Härtetest bestanden Die Richtung stimmt beim DFB-Team

Amsterdam · Das 1:1 in den Niederlanden bewies, dass die deutsche Nationalmannschaft auf hohem Niveau mithalten kann. Aber es wurden auch ein paar Schwächen sichtbar.

Jamal Musiala setzt sich gegen Memphis Depay durch.

Jamal Musiala setzt sich gegen Memphis Depay durch.

Foto: AP/Peter Dejong

Gut neunzig Minuten Ringkampf endeten in freundschaftlichsten Umarmungen. Antonio Rüdiger herzte Memphis Depay und Steve Bergwijn und eigentlich jeden, der nicht schnell genug aus dem Weg kam. Auf dem Platz waren die Umarmungen zuvor ebenso innig, aber vergleichsweise kämpferisch gewesen. Das alles spielte nach einem leistungsgerechten 1:1 im Testspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland in Amsterdam offenbar keine Rolle mehr. Derart freundlich ist es nicht immer zugegangen zwischen den Nachbarländern. Zum Glück hat die gegenseitige Anerkennung Jahrzehnte währende bittere, an Hass grenzende Rivalität verdrängt.

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Zum ersten Mal in der Amtszeit des Bundestrainers Hansi Flick gab es einen Gegner der ersten Kategorie, und zum ersten Mal in nun neun Spielen gab es keinen Sieg. Dennoch konnte der Coach leben mit dem, was er gesehen hatte. Zu Recht, denn seine Mannschaft hatte lange Zeit bewiesen, dass „wir gegen so einen Gegner nicht nur mithalten, sondern sogar dominieren können“, wie Flicks nebenamtlicher Sprecher Thomas Müller feststellte. Der Bayer, für den Trainer neben Torwart Manuel Neuer und Abwehrchef Rüdiger Bestandteil der teamprägenden Achse, hatte unmittelbar vor der Pause die 1:0-Führung erzielt. David Raum hätte die bis dahin starke deutsche Vorstellung direkt nach Wiederanpfiff sogar mit dem zweiten Treffer belohnen können.

Die DFB-Auswahl hielt allerdings das hohe Niveau nicht. Ballverluste bauten die Holländer wieder auf, der Ausgleich war die gerechte Folge. Und die Deutschen durften sich glücklich schätzen, dass Schiedsrichter Craig Pawson seinen Elfmeterpfiff nach einer ungestümen Attacke von Thilo Kehrer gegen Memphis auf Hinweis des Video-Assistenten wieder zurücknahm, was bestimmt nicht jeder getan hätte. Es wäre in einer Phase deutscher Unordnung und niederländischer Überlegenheit wohl das 2:1 und die Wende in der Begegnung gewesen. Auch deshalb betonte Flick: „Wir können mit dem 1:1 zufrieden sein, wir haben ein gutes Spiel gemacht. Darauf können wir auf jeden Fall aufbauen.“ Das fand auch sein Kapitän. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagte Neuer.

Das wird niemand bestreiten. Schließlich zeigte die DFB-Auswahl, dass sie nicht nur gegen zweitklassige Aufbaugegner beachtliche Fertigkeiten im Spiel nach vorn hat. Kai Havertz, Leroy Sané oder der für seine zarten 19 Jahre erstaunlich selbstsicher aufspielende Jamal Musiala legten einige sehr elegante Kombinationen auf den Rasen. Ihr Team brannte freilich kein Feuerwerk an Torchancen ab, was im Wesentlichen daran lag, dass sich der zarte Sprinter Timo Werner zwischen den niederländischen Kleiderschränken in der zentralen Abwehr nicht so richtig bemerkbar machen konnte und deshalb ein Abnehmer fehlte. Dennoch ist das fröhliche Offensivspiel schon jetzt ein Trumpf auf dem Weg zur Advents-Weltmeisterschaft in Katar, auch wenn es nicht immer zielstrebig daherkam.

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Die Bilanzen der Bundestrainer beim DFB

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Foto: dpa, nic

Zu den Angriffen leistete Raum als linker Flügelspieler gute Beiträge. Er hat mit seiner Wucht auf jeden Fall Eindruck hinterlassen und in Abwesenheit von Robin Gosens Punkte gemacht, selbst wenn er sich vor dem Ausgleich im Kopfballduell mit Denzel Dumfries auf der Grundlinie nicht eben clever verhielt. Der Freiburger Innenverteidiger Nico Schlotterbeck hat sich ebenfalls empfohlen. Er ließ sich weder von der stimmungsvollen Kulisse noch von den prominenten Namen seiner Gegenspieler beeindrucken. Er begnügte sich nicht mit Sicherheits-Querpässen, sondern schlug mutig sehr sehenswerte Diagonalpässe, hatte jedoch in der Phase um den Ausgleich herum wie seine Mitspieler größere Probleme. Im Kampf um eine Position neben dem Platzhirsch Rüdiger hält er trotzdem überraschend gute Karten. Dass der Mönchengladbacher Matthias Ginter die ersten Freundschaftsspiele des Jahres gegen Israel und in den Niederlanden als Zuschauer erlebte, ist ein weiterer Hinweis darauf.

Flick sieht mit Wohlgefallen, dass sich das Angebot an geeigneten Fachkräften nicht verkleinert hat. Die Münchner Niklas Süle, Joshua Kimmich und Leon Goretzka versäumten die ersten Tests des Länderspieljahres, sie gelten aber als Anwärter auf Stammplätze, vor allem der Mittelfeldspieler Kimmich. „Der Kader“, frohlockte der Bundestrainer, „ist größer geworden. Wir sind total froh, dass wir so eine Auswahl haben.“

Nach den müden Auftritten in der letzten Phase des Alt-Bundestrainers Joachim Löw ist tatsächlich ordentlich Bewegung in dieses Team gekommen – in Fragen der fußballerischen Grundausrichtung ebenso wie in der Wiederentdeckung der Spielfreude. Am Ziel ist Flicks Mannschaft allerdings noch nicht, die Phase mangelnder Kontrolle über das Geschehen nach dem Ausgleich in Amsterdam unterstrich das. „Wir sind in einem Prozess“, erklärte Mittelfeldspieler Havertz, „angekommen sind wir noch nicht.“ Das stimmt, und es macht Flick noch bessere Laune, weil er ahnt, was möglich ist. Die deutschen Gegner dürfen sich ihrerseits darauf einstellen, dass da wieder ein ernstzunehmender Konkurrent heranwächst. Und das ist schon mal was nach einigen Jahren bemerkenswert flauer Vorstellungen.

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