche bollert ein Wassertank gegen die Ladeklappen.

100 Meter weiter unterhält der Deutsche Fußball-Bund am WM-Sitz seiner Nationalmannschaft staunende Zuhörer mit Zukunftsmusik der technischen Art. Er stellt Funktionen der Datenbank vor, die Spieler und Trainer in der Vor- und Nachbereitung der Spiele unterstützen soll. „Wir wollen einen Wettbewerbsvorteil haben, indem wir die neuesten technologischen Entwicklungen nutzen“, sagt der Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff. Es ist Mitte Juni, und er ahnt noch nicht, wie wenig der Wettbewerbsvorteil zu einem auch nur einigermaßen befriedigenden Weg durch das WM-Turnier in Russland beitragen soll.

So taugt die technische Revolution zunächst mal tatsächlich nur als Zukunftsmusik. Bierhoff und der DFB-Scout Christofer Clemens erklären den Wert einer Software, die das Walldorfer Unternehmen SAP für den Fußball entwickelt hat. Dass SAP (die Firma, die den Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp so reich machte, dass er fortan die gesamte Region in den Spitzensport beförderte) zu den Sponsoren des Verbands gehört, ist kein Zufall.

 Der DFB nutzt die Analysesoftware "Player Dashboard" von SAP.

Der DFB nutzt die Analysesoftware "Player Dashboard" von SAP.

Foto: SAP

Die Software-Entwickler beteuern selbstverständlich, dass Trainer und Spieler bei der Vorbereitung auf ihre Gegner mächtig Zeit einsparen können. Und sie sind von ihrer Software mindestens so überzeugt wie Bierhoff und Clemens. Das wundert auch niemanden.

Bierhoff, von dem ohnehin keiner erwartet, dass er noch mit Notizblock und Taktiktafel der 70er Jahre durch seinen beruflichen Alltag eilt, findet: „Technologie wird im Fußball immer bedeutender. Und wir müssen jetzt effizient arbeiten und frühzeitig auch in wissenschaftliche Projekte einsteigen.“

Joachim Löw bei der EM 2021 – Freiburger, DFB-Pokalsieger, Weltmeister
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Das ist Joachim Löw

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Foto: dpa, ss

Beim Projekt, das der Verband mit seinem Softwarepartner betreibt, geht es vor allem darum, den enormen Datenberg, den so ein Fußballspiel auftürmen kann, für den Verbraucher in konsumierbare Häppchen zu teilen. Die aufbereiteten Daten sollen „am besten in Echtzeit an die Trainer, Spieler und Analysten weitergegeben werden“ (Bierhoff).

Dazu gibt der DFB seinen Fußballern und Betreuern die Gelegenheit, den sogenannten „Player Dashboard“ auf ihr Handy oder Tablet herunterzuladen. Dort können sie ganze Spiele noch einmal sehen, speziell auf sie zugeschnittene Sequenzen, Beobachtungen gegnerischer Spielweise, Standardsituationen und wichtige Kleinigkeiten in zurückliegenden Partien auf Klick aktivieren. Chefanalyst Clement hält es für entscheidend, „dass keine Daten ohne Zusammenhang präsentiert werden“. Er sagt darüber einen Analystensatz: „Daten ohne Kontext sind ohne Bedeutung.“

Deshalb filtern Analysten und Programmierer das Datenmaterial, bevor sie es ihren Nutzern zur Verfügung stellen. Es habe ja keinen Sinn, Joachim Löws Trainerstab mit all dem zu bombardieren, was auf dem bunten Zahlenmarkt des internationalen Fußballs im Allgemeinen und dem der deutschen Nationalmannschaft im Besonderen erhoben werden kann, erklärt Clemens. Beinahe muss er lachen. Er arbeitet daher an einer bedeutenden Schnittstelle.

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„Müssen nun einen Neuaufbau starten“

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Foto: dpa/Ina Fassbender

Die nächste Schnittstelle wird von Löws Assistenten Marcus Sorg und Thomas Schneider besetzt. Mit deren wesentlichen Erkenntnissen werden danach Löw und anschließend die Spieler verwöhnt. Möglich, dass dabei schon mal was durch irgendwelche schwarzen Löcher in die elektronische Unendlichkeit entkommt. Und durchaus möglich, dass es die eine oder andere menschliche Unzulänglichkeit gibt, die den technologischen Wettbewerbsvorteil zu einem vermeintlichen technologischen Wettbewerbsvorteil macht.

Denn, selbst das ist Clemens und Bierhoff klar, an den wesentlichen Stellen dieser Auswertung von Daten und der Umsetzung der Erkenntnisse „kommt der Mensch ins Spiel“. Man möchte erleichtert durchatmen bei dieser Feststellung. Bierhoff ist sogar überzeugt davon, „dass die Technologie nur zu fünf bis zehn Prozent am Erfolg beteiligt ist. Am Ende ist immer noch der Mensch entscheidend“. Auch da hört man sein Publikum tief ausatmen.

Dazu müssen nicht einmal datenreiche Computerprogramme aufgefahren werden. Bei der Erklärung schlechter Leistungen gegen Mexiko und Südkorea auf dem Spielfeld reicht eine einigermaßen gut funktionierende Erinnerung. Einmal stimmte die Ordnung auf dem Platz von vorn bis hinten nicht (Mexiko), das andere Mal gab es zu wenig Tempo und Geradlinigkeit (Südkorea). Das ist selbst Hobby-Analysten ohne „Player Dashboard“ aufgefallen. Vielleicht bietet das Programm aber Lösungen für die Zukunft an. DFB und SAP glauben das bestimmt. Müssen sie wohl auch.

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