Tradition gegen Retorte Der Titelkampf in der Türkei ist ein Fußball-Politikum

Istanbul · Im spannenden türkischen Titelkampf könnte am vorletzten Spieltag eine Entscheidung fallen. Galatasaray trifft auf den Zweitplatzierten Basaksehir. Der Gipfel in Istanbul ist ein Treffen der Gegensätze. Und auch die große Politik spielt mit.

Der Titelkampf in der Türkei wird zum spannenden Duell der Fußball-Kulturen und wie so oft spielt auch Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Rolle. Der Traditionsclub Galatasaray mit seinen enthusiastischen Fans will sich gegen den vom Erdogan-Lager unterstützten Retortenclub Istanbul Basaksehir die Meisterschaft holen. Und der finale Showdown der bislang punktgleichen Teams steigt im direkten Aufeinandertreffen am Sonntag (18.00 Uhr/MESZ). „Wir haben das ganze Jahr dafür gekämpft“, sagte Galatasarays Mittelfeld-Spieler Younès Belhanda (29) nach dem Pokalsieg am Mittwoch. „Jetzt wollen wir den Meisterschafts-Pokal vor unseren Fans holen“, fügte der ehemalige Schalke-Profi an.

Normalerweise machen die „großen Drei“, die Istanbuler Traditionsvereine Galatasaray, Besiktas und Fenerbahce die Meisterschaft unter sich aus. Galatasaray hat den Titel schon 21 Mal gewonnen, Basaksehir noch nie. Der Verein ist noch relativ jung - und umstritten wegen seiner Nähe zum Präsidenten.

Am Sonntag treffen in der Türk Telekom Arena von Galatasaray somit am vorletzten Spieltag zwei sehr unterschiedliche Mannschaften und auch Trainer aufeinander. Zehntausende Fans auf der einen, wenige Unterstützer auf der anderen Seite. Galatasaray-Coach Fatih Terim (65), der seine Mannschaft auch in schwierigen Situationen motivieren kann, gegen Taktiker Abdullah Avci (55), Traditionsverein Galatasaray, gegründet 1908, gegen Retortenclub Basaksehir.

Erst im Jahr 2014 wurde Basaksehir als Nachfolger des Vereins der Istanbuler Stadtverwaltung gegründet. Er wird vor allem von regierungsnahen Unternehmen gesponsert wie der Krankenhauskette Medipol. Vereinspräsident Göksel Gümüsdag ist mit der Nichte der Ehefrau Erdogans verheiratet und auch sonst ist die Regierungsnähe des Vereins ein offenes Geheimnis.

Der Fußballexperte Patrick Keddie nennt den Verein „eine Art Projektteam“ der Istanbuler Stadtverwaltung, die zumindest bis zur Wiederholung der Bürgermeisterwahl Ende Juni noch islamisch-konservativ geführt wird. Das regierungsnahe Sponsoring verärgert Fans anderer Clubs.

Basaksehir-Coach Avci (55) hat sich einen Ruf als geschickter Taktiker erarbeitet, der auf Verteidigung und Konter setzt. Seine Mannschaft hat er aus erfahrenen Spielern zusammengestellt. Darunter ist der ehemalige Arsenal-Star Emmanuel Adebayor (35) sowie der ehemalige brasilianische Nationalspieler Robinho (35). Und Arda Turan (32), der von Barcelona ausgeliehen wurde und ein treuer Anhänger Erdogans ist. Bei seiner Hochzeit war der Staatschef Ehrengast und Trauzeuge, berichteten viele Medien.

Was dem Verein bislang fehlt, ist eine nennenswerte Fangemeinde. Der Club hat keine Tradition, auch das Stadtviertel Basaksehir im Westen der Stadt ist relativ neu. Zu den Heimspielen kommen nur rund 3500 Anhänger in ein Stadion, das 17 000 Zuschauer beherbergen kann. Würde Basaksehir die Meisterschaft gewinnen, stellt sich die Frage: Wer würde die überhaupt feiern?

Ganz anders sieht es bei Galatasaray aus: Die Fans fiebern mit, grölen ihre Unterstützung heraus und sind oft genug ein Faktor für den Erfolg. Der Heimvorteil am Sonntag könnte den entscheidenden Unterschied machen. Der ehemalige türkische Nationalspieler und Kommentator Rivdan Dilmen sagt, die Nation erwarte „ein Fußballfest“ zum Tag des Sports. Denn die Türkei begeht an diesem Sonntag auch den Feiertag der Jugend und des Sports zum Gedenken an Republikgründer Atatürk.

(sef/dpa)
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