"Lasse mich nur an der EM messen" Teamchef Ribbeck setzt sich zur Wehr

Hamburg (dpa). Erich Ribbeck schließt persönliche Konsequenzen aus dem desolaten Testspiel gegen die Schweiz (1:1) aus und setzt sich gegen die massive Kritik an der deutschen Nationalmannschaft zur Wehr. "Ich stehe an der Front und trage die Verantwortung, aber ich lasse mich nur am Abschneiden bei der Europameisterschaft messen", sagte Ribbeck am Freitag der dpa. Zugleich verwies der 62- Jährige auf den Rückhalt durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB): "Ich fühle mich nicht allein gelassen."

Zwei Tage nach der Pleite von Kaiserslautern und einen Tag vor der DFB-Beiratssitzung traf sich der sportliche Leiter in der Frankfurter DFB-Zentrale mit Verbandspräsident Egidius Braun, um die verzwickte Situation zu erörtern. Dabei hat die DFB-Führung drei Optionen: Sofortige Trennung von Ribbeck, die von einem Teil der deutschen Presse am Freitag gefordert wurde; einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ende der EM am 2. Juli; Verlängerung der Amtszeit bis zur WM 2002. Braun und Ribbeck schlossen am Freitag eine vorzeitige Trennung aus und betonten, dass sie sich erst nach einer Bewertung der EM entscheiden wollten. Aus Gründen einer rechtzeitigen Nachfolgesuche wäre es jedoch notwendig, wenn Braun und Ribbeck sich schon jetzt über die Zukunft verständigten.

Als eine Lehre aus dem Desaster von Kaiserslautern, das Ribbeck mit zweitägiger Verspätung selbst als "desolates Spiel" bewertete, sollen künftig in den letzten Wochen einer Saison keine Länderspiele mehr stattfinden. "Das Beispiel hat gezeigt, dass solche Spiele nicht sinnvoll sind. Die meisten Spieler haben den Kopf nicht frei, weil es in ihren Vereinen um Entscheidungen und Millionenbeträge geht", sagte Ribbeck.

Unterdessen forderte Ex-Weltmeister Paul Breitner spätestens nach den in sieben Wochen beginnenden Kontinental-Titelkämpfen die Ablösung Ribbecks. "Wir werden die EM noch über uns ergehen lassen müssen, aber dann muss unbedingt Schluss sein mit Ribbeck. Er steht in der Verantwortung, war nicht in der Lage, neue Wege zu gehen", sagte der ehemalige Nationalspieler, der vor 19 Monaten nach dem Rücktritt von Berti Vogts ein heißer Kandidat von Braun für das Bundestrainer-Amt war, der Münchner Tageszeitung "AZ" (Freitag- Ausgabe). Geradezu vernichtend fiel Breitners Kritik an Kapitän Oliver Bierhoff aus. "Einer wie Oliver Bierhoff ist seit langem nicht mehr zu erdulden. Seit seinem Golden Goal im EM-Finale zeigt er Null- Leistung."

Ribbeck wertete Breitners Worte als "Polemik, auf die ich nicht eingehen will". Auch die Kritik an der Nominierung des formschwachen Jens Lehmann, die unter anderem Ex-Bundestrainer Jupp Derwall geäußert hatte, wies Ribbeck zurück. "Ich konnte nicht wissen, dass Jens Lehmann solch eine Gurke reinkriegt. Jeder Trottel kann jetzt im Nachhinein sagen, es sei ein Fehler gewesen, ihn aufzustellen."

Der Teamchef hat auch nach dem Trauerspiel gegen die Schweiz nicht das Vertrauen in sein Personal verloren: "Ich habe ja gesehen, wie die Mannschaft trainiert hat. Das war super in Ordnung." Obwohl Ribbeck in seiner 19-monatigen Amtszeit mit acht Siegen, vier Unentschieden und sechs Niederlagen die schlechteste Bilanz aller Bundestrainer aufweist, sieht er die EM-Zielsetzung nicht gefährdet. "Wir wollen die Vorrunde überstehen. Alles andere anzusprechen ist absoluter Blödsinn."

Die Weiterbeschäftigung Ribbecks, dessen Vertrag mit der EM endet, will Braun vom sportlichen Abschneiden und vom öffentlichen Auftreten der DFB-Auswahl in Belgien und den Niederlanden abhängig machen. Auch der Teamchef will erst dann entscheiden, ob er für die Periode bis zur WM 2002 zur Verfügung steht. In beiden Teilbereichen weist die Nationalmannschaft derzeit große Defizite auf. Auch Ribbeck räumte am Freitag ein, dass die Partie am Mittwoch im Spielerkreis nicht mit der gebotenen Wertschätzung bestritten wurde.

Stellvertretend dafür waren die frühen Auswechslungen der angeschlagenen Münchner Spieler Markus Babbel und Mehmet Scholl. "Wenn es ein entscheidendes Spiel gewesen wäre, hätten beide mit großer Wahrscheinlichkeit weitergespielt", gestand Ribbeck. Dies bestätigte Verteidiger Babbel. "Wenn es das Finale der Champions League gewesen wäre, hätte ich weitergespielt, bis mir der Muskel um die Ohren geflogen wäre", sagte der 27-Jährige, verwahrte sich aber zugleich gegen den Vorwurf der Simulation: "Es ist nicht so, dass ich rausgegangen bin, um Kräfte zu schonen."

England-Legionär Christian Ziege ist von diesem Verdacht freigesprochen: Er fehlt wegen einer Adduktoren-Zerrung auch am Samstag beim Gastspiel des FC Middlesbrough bei West Ham United.

(RPO Archiv)
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