Fans auf der Schalker Meile „Diesmal schäme ich mich nicht“

Gelsenkirchen · Der FC Schalke 04 ist abgestiegen. Bundesliga-Fans hatten es erwartet, die Chancen standen laut Quote nicht gut. Allein die Schalke-Anhänger hatten Hoffnung für den Klassenerhalt – bis zur letzten Sekunde.

Auch die mitgereisten Fans behalten ihre Fassung und halten nach dem Spiel minutenlang ihre Schals in die Höhe.

Auch die mitgereisten Fans behalten ihre Fassung und halten nach dem Spiel minutenlang ihre Schals in die Höhe.

Foto: dpa/Jan Woitas

„Eine Hand voll“, sagt Schalke-Fan Frank, „dann reicht’s auch.“ Öfter als fünf Mal möchte er nicht absteigen. Dass die Elf aus Gelsenkirchen an diesem Samstag-Nachmittag den fünften Abstieg aus der Bundesliga besiegelt, wusste Frank vor dem Spiel noch nicht – geahnt hatte er es aber.

Er und Dutzende weitere Fans schauen sich das Spiel im Vereinslokal an der Schalker Meile an – der Kultkneipe Bosch. Hier ist jeder per Du, hier spricht man sich nur mit dem Vornamen an. Sollte Schalke nun aber doch gewinnen und Bochum sowie Stuttgart verlieren, dann „können die ’ne Legende werden“, sagt Frank über das Team und zeigt auf ein Bild des legendären Schalker Kreisels, das groß in der Kneipe hängt. Alles hier erinnert an glorreiche Zeiten: Der überall und allgegenwärtige Ernst Kuzorra, sechsmaliger Meister und einmaliger Pokalsieger, große Tafeln und alte Bilder auf dem Schalker Markt, überall Mythos. Und überall Mallocher-Schalke.

Nun sollte es aber doch nicht klappen. Schalke unterlag in Leipzig 2:4 (1:2). Konrad Laimer (10.), Christopher Nkunku (19./90.+4) und Yussuf Poulsen (83.) zerstörten mit ihren Toren für Leipzig auch die letzten Hoffnungen der Schalker auf den Klassenerhalt. Der Treffer von Marcin Kaminski (28.) und ein Eigentor von Willi Orban (49.) reichten den Königsblauen nicht, um noch den vorletzten Tabellenplatz zu verlassen.

Der fünfte Abstieg ist sicher, und die Spieler um Ralf Fährmann und Marius Bülter wurden eben keine Legenden. Spätestens nach dem dritten Tor der Leipziger und dem zeitgleichen Ausgleich der ebenfalls abstiegsgefährdeten Stuttgarter gegen Hoffenheim kippte die Stimmung in der Kneipe, wo zuvor noch so viel Hoffnung war. „Es ist sehr traurig, es tut weh. Es tut der Region weh“, sagt Tristan Becker mit Tränen in den Augen. Er selbst kommt aus Gelsenkirchen. Seine Mannschaft sei nicht abgestiegen, weil sie schlecht gespielt habe, „sondern weil wir Pech hatten“, sagt er.

Als die Knappen den Ausgleich zum 2:2 machten, gab es jedoch zunächst kein Halten mehr auf der Kurt-Schumacher-Straße im Gelsenkirchener Stadtteil Schalke-Nord, wo das Fußballherz der Stadt schlägt. Zwischen der Berliner Brücke und der Kampfbahn Glückauf, der Spielstätte des legendären Schalker Kreisels, dort ist das Vereinslokal von Inhaber Ronald Marcinkowski. Seine Kneipe ist wie immer brechendvoll, so sagt er, als er die Tür vor weiteren Zuschauerinnen und Zuschauern zuhält – es sind schon zu viele im Lokal. Rund 40 Jahre ist er Schalke-Fan, er liebt den Zusammenhalt. „Die Leute sind wie eine Familie – ob’s nach oben oder nach unten geht“, so Marcinkowski.

 Ronald Marcinkowski, Inhaber des Vereinslokals Gerhard Bosch an der Kampfbahn Glückauf.  Archivfoto

Ronald Marcinkowski, Inhaber des Vereinslokals Gerhard Bosch an der Kampfbahn Glückauf. Archivfoto

Foto: Eirik Sedlmair

Nun müssen sie gemeinsam nach unten gehen. Dabei sah doch alles so gut aus. Schalke mauserte sich in der Rückrunde hoch – das wollten die Fans sehen. Man näherte sich wieder an. Anhänger sahen, dass sich die Spieler auf dem Feld mit dem Verein identifizieren. Dass es trotz all der Arbeit nicht ausreichen sollte, wollte bis zur letzten Sekunde der Saison kein Schalker glauben. Alle hingen an dem Klassenerhalt. Das zeigt sich am Tag X auch in Gelsenkirchen.

Auch wenn man nur „vorsichtig optimistisch“ war, wie Christina und Caro sagen. „Man hofft viel, aber die Ausgangssituation war schwierig“, so Schalke-Enthusiastin Christina, die in Bochum lebt. Im Vergleich zum letzten Abstieg 2021 ist aber so einiges anders, sagt auch sie: „Mit den Mitteln, die sie hatten, kann man ihnen nichts vorwerfen.“ Die menschlichen Werte seien wieder in den Vordergrund gerückt, ergänzt Freundin Caro, es stünden keine „Geldsammler“ mehr auf dem Platz.

„Da bekommt jeder ’ne Hasskappe wegen der Millionäre“, sagt Frank, wenn er sich an den letzten Gang in die Zweitklassigkeit erinnert. Dieser Abstieg tut anders weh. Als Schalke 2021 sang- und klanglos unterging, alle anderen Mannschaften auf dem 18. Platz weit abhing, und sich die Anhänger aufbäumten, sauer wurden. Arbeitsverweigerung war ihr Vorwurf. Und er wog schwer. Die Kluft zwischen den Männern eins bis elf und dem wichtigen Mitspieler, dem zwölften Mann, war so weit wie selten in Schalkes langer Geschichte. „Lustlosigkeit brauchen wir nicht“, resümiert Frank, „wir brauchen Herzblutschalker.“

Die Schalker-Fans sind geknickt. „Trauerstimmung“, fasst es Inhaber Marcinkowski zusammen. Man hätte Reis schon vorher holen sollen, beklagt er, oder vorher gewinnen müssen. Aber zuletzt zeigten die Königsblauen Leistung, auch am Samstag, „Es ist schade, aber wir haben gut gespielt“, so der Gastronom.

Er und die Schalker im Vereinslokal an der Kampfbahn Glückauf tragen diese Niederlage mit Fassung. Sie klatschen für ein Team, das bis zuletzt gekämpft hat, malocht eben. „Damals habe ich mich geschämt“, sagt Tristan Becker, „diesmal schäme ich mich nicht“.

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