„Leidenschaft und Begeisterung“ Das fordert Flick wirklich von seinem DFB-Team

Analyse | Düsseldorf · Bundestrainer Hansi Flick fordert zum Neustart „Leidenschaft und Begeisterung“, doch das sind Floskeln, die nicht greifbar sind. Was soll das denn sein? Ein Annäherungsversuch.

Bundestrainer Hansi Flick (in weiß) umrahmt von seinen Spielern.

Bundestrainer Hansi Flick (in weiß) umrahmt von seinen Spielern.

Foto: dpa/Arne Dedert

Er hat’s schon wieder getan. Im Sommer 2021, Hansi Flick (58) war gerade ins hohe Amt des Fußball-Bundestrainers gelangt, sagte er: „Wir wollen wieder begeisternden Fußball spielen. Wir müssen Leidenschaft auf den Platz bringen.“ Anderthalb Jahre später sitzt er in Frankfurt am Main auf dem Podium neben dem blendend gelaunten neuen Sportdirektor Rudi Völler und erklärt: „Wir erwarten, dass jeder Einzelne mit Begeisterung und Leidenschaft auf dem Platz steht.“ An den Herausforderungen hat sich also vor dem Start ins nächste Länderspieljahr mit den Partien gegen Peru (Samstag in Mainz) und Belgien (Dienstag, 28. März, in Köln) nichts geändert. Was aber war in der Zwischenzeit?

Der Auftakt für Flick schien die Nationalmannschaft aus der ermüdenden Belanglosigkeit der ganz späten Phase seines Vorgängers Joachim Löw zu befreien. Acht Spiele gewann die DFB-Auswahl in Folge gegen Kontrahenten aus der zweiten und dritten Reihe, freilich mit durchaus ermutigenden fußballerischen Vorstellungen, viel Lust und ein bisschen so, wie sich der Bundestrainer die neue Leidenschaft auf dem Platz und die Begeisterung fürs vor allem offensive Spiel vorstellt. Tatsächlich schien das Fußballvolk auf den Rängen bereits auf dem Weg zur Versöhnung mit dem zuvor als so abgehoben empfundenen einstigen Stolz der Nation. „Die Fans“, stellte Flick am Ende seines ersten Jahres fest, „honorieren, was auf dem Platz geschieht.“

Am Ziel seiner Wünsche war er damit jedoch nicht. Denn sein Team surfte nicht ausdauernd auf der Welle der Begeisterung, und die Fans honorierten auf ihre Art, wenn etwas eben nicht auf dem Platz geschah. Das Publikum ging wieder auf Abstand, als sich herausstellte, dass Flick weder durch Handauflegen noch durch Wiederholung seiner Forderungen eine durchgreifende Änderung bewirkte. Seine Mannschaft bewies, dass sie in guten Momenten bezaubernde Dinge auf den Rasen bringen kann. Sie bewies aber auch, dass sie noch während einer Begegnung für längere Phasen völlig aus dem Spiel aussteigen kann und dann geradezu gelangweilt und ohne erkennbare Verantwortung fürs große Ganze daherkommt.

Auf diese Art versemmelte sie auch die Winter-Weltmeisterschaft in Katar. Wie 2018, am offensichtlichen Tiefpunkt der Länderspiel-Geschichte, fuhr die deutsche Nationalmannschaft nach der Vorrunde nach Hause. Und Flicks These vom begeisternden, leidenschaftlichen Fußball blieb ein Versprechen, das seine Auswahl offenbar nicht einlösen konnte oder in ihrer ganzen Gleichgültigkeit gar nicht einlösen wollte.

Fußball: Kader der deutschen Nationalmannschaft 2023
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Der Kader der deutschen Nationalmannschaft für die März-Länderspiele

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Bange Ahnungen, dass es bei Spielertypen, die schon von ihrer Körpersprache wenig Begeisterung ausdrücken wie der zartgliedrige Kai Havertz oder der gelegentlich völlig in sich verschwindende Leroy Sané, auf Dauer so bleiben könnte, verscheucht Flick mit anderen Stereotypen. „Ich bin von Hause aus positiv“, beteuerte er im Februar in einem Gespräch mit dem „Kicker“, „wir haben die Qualität. Wir können die Öffentlichkeit durch Leidenschaft wieder von der Nationalmannschaft überzeugen. Das Wichtigste ist, dass wir guten Fußball zeigen.“ Das ist alles nicht neu. Und Flick weiß selbst, dass es 15 Monate vor der Europameisterschaft im eigenen Land langsam Zeit wird mit einer nicht nur vorübergehenden Einlösung aller Versprechen.

Dennoch leistet er sich den Luxus, die beiden Länderspiele gegen Peru und Belgien zu einem großflächigen Experiment zu machen. Sechs Neulinge berief er in sein Aufgebot, zahlreiche arrivierte Kräfte dürfen sich daheim auf weitere große Aufgaben vorbereiten. Flicks Begründung: „Es ist wichtig, dass wir nach Alternativen suchen, diese fördern und ihnen die nötige Zeit geben.“ Zum Einspielen einer Formation für die EM bleibe schließlich dann „noch ein Jahr“. Das reicht ihm.

Seine Kritiker überzeugt der Bundestrainer damit nicht. Besonders böse Zeitgenossen werfen ihm vor, durch die Nominierung von Nachwuchskräften, die zum Teil in ihren eigenen Vereinen nicht einmal den Rang von anerkannten Stammspielern bekleiden, die Nationalelf „der Lächerlichkeit preiszugeben“. Andere schütteln den Kopf, weil sie das Prinzip einer Auswahl der besten Spieler nicht erkennen können. Und sie verweisen darauf, dass die Mannschaft in Katar auch scheiterte, weil sie nicht lange genug eingespielt worden war.

Flick lässt sich davon ebenso wenig beirren wie Völler. Der Sportdirektor sieht „die wichtigste Message: Jeder kann noch auf den Zug aufspringen“. Und er hält es bereits für einen Gewinn, dass A-Mannschaft und U21-Team bei einem gemeinsamen Essen in Frankfurt „Zusammenhalt“ dokumentieren. Der 62-Jährige beschwört damit (immerhin mit besten Absichten) Werte, die in der jüngeren Generation nicht mehr vorkommen.

Eins ist allerdings sicher: Die Athleten aus der zweiten Reihe werden jene Leidenschaft anbieten, die der Bundestrainer seit August 2021 bei nahezu jedem öffentlichen Auftritt geradezu herbeifleht. Das deckt sich wahrscheinlich mit den Erwartungen des Publikums. Zu Recht, findet Flick: „Wir sind in der Bringschuld.“ Das ist ganz bestimmt wahr.

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