Kommentar zum Rücktritt des Nationalspielers Özil geht – und hinterlässt nur Verlierer

Düsseldorf · Allein das Zusehen beim Drama um Mesut Özil und die deutsche Nationalmannschaft bereitet beinahe körperliche Schmerzen. Mit dem Rücktritt des Nationalspielers haben alle Protagonisten verloren. Ein Kommentar.

Er hat es getan. Mesut Özil ist aus der Nationalmannschaft zurückgetreten. Das wird aber gewiss nicht der letzte Akt gewesen sein in einem Schauspiel, dem das drohende Unheil eines Shakespeare-Dramas innezuwohnen scheint. Es ist schmerzhaft mit anzusehen, wie sich der DFB seziert.

Die Diskussionen über Özil in den Kommentarspalten, an den Stammtischen und zuletzt auch von DFB-Offiziellen, wucherten in zunehmend bizarre Dimensionen. Seine hängenden Schultern, dass er - in der Tradition der Beckenbauers, Müllers und Breitners - bei der Hymne konzentriert schwieg, und natürlich die ominösen Fotos, all das war plötzlich ursächlich für den sportlichen Kollaps des DFB-Teams. Alles hing mit diesem blassen Jungen aus Gelsenkirchen zusammen, der sich doch nichts mehr zu wünschen schien, als unter einer Tarnkappe zu verschwinden.

Alle Privilegien, die mit dem Beruf eines Fußball-Nationalspielers einhergehen, einmal ausgeklammert - man stelle sich nur für einen Augenblick vor, die eigene Arbeit würde so systematisch unter dem Brennglas zerpflückt. Es bedarf großer Charakterfestigkeit und viel gesunder Ignoranz, um daran nicht zu zerbrechen. Özil verfügt offenbar über diese Eigenschaften. Stumm wie ein Fisch hat er das Kommunikationsdesaster um seine Person über sich ergehen lassen.

Doch nun, nach allzu langem Zögern, antwortet er. Nun gut - er lässt schreiben. Herausgekommen ist eine erstaunlich gnadenlose Abrechnung, der man in einigen Teilen zustimmen möchte. Özils Erklärungen sind dabei aber von eben der Doppelbödigkeit beschaffen, die viele mit dem Fußballgeschäft fremdeln lässt. Der Mittelfeldspieler, der sich das Fußballspielen beim FC Arsenal mit rund 400.000 Euro pro Woche entlohnen lässt, hat seinen Abgang von langer Hand inszenieren lassen - mit einem PR-Gehabe, das schlichtweg nervt. Wie viel von seiner ureigenen Haltung aus diesen Zeilen herauszulesen ist, bleibt nebulös. Der Inhalt ist jedoch brisant, wichtig und schmerzhaft zutreffend.

Wenn der Autor von Özils Statement den elenden und offenbar nicht auszumerzenden Alltagsrassismus anprangert, der den chronisch unterschätzten Mittelfeldspieler Zeit seiner Nationalmannschaftskarriere begleitet hat, formuliert er befreiend offenherzig, was stets Teil dieser Debatte war. Das Foto mit dem türkischen Präsidenten diente jenen bloß als Freifahrtschein, denen die Özils und Gündogans, Mustafis und Khediras in einer deutschen Nationalmannschaft schon immer suspekt waren. Dies mit letzter Konsequenz anzugehen, wäre ureigene Aufgabe des DFB, der sich nur zu gern mit großflächigen Anti-Rassismus-Kampagnen dekoriert.

Wie schon bei Gündogans dünnen Einlassungen fehlt aber in Özils Zeilen am meisten das Entscheidende: Auch nur ein Wort über Erdogans Machenschaften, eine Einschätzung dazu, wie man eine solche Anbiederung an Erdogan Menschen wie Deniz Yücel oder all den anderen namenlosen und vergessenen Leidtragenden der Willkür des türkischen Despoten erklären würde. Wer von Özil hier mehr Selbstkritik erwartet, sitzt einem Missverständnis auf. Özil fehlt offenbar bereits die Selbsterkenntnis, überhaupt einen Fehler gemacht zu haben. Das muss man ihm vorwerfen und es ist frustrierend, dass er dieser Kritik gegenüber weitgehend immun zu sein scheint. Doch so weit er in diesem Punkt daneben liegen mag - viele Aspekte seiner Generalkritik sind schmerzlich treffend. Ein Spieler, der die deutsche Nationalmannschaft auch deshalb verlässt, weil er offenen Rassismus beklagt, der ihm an vielen Stellen entgegenschlägt, muss zwingend ernst genommen werden. Daher werden auch Konsequenzen über seinen Rücktritt hinaus schwer zu vermeiden sein.

Der DFB hat sich im Eiltempo bis ins Mark ramponiert, keiner der Einflussreichen beim DFB scheint plötzlich mehr unantastbar. Panisch strampeln einige bereits um ihr politisches Überleben - mit wenig Rücksicht auf Verluste. Wie Oliver Bierhoff, der zunächst energisch verteidigte, dass Mesut Özil sich nicht äußern wollte, später genau das aber öffentlich kritisierte, um dann wieder zu erklären, dass dies nicht so gemeint gewesen sei. Wie Joachim Löw, dessen Aura mit jeder Einlassung verfliegt, in der er eklatante Überforderung mit diesen sensiblen politischen Themen offenbart. Seine Analyse des betrüblichen WM-Auftritts steht freilich noch aus, Führungskompetenz lässt er dieser Tage jedoch nicht erkennen.

Die letzten Akte sind eröffnet. Wie aufs Kommando preschen bereits alte Kempen wie der ewige DFB-Pressesprecher Harald Stenger (“Der schlechteste DFB-Präsident, den ich in je erlebt habe“) und schrauben schon mal Grindels Namensschild vom Schreibtisch ab. Ob sich der DFB-Präsident nach Özils Frontalangriff halten wird, ist fraglich - aber er steht weiß Gott nicht allein zur Debatte. Man muss kein Shakespeare-Kenner sein, um zu wissen: Dieses Sommerdrama wird nicht gut ausgehen.

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