Autor Eren Güvercin im Interview „DFB-Präsident stößt viele Türkeistämmige vor den Kopf“

Düsseldorf · Wie blicken Türkeistämmige in Deutschland auf das Özil-Statement? Der Journalist und Autor Eren Güvercin erklärt, warum viele nicht gut auf den DFB-Präsidenten zu sprechen sind und wie die AKP Özils Äußerungen instrumentalisiert.

 Reinhard Grindel

Reinhard Grindel

Foto: dpa/Arne Dedert

Wie haben die Türkeistämmigen in Deutschland auf das Özil-Statement reagiert?

Eren Güvercin Vor allem dominieren Reaktionen, die die Doppelmoral dieser seit Monaten hysterisch geführten Debatte anklagen. Es hat viele Menschen vor den Kopf gestoßen, dass bestimmten Medien wie die „Bild“-Zeitung, aber auch DFB-Präsident Reinhard Grindel die Causa Özil als Grund für das WM-Desaster der deutschen Nationalmannschaft angeführt haben. Ganz zu schweigen von der populistischen Instrumentalisierung dieser Debatte durch die AfD. Viele Türkeistämmige sehen in Özil jemanden, der endlich mal diese Dinge beim Namen nennt.

Haben Sie auch andere Meinungen von Türkeistämmigen gehört?

Güvercin Es gibt auch Stimmen, die zwar den Rassismus, der in der ganzen Causa Özil mitschwingt, beim Namen nennen, die aber Özil die Ausrede für das Foto mit Erdogan nicht abkaufen. Özil ist kein Politiker, aber das Bild mit einem Politiker mitten im Wahlkampf ist politisch. Gerade Erdogan instrumentalisiert immer gemeinsame Auftritte mit Sportlern, Musikern und Schauspielern für seine Politik. Im Parlament sitzen in den AKP-Reihen ehemalige Nationalspieler und Stars. Da reicht es eben nicht, wenn Özil seine Erziehung als Erklärung fürs Foto anführt. Dass er vermittelt bekommen habe, seine Wurzeln nicht zu verleugnen. Warum soll ich mich vor einen politischen Karren zerren lassen, um meine Wurzeln als Türkeistämmiger zu ehren?

Wie sind die Solidaritätsbekundungen mit Özil zu erklären?

Güvercin Ich glaube, in diesen Solidaritätsbekundungen durch Türkeistämmige der zweiten und dritten Generation schwingt eine große Frustration mit. Das betrifft auch Leute, die Erdogan kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Das sollten wir als Gesellschaft ernst nehmen. Viele Menschen fühlen sich nicht akzeptiert. Die Gefahr ist groß, dass Nationalisten und Populisten auf beiden Seiten - also deutsche und türkische - in diese Lücke stoßen und das ausnutzen. Wenn man sich diese Reaktionen aus nationalistischen Kreisen auf beiden Seiten anschaut, hat man das Gefühl, dass sie kollektiv geistig masturbieren. Sie projizieren ihre jeweilige Gesinnung auf Özils Erklärung mit dem Ziel, über Gefühle insbesondere junge Menschen in ihre Fänge zu bekommen.

Welche richtigen und wichtigen Punkte spricht Özil an?

Güvercin Zu Recht prangert Özil die DFB-Führung an. Die Äußerungen des DFB-Präsidenten Grindel waren ein Skandal. Wenn der DFB seiner wichtigen gesellschaftlichen Rolle gerecht werden will, muss Grindel zurücktreten. Und auch Özils Aussagen bezüglich bestimmter Medien - und jeder weiß, dass er damit vor allem die „Bild“-Zeitung meint - sind richtig. Denn jeder Artikel über das Ausscheiden der WM wurde mit einem unmotiviert blickenden Özil bebildert. Diese Bilder bleiben in den Köpfen haften, und jeder verantwortungsvolle Journalist ist sich bewusst, was das für gesellschaftliche Auswirkungen hat.

Sie haben bei Facebook aber auch geschrieben, Özils Statement lese sich „wie ein Produkt aus der Diaspora-Abteilung der AKP“. Was meinen Sie damit?

Güvercin Es würde mich nicht wundern, wenn an Özils Erklärung nicht nur seine Berater und seine PR-Agentur mitgewirkt haben, sondern auch Akteure aus dem Umfeld der AKP. Weil es genau die Sprache ist, mit der gewisse Personen aus der AKP die hier lebenden Türkeistämmigen mit ihrer sogenannten Diaspora-Arbeit für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren wollen.

Wie läuft das ab?

Güvercin Ankara versucht sich als Fürsprecher aller Türkeistämmigen in Europa aufzuspielen. Aber jede kleine Kritik durch Türkeistämmige in Europa an den gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei denunziert Ankara als Verrat und Propaganda. Ich finde es gut, dass Özil sich in seiner Erklärung besorgt zeigt über den Zustand der offenen Gesellschaft in Deutschland. Nur macht er sich auch Gedanken über den Zustand der offenen Gesellschaft in der Türkei, dem Heimatland seiner Eltern, das ihm doch so wichtig ist?

Wie hat die türkische Politik auf Özils Statement reagiert?

Güvercin AKP-Politiker haben sich sofort über Twitter solidarisch gezeigt mit Özil. Wie gewohnt bedienen hochrangige AKP-Politiker die üblichen Stereotype. Der türkische Justizminister, der die Aushöhlung des türkischen Rechtsstaats abnickt und nur blühende Landschaften sieht, kommentiert die Aussage Özils mit den Worten, mit diesem Rücktritt habe er das „schönste Tor gegen den faschistischen Virus geschossen“. Jemand, der blind gegenüber faschistischen Tendenzen vor der eigenen Haustür ist, sieht Faschismus nur in anderen Ländern.

Kann das Özil-Statement eine Debatte anstoßen über Integration?

Güvercin Es wird, ob wir wollen oder nicht, eine Debatte anstoßen. Aber wird diese Debatte ihrem Namen gerecht werden? Ich fürchte nicht.

Warum?

Güvercin Ich denke eher, dass die verschiedenen Seiten jeweils nur die Seite sehen werden, die ihnen in den Kram passt, und die eigenen Widersprüche ausblenden. Daran krankt ja diese ganze Angelegenheit. Özil hätte in der Tat eine interessante Debatte anstoßen können. Aber durch seinen Rücktritt hat er sich eben dieser Debatte entzogen. Und er hat immer noch nicht verstanden, warum das Foto für Irritationen gesorgt hat. Er wäre meiner Meinung nach stärker herausgekommen, wenn er selbstkritischer gewesen wäre, und trotzdem knallhart die Kritik gegen bestimmte Medien, Politiker und Funktionäre des DFB formuliert hätte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort