"Es gibt keinen Grund, beim DFB zu bleiben" Interview mit Teamchef Rudi Völler

sid: "Herr Völler, im Sommer sind Sie völlig unerwartet Teamchef der deutschen Nationalmannschaft geworden. Nun haben sie drei Spiele gewonnen und gelten als Hoffnungsträger des deutschen Fußballs. Überrascht Sie das?"

sid: "Herr Völler, im Sommer sind Sie völlig unerwartet Teamchef der deutschen Nationalmannschaft geworden. Nun haben sie drei Spiele gewonnen und gelten als Hoffnungsträger des deutschen Fußballs. Überrascht Sie das?"

Völler: "Ich war nie so grün, wie viele immer gedacht haben. Es hieß ja immer, der Völler ist ein netter Kerl, und der macht das alles schon. Auch wenn der mal verliert, das wird dem jeder verzeihen. Ich habe WM und EM gespielt und sieben Jahre im Ausland gespielt - also ich bin auch schon durch harte Schulen gegangen. Ich weiß auch in diesem Fall: Da hast du vielleicht mal ein Spiel mehr Kredit. Und dann wirst du gnadenlos kritisiert wie jeder andere auch."

sid: "Es verblüfft aber die scheinbare Leichtigkeit, mit der Sie die Nationalmannschaft wieder nach oben geführt haben..."

Völler: "Es war auch für mich ein Risiko, aber ich habe es gerne gemacht. Und jetzt ist richtig Spaß dabei. Die Art, wie sich die Nationalmannschaft präsentiert. Es ist ja nicht so, dass wir in den drei Spielen sehr, sehr viel Glück hatten. Wir waren in allen drei Spielen etwas besser als der Gegner. Vor allem in England haben wir eine tolle Leistung gebracht."

sid: "Welchen Stellenwert hat das Länderspiel gegen Dänemark am 15. November?"

Völler: "Natürlich ist das kein ganz unproblematischer Zeitpunkt - bei den vielen Spielen, die die Vereine absolvieren müssen. Auch wenn es nicht um Qualifikationspunkte geht, ist es aber sicher was Besonderes."

sid: "Werden Sie gegen Dänemark Neulingen eine Chance geben?"

Völler: "Es hat sich in den letzten zehn, 20 Jahren viel verändert im Fußball. Bei mir zählt aber letztendlich immer noch das Leistungsprinzip. Mit guten Spielen im Europakpkal und in der Meisterschaft muss man sich für die Nationalmannschaft empfehlen - und zwar über einen längeren Zeitpunkt. Man muss es sich verdienen, zu diesem Kader zu gehören. Die 'U21' hat sich zuletzt ganz toll verkauft. Da sind einige ganz große Talente dabei, die irgendwann sicherlich auch in der A-Nationalmannschaft auftauchen können. Man muss schon versuchen, bei solchen Spielen dem einen oder anderen eine Chance zu geben. Wer es denn sein wird und wie viele es sein werden, hängt davon ab, wie die Spieler körperlich drauf sind."

"Ich gehe hundertprozentig zu Bayer Leverkusen zurück"

sid: "Sie sind ja immer noch zusätzlich im Management von Bayer Leverkusen als Sportdirektor tätig. Inwieweit sind Sie an der Suche nach einem Nachfolger von Christoph Daum beteiligt?"

Völler: "Ich habe mit Wolfgang Holzhäuser und Reiner Calmund die Vereinbarung, dass ich mich bis zum England-Spiel nur um die Nationalmannschaft kümmere. Für was anderes hatte ich den Kopf nicht frei. Bis Weihnachten wollen wir versuchen, einen neuen Trainer zu präsentieren. Am liebsten hast du einen Trainer, der die ersten fünf Spiele hintereinander gewinnt."

sid: "Könnte der Trainer dann schon die Vorbereitung für die Rückrunde übernehmen?"

Völler: "Nein, das ist nicht denkbar. Auf keinen Fall."

sid: "Sie gelten ja auch als heißer Kandidat und könnten zusammen mit ihrem Assistenten Michael Skibbe auch bei Bayer als Teamchef fungieren?"

Völler: "Diese Diskussion gibt es schon seit ein paar Tagen. Grundsätzlich gehe ich im Moment immer noch davon aus, dass ich als Sportdirektor nach Leverkusen zurückgehe. Aber man sieht ja auch an meinem Fall, vor einem halben Jahr hätte ich auch nicht gewusst, dass ich Teamchef bin. Aber grundsätzlich gehe ich im Moment davon aus, dass ich Sportdirektor bleibe. Ich gehe hundertprozentig zu Bayer Leverkusen zurück. Ob ich dann wieder auf die Tribüne gehe oder dann wieder auf die Bank, das wird man sehen. Das hängt auch ein bisschen vom Trainer ab."

sid: "Haben Sie nun nicht Blut geleckt? Eine Tätigkeit auf der Trainerbank ist doch vielleicht interessanter als am Schreibtisch."

