"Die EM zählt nicht mehr" Rudi Völlers Einstand mit deutlichen Worten

Barsinghausen (sid). 64 Tage nach dem EM-Debakel hat für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Sonntag eine neue Zeitrechnung begonnen. Mit einigen deutlichen Worten stimmte der neue Teamchef Rudi Völler die DFB-Auswahl, in der immerhin noch 14 EM-Versager stehen, auf das Länderspiel am Mittwoch (20.30 Uhr/live im ZDF) in Hannover gegen Spanien ein. "Ich werde einige Dinge klar ansprechen, die in dieser Form nicht mehr passieren dürfen", kündigte der 40-Jährige vor dem Treffpunkt des 19 Mann starken Kaders am Sonntagabend in der Sportschule Barsinghausen an. Erste erfreuliche Nachricht für Völler: Alle Spieler trafen gesund ein.

Für den 90-maligen Internationalen, der bis zum 1. Juni 2001 zusammen mit Bundestrainer Michael Skibbe für die Nationalelf verantwortlich zeichnet, ist das leidige Thema Euro jedoch erledigt: "Die Vergangenheit ist ab Montag abgehakt. Es zählt nicht mehr, was bei der EM war." Diesen Standpunkt vertritt auch sein Nachfolger Christoph Daum, der schon jetzt im Hintergrund die Fäden zieht. "Ich will nicht mehr nachkarten. Wir müssen nach vorne schauen", sagte der Trainer von Bayer Leverkusen.

Vielmehr fordern Daum ("Ich greife nicht in das operative Geschäft ein") und Völler nach dem EM-Desaster einen erfolgreichen Neubeginn. "Wir haben einiges gut zu machen und wollen am Mittwoch gut ausschauen. Die Spieler haben genügend um die Ohren gekriegt. Jetzt müssen sie zeigen, dass der deutsche Fußball sich anders darstellen kann. Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen, um die Zuschauer zurückzugewinnen", sagte Völler.

Was schwer genug sein wird. Die Fans haben das Euro-Debakel offensichtlich noch längst nicht vergessen. Erst 25.000 von 50.000 Tickets sind für die Partie im Niedersachsenstadion bisher verkauft worden. Zudem müssen die Spieler nach wie vor unter den miserablen EM-Auftritten leiden. "Ich habe immer noch meine Probleme, durch die Straßen zu gehen. Viele Menschen kommen sehr unverschämt auf mich zu", erklärte Mehmet Scholl.

Am Mittwoch gibt es deshalb für Scholl und Co. die erste Chance, die Anhänger wieder etwas zu versöhnen. Keine Chance dazu wird Jens Jeremies haben, der mit einem Innenbandriss im linken Knie für mindestens zwei Monate fehlen wird. Was dem Teamchef, der auf eine Nachnominierung verzichtete, knapp drei Wochen vor dem ersten WM-Qualifikationsspiel in Hamburg gegen Griechenland (2. September) jedoch nicht so recht ins Konzept passt: "Schade, dass Jens länger ausfällt. Ich habe mir vorgestellt, dass er einer der Spieler ist, die die Fahne tragen können."

Neben Jeremies hat "Rudi Nationale" ("Ich freue mich, dass es endlich los geht, auch wenn es sicher etwas hektisch wird") Torwart Oliver Kahn, Jens Nowotny und Oliver Bierhoff künftig eine Führungsrolle zugedacht. Der Kapitän fehlt gegen die Spanier jedoch ebenso verletzungsbedingt wie Christian Ziege. Beide kamen trotzdem nach Barsinghausen, um sich mit Völlers Vorstellungen für eine erfolgreichere deutsche Fußball-Zukunft vertraut zu machen. Bierhoff absolviert allerdings nur eine kleine Trainingseinheit mit seinen Kollegen und wird am Montagnachmittag bereits wieder abreisen. Dann erst wird Dietmar Hamann erwartet, der mit seinem Klub FC Liverpool noch ein Testspiel bestritt.

Die Vorstellungen Völlers sehen so aus, dass sich auch der dreimalige Welt-und Europameister künftig den modernen Gepflogenheiten anpassen und auf den klassischen Libero verzichten wird. "Den wird es nicht mehr geben. Das hat die EM gezeigt. Auch Bayern und Leverkusen spielen mit einer Abwehrkette", hat sich Völler in Absprache mit Daum ("Wir möchten wieder mit elf Mann spielen") schon frühzeitig festgelegt. In der Besetzung des Mittelfeldes und des Angriffs will Völler flexibel reagieren: "Wir haben die Spieler, um mit zwei oder auch mit drei Spitzen spielen zu können. Das werden wir auch vom Gegner abhängig machen."

Die Taktik soll jedoch in den ersten Trainingstagen vor dem Test gegen den EM-Viertelfinalisten, der nur noch acht EM-Teilnehmer im Kader hat, in Barsinghausen vor den Toren Hannovers nicht die Hauptrolle spielen. Völler: "Das ist der zweite Schritt. Der erste Schritt ist, dass die Spieler die richtige Einstellung haben."

(RPO Archiv)
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