Analyse zur Fußball-Nationalmannschaft Der Abstieg in die Zweitklassigkeit droht

Amsterdam · Im 41. Duell mit den Niederlanden gab es die höchste Niederlage. 0:3 verlor die Fußball-Nationalmannschaft in Amsterdam. Zum Schluss fiel sie regelrecht auseinander. Es hakt an vielen Stellen. Eine Analyse.

 Die deutschen Spieler verlassen nach dem 0:3 in Amsterdam den Rasen der Johan-Cruyff-Arena.

Die deutschen Spieler verlassen nach dem 0:3 in Amsterdam den Rasen der Johan-Cruyff-Arena.

Foto: dpa/Ina Fassbender

In der Gruppe der Schönredner und Gesundbeter fiel der Bundestrainer zumindest durch eine angenehme Realitätsnähe auf. Während seine Spitzenathleten Toni Kroos („wir kommen nur raus, wenn wir weitermachen, Dienstag haben wir die nächste Chance“) und Mats Hummels („so viel können wir uns heute nicht vorwerfen“) an Durchhalteparolen schmiedeten, bekannte Joachim Löw: „Man kann 0:1 verlieren, aber dass wir in den letzten Minuten so auseinanderfallen, das ist schlecht.“ Mit 0:3 verlor die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes ihr Nations-League-Spiel in den Niederlanden.

Es ist nicht nur die höchste Niederlage im 41. Duell mit dem westlichen Nachbarn. Es ist auch eine Standortbestimmung für den Weltmeister von 2014, der die Titelverteidigung in Russland krachend verpasste, dem der Mut und der Geist für einen konsequenten Neuaufbau fehlen. Nach dem zweiten Spiel im neuen Uefa-Wettbewerb (das erste war ein 0:0 gegen Frankreich) und vor dem Gastspiel in Frankreich (Dienstag, 20.45 Uhr) droht der DFB-Auswahl der Abstieg in die europäische Zweitklassigkeit.

Noten: Niederlande - Deutschland
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Niederlande - Deutschland: die DFB-Spieler in der Einzelkritik

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Selbstverständlich bringt das nicht nur die Spieler unter Druck, die vor vier Jahren in ihrem Zusammenhalt und in ihrer Klasse noch stilbildend für die ganze Fußball-Welt waren. Es bringt auch Löw in Not, über dessen Eignung als Mann des Neuaufbaus nach mehr als zwölf Amtsjahren natürlich diskutiert wird. „Dass in der Öffentlichkeit debattiert wird, ist normal“, räumte der Bundestrainer mit blassem Gesicht und flackernden Augen ein, „dafür habe ich Verständnis. Aber es ist nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern.“ Trotzig schaute er aufs Spiel beim Weltmeister, das nun die Wende bringen soll. „Wir Trainer müssen die richtigen Schlüsse ziehen für das Spiel in Frankreich“, erklärte er, „wir müssen in Paris als Mannschaft und jeder Einzelne Charakter zeigen.“

Jene Zeitgenossen, die sich auf Verbandsseite um die Diskussion um Löw kümmern müssen, schwiegen vielsagend. Weder DFB-Präsident Reinhard Grindel noch DFB-Direktor Oliver Bierhoff traten in Amsterdam mit Wortbeiträgen hervor. Mit bitterer Miene hatte Grindel auf der Tribüne dem Treiben auf dem Rasen der Johan-Cruyff-Arena beigewohnt. Auf das Betreiben des DFB-Präsidenten hin war Löw nach dem Scheitern in der WM-Vorrunde in seinem Amt bestätigt worden. Vielleicht war das eine allzu vorschnelle Entscheidung.

Löw könnte nun ein Charakterzug zum Verhängnis werden, dem er seine großen Erfolge verdankt. Er war nie ein Mann radikaler Entscheidungen, sondern stets moderat, manchmal übervorsichtig. Mit zarten Personalkorrekturen moderierte er sein Team durch zwölf überwiegend großartige Jahre. Wer sein Vertrauen einmal errungen hatte, der musste sich schon anstrengen, irgendwann einmal durch den Rost zu fallen. Und das Vertrauen zahlten die meisten seiner Spieler durch starke Leistungen zurück.

Nun scheint es aber so zu sein, dass Löw sein Schicksal an eine Gruppe vorerst ehemaliger Leistungsträger bindet, die den Erwartungen, auch den eigenen, nicht mehr gerecht werden. Mit dem richtigen Argument, keine Mannschaft könne auf den Faktor Erfahrung verzichten, setzte der Trainer bei seiner Art des Neuaufbaus auf eine Achse der Weltmeister. Die besteht aus den vier Bayern-Akteuren Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller sowie dem ehemaligen Münchner und heutigen Real-Star Toni Kroos.

Ausgerechnet in der Phase, in der Löw sie am nötigsten braucht, haben sie aber nicht die notwendige Form. Neuer leistet sich Patzer wie den beim Führungstor der Holländer, die dem zuvor von den Deutschen einigermaßen kontrollierten Spiel eine Wende gaben. Boateng bot Stellungsfehler, Fehlpässe und Nachlässigkeiten im Zweikampf gegen einen wahrlich nicht erstklassigen Angriff. Und er ist körperlich seit mindestens zwei Jahren nicht auf Topniveau.

Niederlande - Deutschland: Pressestimmen zum Spiel
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„Tiefer als die Niederlande!“

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Foto: AP/Peter Dejong

Hummels verspielt Ansätze zu natürlicher Autorität, indem er öffentlich die Schuld an Niederlagen mit großer Bereitschaft anderen in die Schuhe schiebt. Diesmal „war es die Chancenverwertung, eindeutig“. Dass weder er noch Boateng den Laden gegen fröhlich konternde Holländer zusammenhielt, war ihm keine Erwähnung wert. Müller rennt zwar wie einst im Mai über das Feld, aber er trifft einfach nicht mehr. Und Kroos bekommt keine Ordnung ins Spiel, weil ihm nach Jahren mit Spielen auf höchstem Niveau im Dreitage-Rhythmus die Frische fehlt. So blockiert Löws Nibelungentreue zu seinen langjährigen Vertrauten einen durchgreifenden Wandel.

Es ist ohnehin die Frage, ob es mit Löws Naturell zu vereinbaren ist, einen durchgreifenden Wandel anzugehen. Und es sind Zweifel daran erlaubt, ob der DFB mit seiner bedingungslosen Entscheidung für Löw und damit für ein nur leise eingeschränktes „Weiter so“ den richtigen Weg eingeschlagen hat.

Tatsache ist, dass im Verband weder vor noch nach der WM ein Plan B kursierte.Das ist nur vordergründig ehrenwert und respektvoll gegenüber der Lebensleistung des Bundestrainers. Eigentlich ist es unprofessionell und leichtfertig, ebenso leichtfertig wie die Erklärungsversuche einiger Spieler. „Es hilft uns nichts, im Negativen herzumzudümpeln“, stellte Kapitän Neuer fest. „Wir haben ein Spiel verloren, das wir eigentlich gewinnen müssen“, sagte Hummels.

Ratlosigkeit im Team und Konzeptlosigkeit im Verband passen eben doch manchmal zusammen.

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