Direkt unter Druck Kuntz soll in der Türkei eine „Heldengeschichte“ starten

Istanbul · Nur vier Spiele bleiben Neu-Nationalcoach Stefan Kuntz, um mit der Türkei doch noch die Qualifikation für die WM 2022 zu schaffen. Angst vor dem Scheitern hat der frühere deutsche U21-Erfolgscoach aber nicht. Ihn reizt die besondere Herausforderung in einem anderen Land.

Stefan Kuntz: Europameister, Funktionär, U21-Nationaltrainer
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Das ist Stefan Kuntz

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Foto: dpa, spf jai

Stefan Kuntz reiste zum Start als neuer türkischer Fußball-Nationaltrainer kreuz und quer durch Europa. Möglichst viele seiner Spieler wollte der 58-Jährige live im Stadion sehen, Gespräche führen, sich austauschen. „Die ersten Tage waren sehr spannend. Ich bin viel hin- und hergeflogen“, sagte der 58 Jahre alte frühere deutsche U21-Erfolgstrainer vor seinem Debüt. Die Türkei steht dabei am Freitag (20.45 Uhr) in Istanbul gegen Norwegen gleich unter Druck.

Dann sind Kuntz und sein Trainerteam Jan-Moritz Lichte und Kenan Kocak nach kurzer Vorbereitungs- und Eingewöhnungszeit gleich voll gefordert. Vier Spieltage vor Ende liegen die Türken um Führungsspieler Hakan Calhanoglu (Inter Mailand) in ihrer Gruppe der WM-Qualifikation nur auf Rang drei hinter den Niederlanden und Norwegen, das allerdings am Freitag auf den verletzten Dortmunder Toptorjäger Erling Haaland verzichten muss. „Für diese kleine Chance auf die WM-Qualifikation wäre ein Sieg gegen Norwegen sehr, sehr wichtig“, sagte Kuntz. „Deshalb gehen wir das Spiel so an, dass wir unbedingt gewinnen wollen.“

Denn nur der Gruppenerste löst direkt das Ticket für das Turnier im Winter kommenden Jahres in Katar. Als Gruppendritter wäre die Türkei ausgeschieden. Nach einer komplett enttäuschenden EM mit dem Vorrunden-Aus ist spätestens nach dem 1:6 gegen die Niederlande auch die WM-Qualifikation in Gefahr. Kuntz setzt für das enorm wichtige Spiel gegen Norwegen dennoch weitgehend auf dieselben Spieler wie sein Vorgänger Senol Günes, der vor rund vier Wochen gehen musste.

Er blicke seinem bevorstehenden Debüt mit „positiver Aufregung“ entgegen, sagte Kuntz am Donnerstag auf einer Pressekonferenz. Für ein neues Land auf der Bank zu sitzen und eventuell eine Sensation zu erreichen, erzeuge dieses Gefühl. Er müsse sich aber auf seinen Job konzentrieren, „und dann ist es so, wie es in der Vergangenheit auch war“. Der Neuanfang sei eine Chance, die man nutzen wolle, Ziel sei ganz klar die WM-Qualifikation, sagte Kuntz. Bei dem Spiel am Freitag setzt er auf eine Mischung aus älteren und jüngeren Spielern und darauf, dass die Harmonie zwischen „Erfahrung und Unbekümmertheit“ zum Erfolg führen könne.

In der Türkei sind die Erwartungen an Kuntz, der 1995/96 eine Saison bei Besiktas Istanbul gespielt hatte, riesig. Nicht weniger als die WM-Qualifikation soll der Ex-Profi schaffen. Seine erste Partie gegen Norwegen ende entweder in einer Heldengeschichte oder in einer Niederlage, schreibt ein Journalist der Tageszeitung „Sabah“.

Doch die hohen Erwartungen der kritischen Medien und die Träume der leidenschaftlichen Fans nimmt Kuntz selbstbewusst an. „Ich wollte ein anderes Land, eine andere Liga kennenlernen“, sagte der Europameister von 1996 dem „Spiegel“. Und dann muss ich eben mit dem größeren Druck umgehen. Das ist Teil meines Jobs.“ Nach fünf maximal erfolgreichen Jahren bei der U21 mit zwei EM-Titeln fühlte sich Kuntz bereit für eine neue Herausforderung. Die „Komfortzone“ verlassen, nennt er das.

Der türkische Verband dürfte vor allem auf Kuntz' Fähigkeiten als Kommunikator und Motivator setzen. Bei den drei erfolgreichen U21-Europameisterschaften waren Teamgeist und Zusammenhalt jeweils die großen Stärken seiner deutschen Mannschaften. Bei der EM fiel die türkische Auswahl eher durch individuelle Aktionen als durch Struktur und Zusammenhalt auf. Für eine gute Stimmung im neuen Team hat Kuntz jedenfalls gleich zu Beginn schon mal gesorgt: Fotos in sozialen Netzwerken zeigen ihn und die Nationalspieler gemeinsam beim Training lachen und scherzen.

Die Aufgabe in der Türkei geht Kuntz erst einmal demütig an, nur die taktische Ausrichtung dürfte er ein klein wenig anpassen. „Klar haben wir einen theoretischen Matchplan“, sagte der 58-Jährige. „Aber für mich ist es jetzt erst einmal sehr wichtig, dass ich die Jungs kennenlerne, dass wir uns zusammen etwas erarbeiten und dass ich ein Gefühl dafür bekomme, was wir umsetzen können.“ Möglichst viel davon soll dann schon am Freitag beim Debüt gegen Norwegen klappen.

(dör/dpa)
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