Fußball in Uerdingen Große Spiele und große Spieler schrieben Geschichte

Krefeld · In Uerdingen wurde ein Stück Fußball-Geschichte geschrieben. Daran wirkten viele Stars wie Oliver Bierhoff, Stefan Kuntz oder Manfred Burgsmüller ebenso mit wie Trainer Kalli Feldkamp. Nach dem Ausstieg von Bayer verlief die Geschichte wechselhaft.

 Der Uerdinger Torjäger Stefan Kuntz ist heute Trainer der deutschen U21-Nationalmannschaft.

Der Uerdinger Torjäger Stefan Kuntz ist heute Trainer der deutschen U21-Nationalmannschaft.

Foto: Bongarts

Ende Februar 1971: der FC Bayer 05 Uerdingen trägt in der Grotenburg sein erstes Spiel aus. 1:1 trennten sich die Uerdinger vor 50 Jahren in der damals drittklassigen Verbandsliga von TuRa Büderich.

1971 – dieses Jahr, in dem die Uerdinger in die damals zweitklassige Regionalliga West aufstiegen, markiert den Beginn einer ein halbes Jahrhundert währenden Epoche Uerdinger Fußballs mit unvergesslichen Spielen und Spielern im blau-roten Trikot, die weit über die Stadtgrenzen Krefelds hinaus national und international Aufmerksamkeit erregten.

Drei Jahre in Folge platzierte sich das Team – auch dank zahlreicher Tore des 2019 verstorbenen Manfred Burgsmüllers – jeweils in den vorderen Rängen der Liga. Die Qualifikation für die neu geschaffene zweite Liga Nord gelang spielend. Und nur ein Jahr später setzte sich Uerdingen in zwei Relegationsspielen gegen den Südzweiten FK Pirmasens (4:4, 6:0) durch und stieg 1975 zum ersten Mal in die Bundesliga auf.

Auch wenn es nach einem Jahr wieder runter ging, Uerdingen, der Stadtteil Krefelds wurde fortan auf der deutschlandweiten Fußballkarte wahrgenommen. Dafür sorgte auch ein gewisser Rainer Holzschuh. Der spätere Chefredakteur und Herausgeber des Kicker verdiente sich seine ersten journalistischen Sporen mit Berichten über Uerdingen. Ähnlich erging es Radioreporterlegende Manfred Breuckmann, der am Freitag 70 Jahre alt wird und zu Beginn seiner Karriere ebenfalls häufiger Gast in der Grotenburgkampfbahn war. So auch am 19. Februar 1977, als im DFB-Pokal Zweitligist Uerdingen wenige Minuten vor Ende gegen den souveränen Tabellenführer der Bundesliga Eintracht Frankfurt mit 1:3 hinten lag. Die Zuschauer verließen scharenweise das Stadion. Breuckmanns Stimme aus dem Autoradio, die das 3:3 in der Nachspielzeit verkündete, ließ sie zurückkehren und am Ende ein 6:3 nach Verlängerung bejubeln.

Für viele Uerdinger Fans war es das erste Wunder, zu mindestens aber der Vorbote des Wunders von der Grotenburg, das sich am 19. März 1986 ereignete. Die Bayer-Kicker – nach 1979 und 1983 zum bereits dritten Mal in die Bel Etage des deutschen Fußballs aufgestiegen, spielten als DFB-Pokalsieger 1985 nach dem 2:1-Endspielsieg gegen Bayern München international. In einem deutsch-deutschen Duell trafen sie im Viertelfinale des Europapokals auf Dynamo Dresden, verloren das Hinspiel in der DDR mit 0:2 und lagen zur Halbzeit im Rückspiel mit 1:3 hinten – summa summarum 1:5. Doch sechs Tore in 28 Minuten drehten die Partie zu einem 7:3. Der Rest ist Geschichte und gehört zur fußballerischen Allgemeinbildung – nebst eigenem Wikipedia-Eintrag.

 Wimpeltausch beim Hinspiel in Dresden: Uerdingens Kapitän Matthias Herget und Hans-Jürgen Dörner.

Wimpeltausch beim Hinspiel in Dresden: Uerdingens Kapitän Matthias Herget und Hans-Jürgen Dörner.

