SV Darmstadt Der größte Außenseiter seit Tasmania

Darmstadt · Darmstadt 98 pflegt das Image des Underdogs. Der Bundesliga-Aufsteiger setzt auf Kampfgeist und Zusammenhalt.

Erndtebrück - Darmstadt
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Himmel oder Hölle, Wunder oder Misserfolg: Die Aufstiegs-Helden von Darmstadt 98 wandern in ihrer ersten Bundesliga-Saison seit 33 Jahren auf einem ganz schmalen Grat - und das wissen sie. "Natürlich wollen wir Kampfzonen errichten und von der Euphorie getragen werden", sagte Trainer Dirk Schuster und brachte ungeachtet aller Bescheidenheit die Vorfreude vor dem Auftakt gegen Hannover 96 (morgen, 15.30 Uhr/Live-Ticker) auf den Punkt: "Wir sind einfach geil auf das erste Spiel und müssen mit heißem Herz und kühlem Kopf zu Werke gehen."

Der Appell von Schuster ist ganz nach dem Geschmack von Dominik Stroh-Engel. "Wenn wir versuchen, mit den anderen Teams Fußball zu spielen", warnte der Stürmer, "dann werden wir das zweite Tasmania Berlin." Die Tasmania war 1965/66 für Hertha BSC in die Bundesliga nachgerückt. Beim großen Ortsrivalen waren finanzielle Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Der Verein wurde ausgeschlossen. Nicht zuletzt auf Druck des Springer-Verlags entschloss sich der DFB, die Saison auf keinen Fall ohne Berliner Team zu beginnen. Es ging dem Verband um die Stärkung der damals in West und Ost geteilten Stadt. Tasmania wurde damit kein Gefallen getan. Mit 8:60 Punkten (für den Sieg gab es zwei, für ein Unentschieden einen Punkt) stieg der Klub gleich wieder ab. Es ist bis heute die schlechteste Bundesliga-Bilanz.

Darmstadt setzt deshalb auf die Primärtugenden Kampf, Leidenschaft, Aufopferung - wie in den Jahren zuvor wollen die Lilien mit diesen Tugenden das Unmögliche irgendwie doch möglich machen. Als eigentlich sportlicher Absteiger war in der Saison 2013/14 in der 3. Liga ebenso wie ein Jahr später als Aufsteiger im Bundesliga-Unterhaus nur der Klassenerhalt das erklärte Ziel gewesen. "Dieses Jahr wird es sehr haarig", sagte der für seinen Rauschebart bekannte Marco Sailer der "Bild-Zeitung": "Aber wir versuchen alles."

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Leicht dürfte das Unterfangen naturgemäß dennoch nicht werden. Bei Eintracht Braunschweig oder dem SC Paderborn können die Darmstädter ja mal nachfragen oder beim hessischen Nachbarn Eintracht Frankfurt. Dessen Vorstandsboss Heribert Bruchhagen bezeichnete die Lilien nämlich "als krassen Außenseiter", und er warnte sogar: "Schuster wird im März 2016 infrage gestellt."

All das ist aber noch Zukunftsmusik, ohnehin sind die Darmstädter nach ihrem feuchtfröhlichen Partymarathon längst wieder im Hier und Jetzt angelangt. "Für uns ist es immens wichtig, den Schalter umzulegen und nun jede Woche hart zu arbeiten", sagte Kapitän Aytac Sulu. Der 29 Jahre alte Innenverteidiger ist der verlängerte Arm des Trainers auf dem Feld, er wird in zahlreiche Planungen eingebunden.

Ob Sulu auch an der Zusammenstellung des Kaders beteiligt war, ist nicht überliefert. Jedenfalls gestaltete sich diese angesichts des begrenzten finanziellen Spielraums äußerst schwierig. "Wir brauchen ja auch nicht zu versuchen, mit den anderen Bundesligisten auf einer Höhe zu pinkeln. Dafür sind wir zu klein", sagte Schuster.

In Konstantin Rausch (VfB Stuttgart), Mario Vrancic (SC Paderborn), Peter Niemeyer, Sandro Wagner (beide Hertha BSC Berlin) und Junior Diaz (FSV Mainz 05) angelte sich Darmstadt aber immerhin bundesliga-erfahrene Akteure, die bis zum Liga-Auftakt gegen Hannover ebenso wie die Bremer Leihgabe Luca Caldirola nur noch die "Lilientugenden" verinnerlichen müssen. Und da kommt wieder Sulu ins Spiel.

"Ich muss ihnen das Darmstadt- 98-Blut injizieren", sagte Sulu, "als Underdog haben wir ja nichts zu verlieren, wir können nur gewinnen." Zumindest theoretisch. Dass seine Schützlinge auch mal drei oder vier Spiele nacheinander ohne Punktgewinn absolvieren werden, "darauf stellen wir uns sein", sagte Schuster. Er hat die Hoffnung auf den Klassenerhalt natürlich noch nicht aufgegeben. "Ich habe den festen Glauben, dass wir am letzten Spieltag noch die Möglichkeit haben, in der Liga zu bleiben und den Relegationsplatz zu erreichen", erklärte er.

Und dann dürfte Tasmania Berlin auch das schlechteste Team der Bundesliga-Historie bleiben.

(sid)
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