Kolumne „Gegenpressing“ Nils Petersen entdeckt das reale Leben

Meinung | Freiburg · Fußball-Nationalspieler Nils Petersen besucht seine Freundin am Arbeitsplatz, um das reale Leben kennenzulernen. Das Beispiel zeigt, wohin Heldenverehrung führen kann.

Nils Petersen jubelt über sein Tor zum 1:0 gegen Eintracht Frankfurt am 11. Spieltag

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Foto: dpa/Patrick Seeger

Nils Petersen hat es wieder getan. Knapp zwei Jahre, nachdem der Stürmer von Fußball-Bundesligist SC Freiburg der Welt geklagt hatte, er verblöde seit zehn Jahren, halte sich aber über Wasser, weil er ganz gut kicken könne, bot der Nationalspieler jetzt endlich die mit Spannung erwartete Fortsetzung seines faszinierenden Einblicks in den Goldenen Käfig eines weltfremden Fußballprofis. Streng genommen ist es dieses Mal ein Ausbruch aus dem Goldenen Käfig, den Petersen beschreibt. Hinein ins reale Leben, in dem alle leben, die aus den besten Kickern unseres Landes Halbgötter machen.

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Foto: AP/Martin Meissner

Der 31-Jährige erzählte nun der „Sächsischen Zeitung“, er besuche öfter mal seine Freundin an deren Arbeitsplatz im Freiburger Amtsgericht, wo die als Justizfachangestellte arbeitet. „Das ist ein anderes Leben, das wir so nicht kennen“, bekennt Petersen so freimütig wie fragwürdig. Denn sollte er tatsächlich gemeint haben, mit diesem Blick hinter die Kulissen seines Alltags eine Form von Bodenhaftung nachzuweisen, ist dem Angreifer damit erneut ein formschönes Eigentor gelungen. Eins in den Winkel. Petersens Mondfahrt ins reale Leben scheint sein großes Hobby zu sein. Eins, das er offenbar bewusst betreibt, das er ab und an gezielt betreiben muss, weil ansonsten in seinem Alltag der Bezug zum normalen Leben völlig abhanden käme. Wäre das nicht bitter, wenn es tatsächlich so sein sollte?

Manchmal schäme er sich, weil er so wenig Wissen von der Welt besitze, hatte Petersen im Dezember 2017 ebenfalls kundgetan. Schon damals klang diese authentische Selbstoffenbarung von der Sonnenseite des Lebens wie ein peinliches Outing auf einem Schmuddelsender. Damals wie heute gilt: Wenn Petersens Einblick in ein Fußballerleben ohne Berührung mit dem Otto-Normalverbraucher-Leben mehrheitsfähig ist in den Kabinentrakten der Arenen, dann ist der Abgrund nahe, auf den sich Stars und Fans gemeinsam zubewegen. Auf welchen Sockel haben Öffentlichkeit und Anhänger ihre Lieblinge in kurzen Hosen gehoben, wenn für die ein Ausflug in die Realität einer Fahrt ins Phantasialand gleicht?

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Foto: AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Doch es gibt in diesen nachweihnachtlichen Tagen Hoffnung. Sie kommt daher in all den Profis, die nachweislich Interessen jenseits des Fußballs haben. Die sich in Freundeskreisen bewegen, die nichts mit Fußball zu tun haben, dafür aber mit ausbleibendem Weihnachtsgeld oder steigenden Mieten. Die sich auf das Leben nach der Karriere freuen. Die Zeitung lesen. Und da sogar den Wirtschaftsteil. Die wie Thomas Müller ihrer Frau die Sachen nachtragen, wenn sie beim Reitturnier startet. Für all die dürfte es einer Reise ins Phantasialand gleichkommen, würden sie das Leben von Nils Petersen leben.

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(klü )
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