Plötzlich in Barcelona Späte Würdigung für Kevin-Prince Boateng

Düsseldorf · Die Fußballwelt staunt über den Transfer von Kevin-Prince Boateng zum FC Barcelona. Für den Berliner ist es die späte Würdigung seiner wechselvollen Karriere.

Kevin-Prince Boateng beim FC Barcelona vorgestellt
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Kevin-Prince Boateng beim FC Barcelona vorgestellt

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Foto: AP/Emilio Morenatti

Am 30. August 2013 um 11.01 Uhr ploppte eine schmale Nachricht auf Kevin-Prince Boatengs Handy auf: „Schalke????????“ Absender: Jürgen Klopp. Den Inhalt verlas der BVB-Trainer wenige Stunden später auf einer Pressekonferenz – inklusive acht handgezählter Fragezeichen. Ob Boateng inzwischen geantwortet hat, ist nicht überliefert. Einigermaßen sicher darf man sich dagegen sein, dass Boateng sich gefällt, wenn er andere überrascht. Dabei ist sein Wechsel vom AC Mailand zum FC Schalke 04 nur eine Fußnote.

Schon als Nachwuchsspieler bei Hertha BSC erarbeitete er sich mit einigen Eskapaden einen guten Ruf in zweifelhaften Kreisen. Auch deshalb nahm er früh Reißaus nach England, nur um es sich dort mit einem Foul an Michael Ballack zwischenzeitlich beinahe mit einer ganzen Nation zu verscherzen. Jenem Deutschland, für das der gebürtige Berliner nicht mehr spielen wollte.

Zuverlässig brach Boateng aber immer wieder mit seinem öffentlichen Bild. Heute stehen Engagements in allen vier großen europäischen Ligen in seinem Lebenslauf. Er erklärte Dortmund zu seinem Herzensklub und spielte später für den FC Schalke, der nun eben sein „neuer Lieblingsverein“ sei. Er kokettierte mit seinem Image als „Bad Boy“ aus dem Ghetto und sprach vor den Vereinten Nationen über Rassismus. Schwer tätowiert, extravagant gekleidet, auf seinem Terrain traumwandlerisch stilsicher. Einer, der sogar unter Profifußballern hervorsticht. Gleichsam einer, bei dem es lohnt, ihm zuzuhören, auch wenn er sich seinen Ghetto-Slang mitunter nicht verkneifen will, der aber viel zu sagen und einiges erlebt hat.

Der Weg von den Bolzplätzen im Berliner Wedding ins Camp-Nou-Stadion des FC Barcelona war schließlich nicht gepflastert. George, der unbekannte Dritte der Boateng-Brüder, hat eine andere Abfahrt genommen, parkte zwischenzeitlich im Gefängnis und versucht sich heute als Rapper - so kann es eben auch gehen in diesem Milieu.

Dem Wedding ist Kevin-Prince längst entwachsen. Mit 31 hat er in allen vier großen europäischen Ligen gespielt, an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen, stand beim AC Mailand auf der Schwelle zum Weltstar. Doch die zweiten Hälfte seiner Karriere war zunehmend von gesundheitlichen Problemen gekennzeichnet. Nach seinem Abgang vom FC Schalke schien er bereits zum Sportinvaliden abgestempelt. Dass er überhaupt noch einmal hauptberuflich Fußball spielen würde, überraschte. Dass er sich darauf überaus manierlich versteht, ist indes wohlbekannt. Wenige Spieler verstehen es, Technik mit Wucht, Finesse mit Härte zu vereinen wie ein fitter „KPB“.

Mit 29 Jahren schien es aber nur mehr für ein Engagement auf der Urlaubsinsel Gran Canaria zu reichen. Es brauchte schon viel glückliche Fügung, dass Eintracht Frankfurt den Mut aufbrachte, dem mehrfach Angezählten eine neue letzte Chance zu geben. Doch Boateng überzeugte sie alle, wurde Kopf und Herz einer Frankfurter Mannschaft, die für das Miteinander vieler Herkünfte steht, die begeistert, die Pokalsieger wird.

Für Boateng war seine vierte Deutschland-Station vor allem ein Abschluss. Sein Ruf als „Bad Boy“, der wie ein Stigma an ihm haftet – in Frankfurt konnte er sich endlich von ihm emanzipieren. „Die Stimmen, die mich in schlechtem Licht sehen wollen, werden erst verstummen, wenn ich sie mit Erfolgen überzeuge“, sagte Boateng dem Magazin „11 Freunde“. Tatsächlich – in Frankfurt profilierte sich Boateng nicht nur als Klassensprecher des Multikulti-Teams. Auch sein Engagement gegen Rassismus und das Erstarken rechter Kräfte in Deutschland wurde nun gewürdigt. Endlich waren viele gewillt, auch diese Facette an ihm zu erkennen. „2018 war das Jahr, in dem ich meinen Frieden mit Deutschland machte. Und ich hoffe, meine Heimat auch mit mir“, sagte Boateng „11 Freunde“.

Eigentlich doch ein versöhnliches Ende einer recht speziellen Karriere, die Spielerberater in existenzielle Sinnkrisen stürzen muss. Doch bei Boateng muss man immer auf das Unerwartbare vorbereitet sein. Jetzt, da er in der italienischen Provinz, beim Mittelklasseklub US Sassuolo seine Karriere ausklingen lassen wollte, rief plötzlich der große FC Barcelona an. Da war er wohl selbst von sich überrascht. Völlig einerlei, dass ihm bei dem katalanischen Weltklub vornehmlich die Rolle des schillernden Platzhalters zugeteilt sein dürfte.

Vielleicht hat sich Klopp ja schon gemeldet. Dass er diesmal „Barcelona????????“ schreiben müsste, ist das Ausrufezeichen hinter Boatengs Karriere.

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