Völler: "Nein, man muss das ja alles nüchtern sehen. Im Moment ist es natürlich schwierig, weil du hast diese drei Spiele gehabt und alle drei gewonnen. Alles positiv, alles toll. Es gibt gewisse Dinge, die müssen sehr gut überlegt sein. Wie gesagt, wir haben, der Reiner Calmund und ich, diskustiert... Ohne uns unter Druck setzen zu lassen: Wenn wir jetzt unbedingt sagen wollen, bis Weihnachten wollen wir eine Entscheidung treffen werden, wer der neue Trainer wird."

"Wenn Daum kommt, wird er auch seinen Stab haben."

sid: "Wie sieht ihre vertragliche Situation denn im Moment aus?"

Völler: "Ich habe meinen Vertrag bei Bayer Leverkusen und bin wie ein Spieler ein Jahr ausgeliehen."

sid: "Wäre es nicht auch möglich, dass Sie - in welcher Funktion auch immer - beim DFB bleiben?"

Völler: "Da gibt es keinen Grund für."

sid: "Doch: Sie sind erfolgreich und haben eine große Popularität."

Völler: "Es war eine gute Lösung, dabei sollte man es auch belassen. Wenn Daum kommt, wird er auch seinen Stab haben."

sid: "In der Wirtschaft würde man eine erfolgreiche Lösung nicht einfach wieder preisgeben, obwohl mit Christoph Daum noch nicht einmal ein Vertrag unterschrieben ist. Warum wollen Sie also nicht mehr?"

Völler: "Weil ich der Meinung bin, dass Chistoph Daum die Idealperson ist. Der wird für alles verantwortlich sein, von der A-Mannschaft über 21 bis runter zu 'U11', was es da alles gibt. Da wird er entscheiden, welcher Trainer wo eingesetzt wird. Der wird viele Impulse setzen können. Das sind Dinge, die könnte ich alles nicht, will ich auch gar nicht."

sid: "Und was ist mit ihrem Assistenten Michael Skibbe? Bleibt der beim DFB?"

Völler: "So ist es normalerweise geplant. In welcher Art und Weise, das sieht man in den nächsten Wochen und Monaten."

sid: "Aber Skibbe soll hauptberuflich und ausschließlich beim DFB arbeiten?"

Völler: "Normal ist es so, dass er dort bleibt. Aber ihr wisst ja, wie es ist. Mittlerweile ist das Geschäft so schnelllebig, wer weiß, was in einem Dreivierteljahr ist. Im Moment gehen wir davon aus, in welcher Funktion auch immer."

"Sind nicht so gut wie Brasilien oder Argentinien"

sid: "Was kann der deutsche Fußball aus der Affäre Hoeneß/Daum lernen? Wie bewerten Sie die vergangenen Wochen im Nachhinein?"

Völler: "Uli Hoeneß und Christop Daum fahren nie gemeinsam in Urlaub - auch wenn dies nicht passiert wäre. Uli hat die Situation sicher unterschätzt - selbst als Medienprofi. Das Einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist einfach diese Spanne zwischen dem ersten Interview und er Pressekonferenz. Die war einfach zu lang. Das weiß er auch."

sid: "Es gibt ja immer noch die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Daum. Glauben Sie, dass diese noch einmal Auswirkungen auf die Nationalmannschaft haben wird?"

Völler: "Wir waren während der heißesten Phase in England und haben trotzdem gewonnen. Natürlich wird darüber geredet. Wer sich in Leverkusen ein bisschen auskennt: Das war letztes Jahr schon in der Zeitung. Aber da war Christoph Daum noch nicht der Christoph Daum von heute, der Teamchef wird. Das wird auch wieder weniger."

sid: "Wie beurteilen Sie nach Ihrer mittlerweile gut 100-tägigen Amstzeit den Stellenwert des internationalen Fußballs. Haben Sie etwas bewegen können?"

Völler: "Die Mannschaft ist bei weitem nicht so schlecht, wie sich sich bei der EM präsentiert hat. Und das sie nicht so stark ist, wie sie jetzt wieder gemacht wird - da sind wir uns wohl alle einig. Wir dürfen uns nicht einbilden, uns schon wieder auf eine Stufe mit Brasilien und Argentinien zu stellen."

(RPO Archiv)
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