EM-Qualifikation Kaiser Boateng

Frankfurt/M. · Vor den EM-Qualifikationsspielen ist der deutsche Innenverteidiger in Top-Form. Große Töne spucken aber nur andere.

Jerome Boateng – Berliner, Abwehrchef, Weltmeister
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Das ist Jerome Boateng

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Foto: dpa/Soeren Stache

Ein nebliger Regen nieselt vom Himmel. Ein paar Ordner in bunten Signalwesten stehen gelangweilt an der großen Frankfurter Arena. Und 20 erkennbar in die Jahre gekommene Fans diskutieren eingehend das garstige Schicksal der Frankfurter Eintracht. Von großer weiter Welt kündet nicht viel. Die erfreulich niedrig über den Trainingsplatz zum nahen Flughafen einschwebenden Flugzeuge vielleicht, die dröhnend die Ansagen der Trainer übertönen. Und ein wenig die gekrönten Häupter, die einen Steinwurf weiter auf die letzten EM-Qualifikationsspiele der DFB-Auswahl in Irland (morgen) und gegen Georgien (Sonntag) einstimmen sollen.

Unter ihnen ist Weltmeister Jerome Boateng, dessen Redebeiträge und Auftritte jenseits des Rasenvierecks nun aber auch so gar nichts von übertriebenem Glitter haben. Er lässt lieber Taten für sich sprechen. Zuletzt beim Bundesliga-Spitzenspiel FC Bayern gegen Dortmund (5:1), als er mit zwei glänzenden Pässen seinen Mitspielern Thomas Müller und Robert Lewandowski den Weg zu Toren öffnete. Müller, dessen Auftritte immer ein bisschen lauter und zumindest auffälliger sind, erklärt seinen Verteidiger-Kollegen flugs zum Fußball-Kaiser der Gegenwart. Das wiederum erschreckt Trainer Pep Guardiola, der ein sehr ernstes Verhältnis zu Ehrentiteln im Sport pflegt, während Boateng mit leiser Stimme und in mundfaulem Berliner Dialekt urteilt: "Das war ein kleiner Spaß."

Dabei wirkt er keineswegs so, als würde er sich in Erinnerung ausschütten vor Lachen. Gefühlsausbrüche passen auch nicht zu ihm. Dem Überschwang der Experten, die ihn längst und bestimmt zu Recht einen der besten Verteidiger, wenn nicht den besten der Welt nennen, begegnet er mit dem artigen Hinweis aus dem großen Buch mit den DFB-Sprachfolien. "Für mich", sagt er, "ist wichtig, dass ich meine Leistung bringe. Das mit dem Besten der Welt sollen andere beurteilen."

Das tun die allerdings gern. Andere rühmen mit großer Ausdauer seine Klasse in der Spieleröffnung, seinen Blick für den Raum, sein Zweikampfverhalten, seine enorme Schnelligkeit und seine Ruhe im Deckungsspiel - also alles, was er auf dem Platz so zeigt. "So einen Spieler wünscht man sich als Mittelfeldspieler hinter sich", betont Ilkay Gündogan, der sich in München wieder einmal aus der Nähe von Boatengs Qualitäten überzeugen durfte. Da hätte er sich den Kollegen bestimmt lieber auf seiner, auf der Dortmunder Seite gewünscht. Er hatte freilich nur Mats Hummels, der mehr durch Kritik an seinen Mitspielern als durch Weltklasse-Leistungen auffiel.

Herummosern wie der schlaue Mats würde Boateng nicht. Er kann sich auch nicht daran erinnern, dass Hummels ihm gegenüber den Oberlehrer gegeben hat. "Wir helfen uns auf dem Platz", beteuert Boateng. Das wiederum hört sich so an, als müsse es mal gesagt werden. Es wird jedoch selbst Hummels nicht viel einfallen, was an den Vorstellungen seines Partners in der Nationalelf auszusetzen wäre. Und das heißt etwas.

Seine augenblickliche Rolle im Verein und in der DFB-Auswahl findet Boateng wahrscheinlich schön, aber er zeigt es nicht. Er wirkt geradezu verlegen, wenn sie ihm auf die kräftigen Schultern schlagen. Aber er räumt dann doch ein, "dass ich eine gute Entwicklung genommen habe".

Dafür ist er seinen Vereinstrainern dankbar, er nennt ausdrücklich Ex-Bayern-Trainer Jupp Heynckes und Guardiola. Dann dankt er noch seiner Familie, "die immer ehrlich mit mir ist", und "meinem großen Bruder". Er meint George, der in Berlin noch in der Landesliga kickt. Es klingt wie bei der Oscar-Verleihung.

Von seinem anderen Bruder Kevin-Prince, dem leise verkrachten Genie, das mit kaputtem Knie keinen neuen Verein mehr findet und vor dem Ende der Karriere steht, ist nicht die Rede. Beide aber haben mit Jerome Boatengs Fußballlaufbahn zu tun. Obwohl er im vergleichsweise vornehmen Berliner Stadtteil Wilmersdorf aufwuchs, spielte er mit seinen Brüdern im Arbeiterstadtteil Wedding in einem Drahtkäfig auf Betonboden. Vor ein paar Jahren sind die drei mal dahin zurückgekehrt, wo es so bodenständig anfing. Da war dann alles anders. 200 Journalisten kamen zum Ortstermin. Der alte Kasten glitzerte regelrecht.

Jerome Boateng war das alles eher peinlich. In der Öffentlichkeit jenseits des Fußballplatzes sieht er immer so aus, als würde am liebsten gleich davonlaufen. Er bleibt dann aber doch stehen, antwortet leise, kurz und ohne sichtbare Begeisterung für sich selbst und die Rituale des großen Geschäfts. Das lässt er wieder andere erledigen. Eigentlich ziemlich clever. Und so unzeitgemäß.

(pet)
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