Deutschland trifft auf England Wieder ein Länderspiel im Zeichen des Terrors

Berlin · Die Nationalmannschaft trifft am Samstag in Berlin auf England. Es ist der erste Test in diesem Jahr für die EM-Endrunde im Sommer in Frankreich - und eine große Herausforderung für die Sicherheitskräfte.

Joachim Löw kümmet sich um "Sorgenkind" Mario Götze
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Löw kümmet sich um "Sorgenkind" Götze

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Foto: afp

Joachim Löw wirkt ganz entspannt. Vielleicht ist das aber auch nur gut gespielt. Der Bundestrainer sagt, was zurzeit alle sagen: "Wir leben in einer potenziellen Gefahrenlage. Ich denke, dass hier bei uns und beim EM-Turnier in Frankreich alles Erdenkliche für die Sicherheit getan wird. Ich hoffe, dass es so abläuft, wie wir uns das vorstellen." An der Tür zum großen Mediensaal, den der DFB vor dem Freundschaftsspiel gegen England (20.45 Uhr/Live-Ticker) in einem Autohaus eingerichtet hat, stehen vier uniformierte Polizisten und nicken.

Zahl der Sicherheitskräfte deutlich erhöht

Nach den Terroranschlägen von Brüssel hat die Stadt die Bemühungen um Sicherheit verstärkt, die Zahl der Kräfte sei "deutlich erhöht", sagt Hendrik Große Lefert, der Sicherheitsbeauftragte des DFB. Zahlen nennt er nicht. Aber es steht fest, dass die großen Plätze, die Umsteigebahnhöfe und natürlich das Olympiastadion selbst sehr aufmerksam beobachtet werden. Es wird ausgiebige Kontrollen vor den Eingängen geben. Darüber hinaus erfolge eine "kontinuierliche Gefährdungsbewertung", erklärt Große Lefert. Das ist bereits traurige Routine. Vor ein paar Monaten wurde das Länderspiel in Hannover gegen die Niederlande ein paar Stunden vor dem Anpfiff abgesagt, weil es Anhaltspunkte für eine Gefährdung gab. In Berlin ist davon noch keine Rede. "Wir bereiten uns darauf vor, das Spiel ganz normal durchzuführen", sagt Große Lefert.

Es ist seltsam genug, dass er das sagen muss. Und so kann auch Löw das Unbehagen nicht völlig aus den Gedanken verbannen. "Die Bilder von Paris sind wieder da", erklärt er. Während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland hatte die französische Hauptstadt eine Welle von Anschlägen erlebt. 130 Menschen starben. Die Spieler verbrachten die Nacht in der Kabine, der Fußball war längst Nebensache.

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Foto: dpa, ahi fdt

Heute soll er in den Vordergrund rücken. Denn nicht nur Löw erwartet ein Spiel auf hohem Niveau. "Die Engländer", urteilt der Bundestrainer, "haben sich in den vergangenen Jahren wieder nach oben gearbeitet. Sie sind bei der EM ein Titelkandidat." Er rühmt ihre gute Sortierung, das Konterspiel und den Stürmer Jamie Vardy. Mit dem Außenseiter Leicester City segelt er sensationell auf Titelkurs, und Löw ist beeindruckt von Vardys Spielweise. "Er geht immer in die Tiefe, hinter die Abwehr, dahin, wo es den Verteidigern wehtut", sagt er. Den Defensivkräften habe er "schon auch gezeigt, wie Vardy spielt".

Löw setzt auf Mittelstürmer Gomez

Natürlich will Löws Team sich nicht allein mit dem Verteidigen befassen. Der Coach träumt von einem "offenen, interessanten Spiel, weil beide in der Lage sind, gewinnen zu wollen". Das ist nett ausgedrückt. Wenn seine Mannschaft in der Lage sein soll, gewinnen zu wollen, dann braucht sie starke Angreifer. Und da entschließt sich Löw sogar, gegen seine fußballerische Grundüberzeugung zu handeln. Er wird einen echten Mittelstürmer auf den Rasen schicken - wie schon in Frankreich Mario Gomez. Die Begründung: "Er hat bei Besiktas Istanbul spürbar mehr Selbstbewusstsein bekommen. Er bewegt sich gut, er hat einen wichtigen Schritt getan. Deshalb plane ich mit ihm von Anfang an." Die Menge staunt.

Weil Löw großen Wert darauf legt, Gomez' neu entdeckten Hang zum Mitspielen hervorzuheben, wird deutlich, dass sich hinter der Nominierung des ehemaligen Bayern kein Systemwandel verbirgt. Auch wenn der natürliche Lebensraum des Besiktas-Stürmers der Strafraum ist, will Löw eine Offensive, deren wesentliche Qualität der unvorhersehbare Positionswechsel ist.

Der geborene Kandidat für die vordere Rolle in diesem System ist Mario Götze, der nach langer Verletzungspause "noch Nachholbedarf hat" (Löw). Damit das sensible Kerlchen bei der Nationalmannschaft aber nicht ebenso Frust schieben muss wie bei Bayern München, stellt ihm Löw Spielzeit in Aussicht. "Je nachdem, wie das Spiel gegen England läuft, werde ich ihn später bringen", verspricht der Bundestrainer, "und in München am Dienstag gegen Italien von Beginn an."

Diesen Plan hat er Götze in einem längeren Gespräch unterbreitet. Dabei wurde über die Rolle des Spielers im Klub geredet, wo er nur ein Ersatzmann von vielen ist. Löw hat ihm empfohlen, "das Gespräch mit dem neuen Trainer Carlo Ancelotti zu suchen". Wenn Ancelotti ebenfalls auf andere Stammkräfte setzt, wird der Bundestrainer Götze zum Wechsel raten.

Der Trainer ist froh, über fußballerische Sorgenkinder reden zu können. Irgendwo hinter der Stirn arbeitet die bohrende Frage, ob heute alles gut geht für "die Mannschaft, die Fans, die Menschen". Das kann niemand beantworten. Einen Tag vor dem Spiel sieht es in der Stadt nicht anders aus als an jedem Karfreitag. Es ist still, die Polizei hält sich im Hintergrund.

Der Samstag wird ein anderer Tag.

(pet)
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