Klinsmann „Fan“ des Liverpool-Trainers „Kloppo ist wie die Beatles in Liverpool“

Interview | Düsseldorf · Der frühere Bundestrainer spricht über das am Samstag anstehende Champions-League-Finale, die Qualität der Bundesliga im internationalen Vergleich, die Dominanz des FC Bayern und die WM-Chancen des DFB-Teams.

Das ist Jürgen Klinsmann
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Das ist Jürgen Klinsmann

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Foto: dpa/Robert Michael

Herr Klinsmann, am Samstag ist das Champions-League-Finale Real Madrid gegen den FC Liverpool. Macht sich Jürgen Klopp mit dem zweiten Champions-League-Triumph unsterblich oder guckt Carlo Ancelotti auch ihn aus?

Klinsmann Da treffen zwei große Trainer aufeinander. Kloppo ist ein Original, ein Super-Typ. Er passt wie kein anderer zur Anfield Road und in die Stadt, er ist wie die Beatles in Liverpool. So war es vorher auch in Dortmund. Ich bin ein riesen Kloppo-Fan, weil er immer er selbst ist. Ich bin aber auch ein Fan von Carlo Ancelotti. Er findet stets Wege, sich in verschiedenen Umfeldern zurechtzufinden, er geht auch mal dahin, wo es unangenehm ist. Er hat die innere Balance gefunden, auch in schwierigen Klubs Erfolg zu haben. Darum ist es für mich keine Überraschung, dass er es geschafft hat, Real ins Finale zu führen. Beide haben das Endspiel total verdient.

Wer gewinnt es?

Klinsmann Es treffen zwei Kulturen aufeinander. Einmal Real Madrid, das von jeher ein Weltverein ist, und Liverpool, der Klub, der so an den Menschen hängt. Hier das Royale, da die Malocher, das ist schon eine tolle Geschichte. Ich bin neutral, glaube aber ein bisschen mehr, dass Kloppo es macht.

Die Bundesliga hat in der Champions League in dieser Saison keine große Rolle gespielt. Wo steht die Bundesliga?

Klinsmann Die Bundesliga ist trotzdem absolut sehenswert und hat viel Qualität. Im Vergleich mit der Premiere League tut sie sich schwer – wie die italienische Serie A oder die spanische Liga. Die Premiere League hat eine unglaubliche Dynamik, in ihrer DNA ist so viel Energie. Wenn man von der Bundesliga auf ein Premiere-League-Spiel wechselt, ist das, also ob man einen Gang höher schaltet. Das ist nicht nur mit Geld zu erklären. Es ist auch ein kulturelles Phänomen. Der Rhythmus, in dem in England gespielt wird, der hohe Stellenwert jedes Wettbewerbs. Da wird einfach seit über 30 Jahren tolle Arbeit gemacht.

Ist die Dominanz der Bayern für die Bundesliga ein Problem? Was fehlt dem Rest, um sie zu verhindern?

Klinsmann Natürlich haben die Bayern eine enorme Qualität, aber sie haben auch den Wettbewerbsvorteil, den Konkurrenten immer schädigen zu können, indem sie denen, die ihnen zu nahe kommen, wichtige Stücke herausreißen. Das ist seit 40 Jahren so. Den Konkurrenten fehlt aber auch die letzte Entschlossenheit. Es wäre wichtig, dass Borussia Dortmund, RB Leipzig oder Leverkusen mehr Konstanz und mehr Mut haben im Wettbewerb mit den Bayern. Es ist viel Kopfsache. Auch da sind die Bayern im Vorteil. Sie haben sich die Selbstverständlichkeit, vorn wegzugehen, über Jahrzehnte erarbeitet.

Schaut man auf die Bayern, den BVB, Leipzig und Leverkusen: Robert Lewandowski, Erling Haaland, André Silva und Patrik Schick hießen die Mittelstürmer in der vergangenen Saison. Wo sind die deutschen Mittelstürmer?

Klinsmann Ich hoffe, wir finden bald wieder ein paar. Es gab über Jahre den Trend, den Spanien losgetreten hat, mit sechs Mittelfeldspielern, davon drei oder vier total offensiv, aber ohne echten Neuner zu spielen. Dem sind auch wir gefolgt, die Konsequenz erleben wir nun. Mit persönlich tut es weh, weil ich glaube, die Nummer 9 ist eine Faszination. Und war für uns immer eine wichtige Komponente, vor allem auch in der Nationalmannschaft. Darum wäre es toll, wenn auf den Bolzplätzen im Lande wieder Jungs heranwachsen, die nur in der Mitte spielen und Tore machen wollen. Da müssen die Klubs dann hinschauen.

Stichwort Bolzplätze. Es gibt die Kritik, dass die Ausbildung in den Internaten zu viele gleiche Spieler hervorbringt.

Klinsmann Der DFB muss immer hinterfragen, wo man etwas ändern kann, was gut und nicht gut gelaufen ist, diese Kritik-Kultur muss erhalten bleiben und darf nicht unterdrückt werden. Gerade nach zwei Misserfolgen, die der deutsche Fußball zuletzt hatte. Wenn es zu wenige Spieler mit gewissen Qualitäten und Charakteristiken für gewisse Positionen gibt, ist es richtig, das Thema in den Nachwuchsleistungszentren hereinzutragen und Ansätze zu finden, das zu korrigieren. Jede Neuerung im DFB, in der Liga, in der DFL ist notwendig, um Stillstand zu verhindern.

Blicken wir auf die WM in Katar Ende des Jahres. Darf man vom deutschen Team den Titel erwarten?

