Als hätte es die EM nie gegeben "Völler haucht den Deutschen Leben ein"

Hannover (sid). "Ruuudi, Ruuudi" und "Oh wie ist das schön" hallte es durch das Niedersachsenstadion, 45.000 Zuschauer gratulierten mit Standing Ovations und die Spieler lagen sich freudestrahlend in den Armen - als hätte es das peinliche EM-Desaster vor gut acht Wochen nie gegeben. Das glanzvolle 4:1 (1:0) der deutschen Fußball-Nationalelf gegen Spanien in Hannover kam einer unerwarteten Wiederauferstehung gleich, die vor allem einen Namen trägt: Rudi Völler.

Der neue Teamchef stand bei seiner gelungenen Premiere im Mittelpunkt und wurde von allen Seiten wie ein Heilsbringer gefeiert. Immerhin hatte es der 40-Jährige innerhalb kürzester Zeit geschafft, aus einem Torso eine Mannschaft zu formen, die zumindest wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft des deutschen Fußballs weckt. "Rudi Völler hat den Deutschen wieder Leben eingehaucht", brachte Spaniens Superstar Raul die Aufbruchstimmung rund um die zuletzt zu Recht gescholtene DFB-Auswahl auf den Punkt.

Doch bei aller Freude und Euphorie über den eindrucksvollen Sieg - Spieler und Verantwortliche wussten, dass dies knapp zweieinhalb Wochen vor dem ersten WM-Qualifikationsspiel am 2. September in Hamburg gegen Griechenland allenfalls ein gelungener Anfang war. Nicht mehr und nicht weniger. "Man muss etwas bremsen. Wir haben in zwei Wochen ein wichtiges Spiel, da ist dieses 4:1 längst vergessen. Wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Es müssen noch mehrere gute Spiele folgen", sagte Völler, der nach Spielschluss seinem Assistenten Michael Skibbe sichtbar erleichtert um den Hals fiel.

Auch DFB-Vizepräsident Gerhard Mayer-Vorfelder warnte vor allzu hohen Erwartungen. "Ich freue mich sehr. Ich hoffe, dass das Wort vom Rumpelfußball keine Rolle mehr spielt. Wir haben aus der Krise eine Chance gemacht. Die Mannschaft muss sich nun aber beweisen, wenn es um Qualifikationspunkte geht. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber ich bin sicher, dass der Sommer kommt", erklärte "MV" nach den Toren der überragenden Mehmet Scholl (24./51.) und Alexander Zickler (57./62.). Kapitän Oliver Kahn betonte, dass man diese Leistung nun "konstant in den nächsten ein, zwei Jahren" bringen müsse.

Eine Leistung, die zumindest an bessere deutsche Fußball-Zeiten erinnerte. "Was von Anfang an fast bis zur Besinnunglosigkeit da war, waren Wille, Einsatz, Engagement, Courage nach vorne zu spielen und etwas zu riskieren. Nach dem ersten Tor haben wir gezeigt, dass wir nicht nur rennen und kämpfen, sondern richtig guten Fußball spielen können. Zwischen dem 1:0 und dem 4:0 war das sogar toller Fußball", lobte Völler, der schon vor der Partie von den Fans wie ein Messias empfangen worden war, und fügte an: "Der deutsche Fußball ist nicht ganz so schlecht, wie er bei der EM gemacht wurde. Es war ein kleiner Schritt, dass wir wieder an die Nationalmannschaft glauben können."

Was sich vor allem Sympathieträger Völler ("Ich freue mich unwahrscheinlich") auf die Fahne schreiben darf. "Rudi ist eine Respektperson. Er hat durch seine grandiosen fußballerischen Leistungen ein sehr gutes Standing. Es ist schön, dass er da ist", sagte Scholl. "Er hat die Spieler stark gemacht, sie an der Ehre gepackt", umschrieb Kahn das Erfolgsrezept von "Rudi Nationale". Mayer-Vorfelder, der die aus der Not geborene Lösung mit Völler als Interims-Teamchef vorgeschlagen hatte, sprach von "einer Kult- und Leitfigur mit hohem Ansehen, die von allen akzeptiert wird".

Nur so ist auch zu erklären, dass das "Lieblingskind der Nation" (Völler) in Hannover trotz der Euro-Schande freundlich und ohne Pfiffe empfangen worden war. Dazu Scholl: "Das Publikum war phantastisch. Ich habe mich sehr gewundert, dass wir so toll aufgenommen wurden. Ich habe nie im Leben daran gedacht, dass in den nächsten ein bis zwei Jahren so etwas passiert." Dass die Stimmung positiv blieb, lag dann jedoch auch am starken Auftreten der DFB-Auswahl, in der immerhin noch neun EM-Versager in der Anfangsformation standen.

Doch die waren im Gegensatz zu den teils kläglichen EM-Auftritten nicht wiederzuerkennen. Von Beginn an engagiert und nach nervösem Beginn auch spielerisch mit etlichen gelungenen Aktionen, gewannen die Profis bereits im ersten Spiel nach der EM viele Sympathiepunkte zurück. "Auch taktisch haben wir einiges umgesetzt", lobte Völler, obwohl ihm sicher einige Abstimmungsprobleme in der neuen Dreierkette, in der lediglich Rückkehrer Jörg Heinrich vollauf überzeugen konnte, nicht verborgen geblieben sind.

So wirkte Abwehrorganisator Jens Nowotny lange nicht so souverän wie in Leverkusen. Auch beim 1:4 durch Raul (70.) sah der 26-Jährige nicht gerade gut aus. "Es gab noch ein, zwei Situationen, die man verbessern muss", gab Nowotny zu, sprach ansonsten aber von hoher Disziplin in der Hintermannschaft. Auch Nationalkeeper Kahn, der zweimal mit Weltklasseparaden weitere spanische Treffer verhindert hatte, war mit seinen Vorderleuten zufrieden: "Der Gegner hatte wenig Torchancen. Das hat auf mich alles sehr kompakt gewirkt."

Für die Offensivabteilung galt das allemal. Da wirbelte das Bayern-Trio Scholl, Zickler und Carsten Jancker die spanische Abwehr vor allem in der zweiten Hälfte gehörig durcheinander und empfahl sich in dieser Besetzung für weitere Einsätze. Was Völler etwas in die Bredouille bringen könnte. Gegen die Griechen wird der etatmäßige Kapitän Oliver Bierhoff, der in Hannover verletzungsbedingt fehlte, voraussichtlich in den Kader zurückkehren und wohl seine Ansprüche auf einen Stammplatz geltend machen. Das allerdings interessierte am Mittwochabend kaum jemanden.

(RPO Archiv)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort