Spieler mit Perspektive Kimmich, Draxler und Sané gehört die Zukunft im DFB-Team

Amsterdam · Bundestrainer Joachim Löw baut in der Nationalelf auf eine bewährte Achse. Er braucht allerdings auch Spieler mit Perspektive - solche wie Joshua Kimmich und Leroy Sané.

 Alle mal lachen: Die Nationalspieler Julian Draxler (hinten) und Leroy Sané haben gute Laune.

Alle mal lachen: Die Nationalspieler Julian Draxler (hinten) und Leroy Sané haben gute Laune.

Foto: dpa/Jens Büttner

Mitte Juni sitzt Joshua Kimmich gut gelaunt und gut frisiert auf dem Podium des deutschen WM-Quartiers in Watutinki. Es ist ein sonniger Tag, noch niemand ahnt, dass der Weltmeister bald seine erste unerwartete Niederlage im WM-Turnier von Russland einstecken wird. Entspannt lobt Kimmich (23) die Rundumvorbereitung auf Spiele im DFB mit Videoanalysen, gründlicher Datenerhebung und die verbandseigene App, mit der sich jeder Spieler über Leistungsstand, künftige Gegner und Fehler in vergangenen Begegnungen informieren kann. „Es ist für mich eine große Hilfe, so kann ich mich verbessern, und ich will mich immer verbessern“, sagt der Bayern-Profi.

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Kimmich, Abitur-Durchschnittsnote 1,7, gilt als Musterschüler im deutschen Fußball. Daran hat auch der Auftritt in Russland nichts geändert. Dort erlitt er gemeinsam mit den Kollegen auf bemerkenswerte Art Schiffbruch. Sein Glaube an moderne Trainings-Methoden, zu denen auch für Spieler Laptop und I-Pad gehören, ist dadurch nicht erschüttert.

Für seinen Trainer Joachim Löw, der derartigen Neuerungen mit der gesunden Skepsis eines 58-jährigen Bauchmenschen begegnet, ist Kimmich eine ganz wesentliche Figur in einem zunächst mal äußerst behutsamen Aufbau einer zukunftsträchtigen Mannschaft. Noch, also auch in den beiden Nations-League-Spielen in den Niederlanden (Samstag, 20.45 Uhr) und Frankreich (Dienstag, 20.45 Uhr), vertraut Löw einer bewährten Achse von 2014-Weltmeistern, die freilich derart in die Jahre gekommen ist, dass sie kaum als Zukunftsmodell durchgehen kann. Dennoch beteuert Löw bei jeder Gelegenheit: „Wir brauchen Erfahrung.“

Da trifft es sich ganz gut, dass Kimmich trotz seiner Jugend schon eine ziemlich erfahrene Kraft ist. Seit zweieinhalb Jahren spielt er in der Nationalmannschaft, er gewann mit den Bayern Meisterschaften und Pokale, und er trug beim Confed-Cup-Sieg 2017 sogar zwischenzeitlich die Kapitänsbinde. „Jo Kimmich“, sagte der hochdekorierte Kollege Toni Kroos vor der WM, „ist auf dem Weg in die Weltklasse.“

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Dieser Weg ist ein bisschen steiniger geworden nach einem geradezu mühelosen Einstieg. Experten feierten den Mittelfeldspieler, den Bayerns Trainer Pep Guardiola und Löw zum rechten Verteidiger umschulten, als würdigen Nachfolger von Philipp Lahm, der das Verteidigerwesen in der Welt auf eine neue Ebene gehoben hatte. Doch auch Kimmich kennt inzwischen die Täler einer Karriere. Bei der WM offenbarte er gravierende taktische Mängel, bei den Bayern hat er den zumindest mal vorläufigen Absturz mit zu verantworten. Und er hat ersichtlich damit zu tun, dass er zwischen Verein und DFB-Auswahl ein wenig heimatlos ist. In München spielt er auf dem defensiven Flügel, Löw sieht in ihm den Mann für die zentrale Mittelfeldrolle vor der Abwehr, seinen Sechser. Es ist kein Geheimnis, dass Kimmich sich dort ebenfalls gut aufgehoben fühlt. Weil er schon so früh in die zentrale Verantwortung gestellt wird, ist er sicher die kommende zentrale Figur in der Nationalmannschaft.

Eine zumindest ähnliche Rolle wird Julian Draxler zugetraut, der mit nun 25 Jahren aus dem Status des ewigen Talents herauswachsen muss. Beim Confed-Cup bewies er, dass er tatsächlich eine Führungsfigur sein kann. Man gibt die Hoffnung ja nicht auf.

Dagegen steht Leroy Sané (22) erst im Status eines Hoffnungsträgers. Auf ihn mag noch niemand die Zukunft bauen. Dabei wird einer wie er dringend gebraucht. Die WM zeigte, wie sich eine ballverliebte Mannschaft mit Breitwandfußball selbst langweilen kann. In Russland wurde deutlich, dass die DFB-Auswahl dringend Rhythmuswechsel und Spieler benötigt, die über das gemächliche Tempo der Altvorderen hinauskommen.

Sané ist genau der Typ, der Tiefe in die Aktionen bringt, weil er aus dem Stand beschleunigen kann, und weil er das Dribbling wagt. Einer ganzen Generation braver Nachwuchsstürmer ist der Alleingang als Abweichung vom Gruppenprinzip ausgetrieben worden. Jetzt ist er der Schlüssel zum Erfolg.

Es wäre also alles ganz einfach, wenn Sané sich nicht selbst im Weg stehen würde. Im Trainingslager vor der WM und in seinen immerhin auch schon 13 Spielen für die A-Mannschaft hat er den Eigensinn übertrieben und es an Leidenschaft erheblich mangeln lassen. Verwöhnt wirkte er, und das haben ihm die Kollegen auch mitgeteilt. Er gibt sich geläutert. Er respektiere die Kritik, hat Sané vor dem Spiel in Amsterdam gesagt, und: „Ich mache das nicht extra, dass ich sage: Mir ist alles egal. Ich will, dass wir zusammen immer gut aussehen und unsere Spiele gewinnen.“

Den Eindruck, dass es ihm in erster Linie darum geht, selbst gut auszusehen, hat er allerdings noch nicht vollends widerlegt. Einen Hinweis auf das Selbstbild trägt er buchstäblich mit sich herum. Seinen Rücken ziert seit gut einem Jahr ein gigantisches Tattoo, das ihn beim Torjubel nach seinem Treffer zum 5:3 im Champions-League-Achtelfinale von Manchester City gegen AS Monaco zeigt. ManCity schied im Rückspiel aus, was die Wahl des Motivs für die Ganz-Rücken-Beschriftung schon seltsam genug macht. Der Teamkollege Raheem Sterling schrieb seine Meinung bei Instagram nieder: „Was für ein beschissenes Tattoo. Ich bin Leroy Sané, und ich bin in mich selbst verliebt.“ Den Eintrag hat Sterling gelöscht, ein Tattoo lässt so leicht nicht löschen.

(pet)
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