Streit um die Moral im Fußball Die Liga der heuchelnden Gentlemen

Gelsenkirchen/Bremen · Nach dem Wechsel von Franco Di Santo zum FC Schalke 04 wird wieder eifrig über die Moral im Fußball gestritten.

Franco Di Santo im Porträt
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Das ist Franco Di Santo

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Noch vor ein paar Wochen hat Franco Di Santo ganz tief in sich hineingehorcht. Herausgekommen ist dabei folgende Erkenntnis: "Viele Vereine wollten mich, aber ich habe allen gesagt: Ich will lieber bei Werder bleiben." In Bremen hat man sich gestreckt, um dem Angreifer auch Zuneigung zu geben. Im Raum stand ein Jahressalär von drei Millionen Euro. Nett, aber woanders sind sie noch netter.

Schalke 04 hat die Ausstiegsklausel genutzt und den 26-Jährigen für die festgeschriebenen sechs Millionen Euro verpflichtet. Im Internet sorgte das für Unmut. Der Musiker Jan Delay twitterte empört: Ein paar Gedanken später war Delay immerhin wieder soweit abgekühlt, dass er sich für seine derbe Ausdrucksweise bei den Königsblauen aufrichtig entschuldigte.

Natürlich ist nicht Schalke der Böse in diesem Spiel. Es geht um etwas Generelles. Das größte Problem der Branche sind die überzogenen Erwartungen aller Handlungsbeteiligten an den Fußball. Es gibt diese Sehnsucht nach Identifikationsfiguren. Nach echten Typen. Spieler sollen nicht nur Angestellte sein, sie sollen ihren Verein im Optimalfall lieben. Finden jedenfalls viele Fans, die zwar selbst am Montag nach dem Spiel miesepetrig zur Schicht gehen, aber das ist natürlich etwas total anderes. Viele Spieler versuchen Nähe durch Symboliken herzustellen. Dementsprechend eifrig werden dann auch Wappen geküsst und Herzen in Richtung der Anhängerschaft verteilt. Das sind außerordentlich nette Motive fürs Familienalbum. Mehr nicht. Das Problem: Viele verstehen nicht, dass das alles nur eine große Show ist.

Di Santo, oder besser sein Management, hat offenbar großen Gefallen an der Seifenoper gefunden. "Ich erwarte nicht, vollkommen verstanden zu werden. Ich hoffe aber, in Erinnerung zu bleiben als ein Spieler, der trotz vieler Schwierigkeiten immer das Beste gegeben hat", verkündete die Offensivkraft (17 Tore in 49 Spielen) via Twitter am Samstagabend. "Ich habe euch geliebt, ich liebe euch und ich werde euch immer lieben, ihr werdet immer in meinem Herzen leben."

Di Santo ist nicht der erste und er wird auch nicht der letzte Spieler sein, der ein, sagen wir, recht ambivalentes Verhältnis zur Treue hat. Mario Götze hat jahrelang mit Borussia Dortmund eine "Echte Liebe" verbunden - bis der FC Bayern München vor zwei Jahren die in der Ausstiegsklausel festgeschriebenen 37 Millionen Euro hinblätterte. Werder Bremen selbst hat in dieser Transferperiode auf exakt diese Weise einen Wunschspieler zum Schnäppchenpreis von fünf Millionen von Ligakonkurrent 1. FC Köln bekommen. Ein etwas übereifriger Mitarbeiter der Medienabteilung der Hanseaten hatte kurz nach Bekanntgabe ein Foto veröffentlicht, das Ujah vor einem "100-%-Werder"-Schriftzug zeigte — die Saison war da noch nicht beendet.

Bremens Sportdirektor Thomas Eichin fühlt sich im Fall von Di Santo, der vor zwei Jahren ablösefrei von Wigan Athletic kam, nicht richtig behandelt. Anders als abgesprochen hätte die Di-Santo-Seite keine eindeutigen Signale gesandt, ob der Stürmer bleibe oder nicht. "Jetzt ist alles sehr, sehr kurzfristig. Von diesem Verhalten bin ich alles andere als begeistert", klagt Eichin.

Di Santo hat jetzt eine neue Liebe. Bereits heute spielt er vermutlich mit Schalke im Test gegen Porto.

(RP)
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