Klinsmann Diese Erwartungshaltung ergibt sich aus unserer Geschichte. Das gilt auch für Brasilien, Argentinien oder Spanien. Da wird einfach erwartet, dass die Mannschaft ins Endspiel kommt. Das ist für unsere Spieler aber kein Problem. Es ist eine Selbstverständlichkeit, sich das Ziel zu setzen und sich daran zu orientieren. Das hilft auch. Ich habe das in den USA erlebt. Da ist jeder überglücklich, wenn man aus der Gruppenphase rauskommt und dann ist auf einmal die Luft raus. Da haben wir in Deutschland den Vorteil, dass wir schon vier WM-Titel geholt und darum die höchste Vorgabe haben. Diese Zielsetzung haben zu dürfen, ist an sich schon eine Ehre.

Kann Hansi Flick als Bundestrainer die Zielsetzung erfüllen?

Klinsmann Hansi ist eine logische Entscheidung für den Bundestrainer-Posten, weil er mit den Bayern phänomenalen Erfolg hatte und weil er den DFB in- und auswendig kennt als Teil des Teams von Jogi Löw. Und er ist ein feiner Mensch. Das ist aber kein Freifahrtschein zum Titel. Er hat trotzdem das Problem fehlender Neuner und auf den Außenbahnen. Das muss er lösen. Und Schwachstellen hat jedes Team. Ich bin insgesamt zuversichtlich, denn unsere Qualität ist sehr hoch. Die jungen Spieler haben viel gelernt in den vergangenen Jahren, das Team ist gereift nach den Enttäuschungen bei der letzten WM und der EM. Ich glaube, es ist bereit, wieder positive Zeichen zu setzen.

Wer ist WM-Favorit?

Klinsmann Brasilien ist für mich der Topfavorit, es hat eine unglaubliche Stabilität, ist eingespielt, hat erkannt, dass man nicht immer den Trainer wechseln muss, wenn ein Turnier nicht so gut läuft. Das trägt Früchte. Aber auch Argentinien ist stark. Messi wird alles tun, sich diesen Titel zu holen, um in Argentinien auf Augenhöhe zu kommen mit Diego Maradona. Der WM-Titel fehlt ihm dazu, das weiß er. Ich denke, der Weg zum Titel geht nur über diese beiden.

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Foto: dpa/Oliver Weiken

Es ist eine WM im Dezember. Wie fühlt sich das für den Fußball-Fan Jürgen Klinsmann an?

Klinsmann Es ist schon ein komisches Gefühl, aber trotzdem vollkommen in Ordnung. Die WM wurde nun mal nach Katar vergeben und dort kann man wegen der Hitze im Sommer nicht spielen. Es ist eine logische Konsequenz der Vergabe, die natürlich eine große organisatorische Herausforderung für alle Ligen ist. Im Zuge der WM-Vergabe hat auch ein Reinemachen begonnen bei der Fifa, das finde ich wichtig. Das Verfahren der WM-Vergabe ist nun transparent, bis jetzt war es ein Versteckspiel. Der Anfang ist gemacht, mit Arsene Wenger als Technischen Direktor hat die Fifa viel Fußball mit dazu genommen.

Es gibt jedoch viele Kritiker der WM in Katar.

Klinsmann Auf die Probleme wurde und wird ausführlich aufmerksam gemacht, und das ist auch richtig so. Ich war zweimal vor Ort und habe mir vieles angesehen. Es wird eine andere WM, ja, aber man muss dem Turnier in Katar eine Chance geben, die hat es verdient.

Apropos Chance: Wann kehrt Jürgen Klinsmann zurück in den Fußballzirkus?

Klinsmann Das eine oder andere Abenteuer habe ich schon noch vor. Während der Covid-Auszeit konnte ich ein paar andere Projekte angehen, aber jetzt im Sommer oder im Herbst geht es dann sicher wieder zurück. Und wenn nicht, kommentiere ich die WM für die BBC mit Gary Lineker.

Können Sie sich eine Rückkehr in die Bundesliga vorstellen?

Klinsmann Ausschließen kann man im Fußball nichts, darum muss man für alles offen sein. Ich bin schon oft überrascht worden in meinem Leben, hätte nie gedacht, dass ich die USA übernehme oder bei der Hertha tätig werde. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass ich noch mal in der Bundesliga auftauche.

Jürgen Klinsmann.

Jürgen Klinsmann.

Foto: AFP/ODD ANDERSEN

Thema Hertha. Sie waren ein Teil des Projekts. Nun wurde der Abstieg soeben vermieden.

Klinsmann Für die Hertha wäre der Abstieg eine Katastrophe gewesen, bei alldem finanziellen Aufwand, der betrieben wird. Dass er vermieden wurde, ist gut, aber das darf nicht über alles andere hinwegtäuschen. Es ist sehr schade, dass ein Standort wie Berlin, der so viel Wirtschaftspower hat, wie übrigens auch Stuttgart, das sich ja soeben gerettet hat, nicht ganz anders dasteht im deutschen Fußball. Für die Hertha wäre es wichtig, dass endlich ein echtes Fußball-Stadion kommt, im Olympiastadion fängt Hertha die Saison mit minus zehn bis 15 Punkten an, weil es keine Heimspiel-Atmosphäre gibt. Aber es gibt sicherlich noch ganz andere Baustellen. Grundsätzlich zeigt das Beispiel, dass Erfolg ein Gesamtergebnis vieler kleiner Punkte ist. Die Zusammenstellung des Teams, das Zwischenmenschliche, die Energie im Klub, die Verantwortlichkeiten, die Rolle der Gremien – es muss alles passen. Sonst nützen auch große Investitionen nichts.

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