Debatte um moderne Pyrotechnik 2300 Grad kälter ist immer noch zu heiß

Düsseldorf · Dänische Fußball-Fans von Bröndby IF verwenden erstmals „kalte Pyrotechnik“ bei einer Choreographie. Diese Fackeln werden „nur“ 230 Grad heiß. Für Deutschland ist im Dauerstreit aber keine Lösung in Sicht.

 Ein besonderes Spektakel: Zum ersten Mal zündeten Anhänger von Bröndby IF vor dem Spiel gegen den FC Midtjylland in Dänemark sogenannte kalte Pyros – die Fackeln sollen deutlich ungefährlicher sein.

Ein besonderes Spektakel: Zum ersten Mal zündeten Anhänger von Bröndby IF vor dem Spiel gegen den FC Midtjylland in Dänemark sogenannte kalte Pyros – die Fackeln sollen deutlich ungefährlicher sein.

Foto: imago images/Ritzau Scanpix/Liselotte Sabroe via www.imago-images.de

In deutschen Stadien gibt es einen Schlachtruf, der wird vereinsübergreifend von großen Teilen der Ultra-Bewegungen skandiert: „Pyrotechnik ist kein Verbrechen.“ Tatsächlich ist das auch nach aktueller Rechtsprechung so, es gilt nur als Ordnungswidrigkeit, Leuchtfackeln zu zünden. In der Politik wird seit Jahren darüber gestritten, ob die Gesetze nicht verschärft werden müssten. Die Rede ist von Gefängnisstrafen bis hin zum Führerscheinentzug. Auf der anderen Seite gibt es naturgemäß für derartige Vorschläge wenig Verständnis. Die Ultras hatten sich eine Legalisierung erhofft, mindestens in definierten Bereichen in den Blöcken. Die Fronten sind mittlerweile total verhärtet.

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Foto: REUTERS/THILO SCHMUELGEN

Der hoffnungsvolle Blick ging deswegen nach Dänemark. Dort wurde eine alternative Leuchtfackel entwickelt. Die sogenannte „kalte Pyrotechnik“ wurde nun erstmals in Kopenhagen bei der Partie zwischen Bröndby IF und dem FC Midtjylland bei einer Choreo eingesetzt – in Absprache mit dem Verein. Der Däne Tommy Cordsen hat die neuen Fackeln erfunden. Sie werden „nur“ noch bis zu 230 Grad heiß, deutlich kälter als herkömmliche Produkte, die sich bis zu 2500 Grad aufheizen. Das sei nahezu unkalkulierbar in einem vollbesetzten Stadion, findet der Deutsche Fußball-Bund (DFB). Welche Versicherung sollte bereit sein, dass gefährliche Spiel mit dem Feuer abzusichern?

Die neue Entwicklung aus Dänemark wurde auch in Deutschland geprüft – und fiel durch. Die Fackel wurde doch heißer, als vom Hersteller angegeben, war nicht mit Wasser zu löschen, Kleidung und Haare haben sich in Test-Szenarien blitzschnell entzündet, und der Rauch enthält verschiedene Giftstoffe. Eine Mixtur an Argumenten, die gegen eine Legalisierung sprach. Werder Bremen gehört zu jenen Vereinen, die in diesem Bereich Forschungsarbeit leisten. „Wir haben eben jetzt die Erfahrung machen müssen, dass die kalte Pyrotechnik in der gegenwärtigen Situation nicht in den Stadien eingesetzt werden kann, weil sie in der Tat zu gefährlich ist“, sagte Präsident Hubertus Hess-Grunewald einmal dem „Deutschlandfunk“. „Es gibt sogenannte E-Pyro, es gibt auch andere Fackeln, die sich sofort löschen, wenn man sie aus der Hand fallen lässt. Es gibt jetzt auch technische Ansätze. Man kann sicher sagen, dass das Potenzial, was in dieser ganzen Frage liegt, um eine Lösung zu finden, noch nicht ausgeschöpft ist.“ Die Bundesregierung hat unlängst ihre ablehnende Haltung noch einmal bekräftigt: Die Bezeichnung „kalte Pyrotechnik“ sei „insofern irreführend, als auch beim Abbrennen der so bezeichneten Gegenstände eine erhebliche Hitze- und Rauchentwicklung stattfindet“. Mögliche Folgen seien beispielsweise Augenreizungen, Übelkeit oder Atemprobleme.

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Foto: dpa/Torsten Silz

Die Grünen-Politikerin Monika Lazar hatte auf ein Umdenken gehofft. „Klar ist: Der rein repressive Kampf gegen Pyrotechnik ist gescheitert. Populistische Law-and-order-Forderungen, wie Knast für Zündler, bringen uns nicht weiter“, sagte Lazar dazu in diesem Sommer. Die Hoffnung: Stadien würden sicherer, wenn Pyrotechnik kontrollierter und kälter abgebrannt würde. Durch herkömmliche Pyrotechnik wurden zwischen 2013 und 2018 – im Rahmen der rund 5000 Spiele der höchsten drei Ligen in Deutschland – insgesamt 410 Zuschauer verletzt. Die Dunkelziffer der nicht erfassten Verletzten sei hoch, so die Bundesregierung. 521 polizeibekannte Fans werden in der Polizei-Datenbank „Gewalttäter Sport“ wegen Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz registriert. Zum Ende der vergangenen Saison waren dort insgesamt 9544 Personen erfasst.

Für die Vereine ist die Zündelei vor allem eines: kostspielig. Kostenpflichtiger Inhalt In der vergangenen Saison mussten die 54 Klubs aus der 1. bis 3. Liga 3.269.050 Euro an den DFB überweisen – der überwiegende Teil wegen des Abbrennens von Feuerwerkskörpern. Seit August 2018 kostet laut Strafenkatalog das Abbrennen eines pyrotechnischen Gegenstandes in der Bundesliga 1000 Euro (2. Liga: 600, 3. Liga: 300), das Abschießen 3000 Euro (2. Liga: 1500, 3. Liga: 750).

(gic)
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