Spiel der Zukunft Fußballer sollen noch mehr mit dem Kopf spielen

Düsseldorf · Bundestrainer Joachim Löw fordert mehr kognitives Training. Die Spieler sollen dadurch noch schneller und besser reagieren können.

 Bundestrainer Joachim Löw.

Bundestrainer Joachim Löw.

Foto: afp

Die Entwicklung der Athletik im Fußball in den vergangenen Jahrzehnten war atemberaubend. Spieler wurden immer stärker, robuster, schneller und agiler. Mehr und mehr Experten sind nun der Meinung, dass dieser Prozess bald an seine natürlichen Grenzen stoßen wird - oder zumindest nicht mehr in großen Schritten vorangetrieben werden kann. Deshalb suchen die Trainer neue Entwicklungsfelder. "Im kognitiven Bereich gibt es unendlichen Spielraum", sagte Joachim Löw jüngst dem "Kicker". Was der Bundestrainer meint: Denk- und Wahrnehmungsprozesse sollen künftig mehr geschult werden. Oder noch einfacher: Nach dem Körper soll nun der Geist auf Topniveau gebracht werden.

"Ein Schachspieler denkt zehn bis zwanzig Züge voraus, das muss der Fußballer in Zukunft auch können", fordert Löw. Es geht darum, dass ein Spieler sich schneller und besser in einer Spielsituation entscheidet.

Generell fördern Bewegung und Sport vor allem bei Kindern und älteren Menschen neben motorischen auch kognitive Funktionen. Doch das ist keine Einbahnstraße. Der Düsseldorfer Neurologe und Sportmediziner Michael Löbbert sagt: "Die Quintessenz ist: Du brauchst nicht nur Sport, um die Kognition zu fördern, sondern auch kognitives Training, um sportliche Leistungen zu optimieren." Löbbert ist Teamarzt bei der Düsseldorfer EG und hat bei seinen Tests zu Gehirnerschütterung im Eishockey quasi nebenbei einen Zusammenhang zwischen der Position eines Spielers auf dem Eis sowie dessen kognitiven Fähigkeiten entdeckt. "Gute Ergebnisse weisen vor allem Spieler auf, die eine schnellere Auffassungsgabe haben und kreative Lösungen in Spielsituationen bieten", sagt Löbbert.

Grundlage für kognitive Prozesse im Sport ist das Prozessmodell der Entscheidungshandlungen. Sprich, der Vorgang zwischen Spielsituation und Lösung. Dazu gehören die kognitiven Fähigkeiten Antizipation, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, Kreativität und Variabilität sowie Spielintelligenz. Professor Daniel Memmert vom Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln sagt: "Es gibt für alle Bereiche belastbare Daten." Im Bereich der Kreativität haben Memmert und seine Kollegen die Tore der vergangenen Fußball-EM- und WM-Turniere untersucht. "86 Prozent der Tore ging nach Analyse von Experten eine kreative Aktion voraus, 68 Prozent sogar eine hochkreative", erklärt Memmert. Die Schlussfolgerung lautet: "Man muss Dinge tun, die für den Gegner unerwartet kommen."

Aufmerksamkeit hängt dabei extrem eng zusammen mit Kreativität. "Wenn Menschen einen weiten Aufmerksamkeitshorizont haben, können sie mehr kreative Lösungen generieren. Es ist extrem wichtig, dass Fußballer einen breiten Aufmerksamkeitsfokus haben", sagt Memmert, der mit seinem Team Methoden entwickelt hat. Übungen, um das Aufmerksamkeitsfenster zu vergrößern, gibt es für die Akteure sowohl am Computer als auch auf dem Rasen.

Eine simple Übungsform ist es, ein Spielfeld zu markieren, auf dem sich sieben Spieler mit grünen und zwei Gegner mit roten Leibchen bewegen. Dann bekommen die sieben Spieler zwei Bälle. Ziel ist es, dass niemals ein Spieler zwei Bälle gleichzeitig hat. "Man muss beide Bälle, Mit- und Gegenspieler im Auge behalten. Das ist gar nicht so einfach", sagt Memmert.

Für den Wissenschaftler ist der Anteil des kognitiven Trainings bei Bundesligaklubs zu gering. "Würden diese Trainingsformen deutlich erhöht, würde sich das auf die Entwicklung und die Leistung der Spieler auswirken", sagt Memmert, der davon überzeugt ist, dass sich kognitive mit physiologischen Übungen verbinden lassen.

Memmert unterstützt Joachim Löws These, dass es unendlich Spielraum für diese Form des Trainings gibt. "Wer dachte denn vor 100 Jahren an das Smartphone?", fragt Memmert. "Das menschliche Gehirn ist das, was sich noch weiterentwickeln wird. Das macht unser Leben so lebenswert."

(erer)
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