Kolumne Gegenpressing Die fetten Zuschauer-Jahre beim DFB sind vorbei
Leipzig · Nur 35.000 Zuschauer kamen zum Länderspiel in Leipzig. Die Gründe liegen auf der Hand. Die Frage ist nun, ob der DFB daraus auch Konsequenzen zieht. Zweifel sind angebracht, findet unser Autor.
Am Ende sollen es dann doch 35.288 Zuschauer gewesen sein. Diese Zahl rief jedenfalls der Stadionsprecher im Auftrag des Deutschen Fußball-Bundes beim Länderspiel gegen Russland in Leipzig aus. Das ist bei einer Kapazität von knapp 42.000 Plätzen noch immer nicht zu viel, aber es ist immerhin ein bisschen mehr, als nach dem sehr schleppenden Vorverkauf anzunehmen war. Der DFB konnte sich vor allem glücklich schätzen, dass eine Menge Russen und Russlanddeutsche die Besucherzahl nach oben trieben.
Was die Stammkundschaft betrifft, erhärtet auch Leipzig den Befund: Die Zeiten, da ein Länderspiel bei den zahlenden Fans ein Selbstläufer ist und die Stadien regelmäßig an ihre Grenzen bringt, sind vorbei.

Deutschland gegen Russland: das DFB-Team in der Einzelkritik
Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer, der immer wieder gern genannt wird, zog zumindest in Leipzig nicht. Die Karte ist nicht immer ein Luxusgut. Für die Begegnung mit Russland waren Tickets zu Preisen von 18 Euro im Angebot, Kinder zahlten lediglich zehn Euro. Aber beim Thema Kinder nähert man sich dem ersten Problem. Welche verantwortungsbewussten Eltern muten es einem (Schul-) Kind zu, sich die Nacht für einen Stadionbesuch um die Ohren zu schlagen? Anstoßzeiten um 20.45 Uhr gehen an der Basis vorbei. Der DFB entschuldigt sich mit dem Hinweis auf Vorgaben der internationalen Verbände. Und die Nationalelf-Verantwortlichen entschuldigen sich mit dem Hinweis auf die Vermarkter im eigenen Verband, die mit der immer noch wichtigsten Mannschaft den gesamten DFB finanzieren. Das bleibt ein hoffnungsloser Fall. Länderspiele zu familienfreundlichen Zeiten wird es nicht mehr geben. So richtig laut räumen es die Verbandsoberen nicht ein, sie sind froh, wenn darüber nicht zu energisch nachgedacht wird.
Der wesentliche Grund aber für die anhaltende Stadionflucht der Fans liegt in den Vorstellungen der Nationalmannschaft. Deren Kapitän Manuel Neuer hat in großmütiger Selbstbezichtigung festgestellt: "Wir haben in diesem Jahr nicht alles getan, dass die Stadien ausverkauft sind." Das ist fein beobachtet. Und es bezieht sich nicht allein auf die wenig erheiternden Vorstellungen auf dem Rasen, sondern auch auf die Darstellung des Teams außerhalb.

Deutschland gegen Russland: die Bilder des Spiels
Die Fans bestrafen die Abgehobenheit und Selbstgefälligkeit, mit der sich der schmählich entthronte Weltmeister bei der WM in Russland aufführte, mit Liebesentzug. Sie stimmen zurzeit mit Abwesenheit über das fast vergangene Fußballjahr ab.

Deutschland gegen Russland: die Stimmen zum Spiel
Das ist im Verband und im Team offenbar dann doch angekommen. Rund um das Spiel in Leipzig ging der DFB deshalb in eine regelrechte Charmeoffensive mit Besuchen in Schulen und bei Vereinen. Noch kommt das ein bisschen sehr kalkuliert daher. Aber es ist ein Anfang. So wie die erste Hälfte des Spiels gegen Russland. Wie sang Jürgen Klinsmanns Sommermärchen-Held Xavier Naidoo: "Dieser Weg wird kein leichter sein." Selbst schuld.
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