Foto: Huko

2007 wurde die Partie von den Lesern der Zeitschrift 11-Freunde zum größten Fußballspiel aller Zeiten gewählt und Filmemacher Bernhard Dreiner drehte im gleichen Jahr einen Dokumentarfilm. Am 9. Juni feiert das Theaterstück „Das Wunder von der Grotenburg“ von Rüdiger Höfken Premiere im Krefelder Theater – welch ein Zeitpunkt angesichts der Pleite der Fußball GmbH; fast ist man geneigt, an eine antike griechische Tragödie zu denken.

Mit Uerdingen verbindet man aber auch die Namen vieler großer Spieler. Paul Hahn war in den Siebzigern sicherlich einer der besten deutschen Liberos, hatte aber den Jahrhundertfußballer Franz Beckenbauer vor sich. Als Teamchef setzte der aber immerhin 39 Mal auf Uerdingens spielstarken Libero Matthias Herget.

 Erfolgstrainer Kalli Feldkamp

Erfolgstrainer Kalli Feldkamp

Foto: Huko

Zu den prägenden Gesichtern des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gehören heute der Manager der Nationalmannschaft Oliver Bierhoff, der von 1986 bis 1988 für Uerdingen spielte, und Stefan Kuntz (86 – 89), frisch gebackener Europameister als Trainer der deutschen U21, die als Spieler 1996 gemeinsam in England Europameister wurden. Bei dem Turnier waren mit Brian Laudrup (Dänemark), Stéphane Chapuisat (Schweiz) und Sergej Gorlukowitsch (Russland) weitere Uerdinger für ihre Heimatländer im Einsatz. Aber auch die Funkel-Brüder Friedhelm und Wolfgang prägten die große Zeit der 05er.

Doch das Jahr 1996 markiert auch eine Wende. Der nach dem Rückzug der Bayer AG 1994 zum KFC umbenannte Verein stieg letztmalig aus der Bundesliga ab. Es folgte ein immer mal wieder gebremster, am Ende aber stetiger Abstieg bis in die Sechstklassigkeit – das alles noch flankiert von drei (2001, 2004 und 2007) überstandenen Planinsolvenzen. Ob der Straelener Bauunternehmer Herrmann Tecklenburg, der Krefelder Intensivmediziner Professor Henning Harke, der aus Krefeld stammende Unternehmer Ralf Houben oder der schillernde Immobilienkaufmann Agissilaos „Lakis“ Koukourdialos – sie alle versuchten das Vakuum, das der Rückzug der Bayer AG hinterlassen hatte, zu füllen – am Ende jeweils erfolglos.

Was sie alle konstatierten: In dieser Stadt – und damit ist nicht nur die Kommune gemeint – nahm man die Erfolge der Fußballer gerne mit, dafür etwas tun, mochte man nie. „Wir machen Eishockey, die machen Fußball“, ist so ein geflügeltes Wort zur Arbeitsteilung in der Samt- und Seidenstadt, wobei seit „die“, gemeint ist die Bayer AG, weg ist, das halt nicht mehr so funktioniert.

Alles aber schien wieder nach diesem Krefelder Gesetz zu funktionieren, als Ende 2016 der russische Investor Mikhail Ponomarev mit sehr viel Geld auftauchte. Innerhalb von zwei Jahren führte er die fünftklassig spielende Mannschaft in die Drittklassigkeit. Drei Jahre war Uerdingen zurück auf der deutschlandweiten Fußballkarte, nach 20 Jahren saßen die blau-roten Fans wieder im Münchener Biergarten und Canon artig hallten die „Uerdingen, Uerdingen“-Rufe durch die Arenen. Nur nicht in Krefeld. Die seit Jahren marode Grotenburg darf aus Sicherheitsgründen für keinerlei Spielbetrieb genutzt werden.

Nach dem Rückzug der Investoren Mikhail Ponomarev und Roman Gevorkyan wird die KFC Uerdingen 05 Fußball GmbH abgewickelt. Der Verein müht sich, einen Vorstand zu finden sowie einen Etat und eine Mannschaft aufzustellen, um künftig in der viertklassigen Regionalliga anzutreten.

Es braucht wohl wieder mal ein Wunder. „Aber Wunder können wir ja“, sagte unlängst ein Fan. Und meinte das keineswegs sarkastisch, sondern Mut machend.

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