"Nationalelf jämmerlich" Ribbeck droht Jeremies mit Rauswurf

Düsseldorf (dpa). Mit einer scharfen, öffentlich vorgetragenen Kritik von Jens Jeremies am Zustand der deutschen Nationalmannschaft hat sich eine handfeste Vertrauenskrise im direkten Umfeld der DFB- Auswahl entwickelt. Der Libero des FC Bayern München stellte zehn Wochen vor dem Beginn der Europameisterschaft in einem Interview mit dem Fachmagazin "kicker" (Montag-Ausgabe) sein Engagement im Team von Erich Ribbeck in Frage. "Jämmerlich, wenn man die letzten Spiele sah", beschrieb der 26-Jährige die Verfassung der deutschen Nationalmannschaft. "Vielleicht hätten wir in Holland wirklich 0:5 verlieren müssen, damit auch dem letzten die Augen geöffnet werden, wie der Zustand der deutschen Nationalelf ist", so Jeremies fünf Tage nach dem 1:1 im Testspiel in Zagreb gegen Kroatien.

DFB-Teamchef Ribbeck reagierte umgehend: "Ich bin sehr enttäuscht, dass er sich nicht an den Verhaltens-Kodex gehalten hat, Kritik nur intern zu äußern." Jeremies muss damit rechnen, nach der Rückkehr von Ribbeck aus einem Kurzurlaub und nach dem Champions-League- Viertelfinale des FC Bayern beim FC Porto am Dienstag zur Rede gestellt zu werden. Eine Suspendierung des defensiven Mittelfeldspielers von der Nationalelf ist nicht ausgeschlossen. "Wenn Jeremies das wirklich alles so gesagt hat und er ein Problem mit dem Zustand der Nationalmannschaft hat, dann muss ich überlegen, ob ich ihn von dem Zustand befreie", erklärte Ribbeck am Montag.

Bereits nach dem vorangegangenen Testspiel der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am 23. Februar in Amsterdam gegen die Niederlande (1:2) hatte ein Interview mit der Verzögerung von fünf Tagen hohe Wellen geschlagen. Ein namentlich nicht genannter Spieler hatte im "kicker" vom Halbzeit-Geschehen in Amsterdam berichtet und behauptet, nicht Ribbeck, sondern einige Spieler hätten taktische Umstellungen veranlasst. Diesen Vorfall hatte der DFB-Teamchef vor einer Woche bei der Vorbereitung auf das Kroatien-Länderspiel im Team-Kreis zur Sprache gebracht. Bekannt wurde der anonyme "Maulwurf" nicht. Ribbeck und auch DFB-Pressechef Wolfgang Niersbach bestritten energisch, dass in Amsterdam überhaupt derartige Kabinengespräche geführt worden seien. Teamkapitän Oliver Bierhoff jedoch meinte, die Aussprache müsse noch einmal geführt werden, wenn auch die in Zagreb fehlenden DFB-Spieler wieder dabei seien.

Jeremies ist derart frustriert über den Zustand der Nationalelf, dass er selbst schon über einen Abschied von Länderspiel-Einsätzen nachgedacht hat. "Wenn man so oft mit Niederlagen zurückkommt, macht man sich schon Gedanken, ob es noch Sinn macht. Oder ob es nicht besser ist, sich auf den Verein zu konzentrieren", sagte er. Die bevorstehende EM in Belgien und den Niederlanden (10. Juni bis 2. Juli) bereitet ihm Sorgen: "Nicht auszudenken, was los ist, wenn es bei der EM nicht läuft: Statt vier Wochen Urlaub hat man dann vier Wochen nur Ärger."

Indirekt übte Jeremies auch Kritik an Ribbeck. Er, Jeremies, mache sich zwar durchaus seine Gedanken; aber der Teamchef sei der Vorgesetzte, seine Anweisungen seien zu befolgen. "Fußballfachlich ist jedoch unbestritten, dass Angriff, Mittelfeld und Abwehr nicht ineinander greifen, da klaffen große Lücken", meinte er. Über die EM- Aussichten sagte Jeremies, dass im Fußball alles möglich sei, man könne schnell in einen Lauf reinkommen: "Nach den letzten Spielen ist dies aber eher unwahrscheinlich."

Gute Leistungen der Mannschaft in den vergangenen fünf Jahren könne man an einer Hand abzählen. "Es hat sich nichts geändert oder gar verbessert. Auch durch die gelungene Qualifikation für die Europameisterschaft haben wir uns täuschen lassen", erklärte Jeremies. Man müsse sich fragen: "Warum entwickelt sich da nichts?"

Ribbecks Assistent Uli Stielike spricht indes von Fortschritten. "Die Einstellung gegen die Kroaten war so, wie sie sein muss. Das ist die Basis, auf der wir uns jetzt weiter Richtung EM bewegen müssen", sagte der DFB-Trainer. Der 46-Jährige bezeichnete Ribbeck "als den eigentlichen Sieger von Zagreb". Vorher habe man seinem Chef "angebliche Autoritätsprobleme" unterstellt. Aber die Leistung in der "Wasserschlacht" in Kroatien am vergangenen Mittwoch habe dies "eindrucksvoll widerlegt", so Stielike.

(RPO Archiv)
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