Kroos ist Reals Taktgeber Wichtiger als Ronaldo

Düsseldorf/Madrid · Toni Kroos ist das Herzstück von Real Madrid. Auch heute im Halbfinal-Rückspiel (20.45 Uhr/Live-Ticker) der Champions League bei Atlético.

 Toni Kroos im Hinspiel gegen Atletico Madrid.

Toni Kroos im Hinspiel gegen Atletico Madrid.

Foto: dpa, hjb

Noch streiten die Statistiker, ob Cristiano Ronaldo nun 399, 400 oder sogar 401 Tore für Real Madrid geschossen hat. Tatsache ist trotzdem, dass der Portugiese beim Wettschießen mit sich selbst in immer neue Dimensionen vorstößt. Auch in der Champions League. Im Viertelfinale erlegte er mit fünf Treffern den FC Bayern München, im Hinspiel des Halbfinals (Rückspiel heute 20.45 Uhr/Live-Ticker) schoss er beim 3:0 alle Tore gegen den Ortsrivalen Atlético. Und weil er den Torjubel vor den Kameras mit Vorliebe an der rechten Eckfahne ausgiebig zelebriert, kommt so mancher Freund des größten Klubs der Welt zu dem Urteil, Cristiano Ronaldo sei zumindest der wichtigste Mann im Verein, wenn nicht im Weltfußball.

Dabei steht der geniale Torjäger am Ende einer Verwertungskette, die lange vor seinem natürlichen Lebensraum im und um den gegnerischen Strafraum beginnt. Genau genommen, wäre der beste Ronaldo auf dem Globus nur ein isolierter Zirkuskünstler, wenn seine Mannschaft nicht ihr ganzes Spiel auf ihn zuschneiden würde. Das immerhin hat der Stürmer verstanden. "Es war ein großes Spiel der gesamten Mannschaft", sagte er nach dem 3:0 gegen Atlético mit der Miene des gönnerhaften Fürsten.

Es war vor allem wieder mal ein großes Spiel von Toni Kroos, der dieser Auswahl von Weltstars mit geradezu bürokratischer Selbstverständlichkeit Rhythmus und Struktur gibt. Er hält den Offensivkräften den Rücken frei, sortiert das Spiel aus dem Maschinenraum zwischen Abwehr und Angriff, verlagert das Geschehen nach Bedarf mit spielerisch leicht anmutenden Pässen über das halbe Feld. Und er hat seinen letzten gravierenden Fehler vor ein paar Jahren gemacht. Ausgerechnet im WM-Finale von Rio gegen Argentinien übrigens. Sein Ballverlust blieb allerdings ohne Folgen.

Gegen Atléticos biestige Gegenspieler entzog er sich mit der Eleganz des Könners harten Attacken, wand sich mit einer kleinen Drehung aus möglicher Bedrängnis, machte das Spiel schnell, wenn es nötig war, und beruhigte es, wenn es ihm angezeigt schien. Rund 100 Mal spielte er den Ball, die Statistiker erwischten ihn bei einem Fehlpass. Das ist mindestens so beeindruckend wie Ronaldos Torquote. Den Blutdruck des Mittelfeldspielers steigert so etwas nicht in ungesunde Höhen. Das würde auch nicht zu dem gelassenen Charakter des Mannes von der vorpommerschen Küste passen. "Ich bin kein enthusiastischer Typ", stellte er vor knapp drei Jahren bei der WM in Brasilien fest, als die versammelte Fußballwelt so langsam erkannte, was für ein fantastischer Spieler da für die DFB-Auswahl Dienst tut.

Schon damals müssen sich die Funktionäre von Bayern München vor Gram in den Allerwertesten gebissen haben, denn es stand bereits fest, dass Kroos künftig in Madrid spielen würde. Die Bayern wollten keine außerordentliche Gehaltsverbesserung bieten. Heute sehen sie, was sie davon haben.

Kroos setzte sich in Madrid auf Anhieb ebenso nachdrücklich in Szene wie beim WM-Turnier. Und die Einschätzung seines Kollegen Jerome Boateng bleibt bis heute unwidersprochen. "Tonis Weg spricht für sich", erklärte der Verteidiger von Bayern München, "er hat sein Spiel auf seine Mannschaften übertragen, im Verein bei Real Madrid und in der Nationalmannschaft. Er bestimmt das Tempo."

Boateng ist nicht der einzige Experte, der das Spiel von Toni Kroos derart schätzt. Der inzwischen verstorbene Fußball-Weise Johan Cruyff hat anlässlich der alljährlich zwischen Ronaldo und Lionel Messi wechselnden Krönung des besten Spielers mal gesagt: "Kroos ist der wahre Weltfußballer." Und Jupp Heynckes fasste seine Hochachtung in einen Satz: "Kroos ist ein Stratege." Aus seinem Mund ist das ein Adelsprädikat. Heynckes hat einiges zur Laufbahn des Strategen Kroos beigetragen. Als Bayerns Großreformator Jürgen Klinsmann das Talent 2009 zu Bayer Leverkusen ausleihen ließ, machte Trainer Heynckes dort aus einer großen Begabung einen großen Spieler. Er arbeitete mit Kroos voller Hingabe an den Details der Ballannahme und Spieleröffnung, die ihn heute wirken lassen wie einen Feldherrn auf dem Rasen, wenn er mit durchgedrücktem Rücken und stolz gerecktem Kopf sein Spiel aufführt.

Auch nach seinem Wechsel zu Real holt Kroos sich bisweilen Rat bei seinem ehemaligen Lehrmeister. Einmal, kurz nach der WM, mit dem Handy auf der Massagecouch. "Bei mir", sagte Heynckes, "hätte er das nicht gedurft." Dabei lächelte er ein stolzes Lächeln.

(pet)
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