Europas Topligen So stark ist die Bundesliga im Taktik-Vergleich

Düsseldorf · Wie stark ist die Bundesliga? Das aktuelle Abschneiden in den internationalen Wettbewerben zeichnet ein ernüchterndes Bild. Doch die hohe spielerische Flexibilität hierzulande macht zumindest Hoffnung auf erfolgreichere Zeiten, schreibt Taktik-Experte Constantin Eckner in einem Gastbeitrag.

Taktische Aufstellungen der Top-Ligen
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Die Deutsche Fußball Liga (DFL) ist sehr zufrieden mit der Entwicklung ihres Hochglanzprodukts Bundesliga. Zumindest vermarktungstechnisch. Sportlich dagegen hakt es derzeit ordentlich. Einzig der FC Bayern München überwintert sicher in der Champions League, RB Leipzig hat das Weiterkommen nicht mehr in der eigenen Hand. In der Europa League haben sich die deutschen Vertreter reihenweise nach Kräften blamiert. Sind die deutschen Teams so schwach oder die anderen Nationen so stark? Taktisch gesehen wird nirgendwo so variabel gespielt wie in der Bundesliga. In Spanien und England ist indes deutlich mehr Geld im Markt, was die Finanzierung teurer Einzelkönner ermöglicht. Ein Überblick über die spielerische Aufstellung der Top-Ligen des Kontinents.

Bundesliga Das Oberhaus des deutschen Fußballs war zu Beginn des Jahrzehnts die Wiege taktischer Neuerungen. Klopps Dortmund und Heynckes' Bayern feierten mit Gegenpressing und strukturiertem Tempofußball große Erfolge in Europa. Anschließend übernahmen die Ballbesitztrainer Pep Guardiola und Thomas Tuchel die Geschicke bei den beiden größten Klubs im Land. Aber auch im Mittelfeld der Liga hat sich einiges getan. Gut geschulte Jungtrainer wie Julian Nagelsmann und Domenico Tedesco bekommen zunehmend das Vertrauen geschenkt. Das produziert immer mehr Erfindungsreichtum in der Bundesliga. Viele Mannschaften wechseln ständig ihre Systeme und versuchen, dem Gegner einen Schritt voraus zu sein. Die durchschnittliche Kaderqualität lässt noch zu wünschen übrig, viele Trainer präferieren die Manndeckung, und zu wenige Teams kommen mit allzu viel Ballbesitz klar, aber in der Breite entwickelt sich die Liga zu einem Ort taktischer Flexibilität.

Premier League Der englische Fußball hatte sich lange Zeit vor den Neuerungen auf dem europäischen Festland verschlossen. Das änderte sich in den vergangenen Jahren mit der Ankunft ausländischer Spitzentrainer, darunter Guardiola und Klopp. Die Tendenz geht weg vom rasanten "Run and Gun", also einem auf Tempo und Umschaltangriffen basierten Spielstil, der wenig Kontrolle über das Geschehen zuließ. Wenngleich der englische Klubfußball ein Spektakel ohne taktischen Tiefgang bot und Fans für das Produkt Premier League begeisterte, war die internationale Konkurrenzfähigkeit gefährdet.

Im Jahr 2017 ist Ballbesitzspiel zumindest unter den Top-Teams keine Seltenheit mehr. Und auch von traditionellen Formationen wie dem 4-4-2 und 4-2-3-1 weichen immer mehr Trainer ab. In London hat die Dreierkette Einzug gehalten. Tottenham, Arsenal und Chelsea lassen hinten mit drei beziehungsweise fünf Verteidigern spielen, was zwangsläufig die Präsenz auf den Flügeln, wo sich englische Fußballer über Jahrzehnte am wohlsten fühlten, vermindert. Bis allerdings Systeme mit Dreierketten vollends verstanden werden auf der Insel, könnte es noch einige Zeit dauern.

La Liga Dass Formationen nur Schall und Rauch sein können, beweist der spanische Fußball im Moment. An der Tabellenspitze finden sich erstaunlich viele Teams, die im als langweilig verschrienen 4-4-2 spielen. Nur Girona spielt als einziges Team in La Liga mit Dreierkette. Auf die Umsetzung kommt es an. Statt ständig die Zahlenkombinationen auf der Taktiktafel zu ändern, werden den Spielern passende Rollen auf den Leib geschneidert und das grundsätzlich hohe technische Niveau genutzt.

In Spanien wird Spielkultur groß geschrieben. So mancher Trainer ließ sich in der jüngeren Vergangenheit von namhaften Kollegen aus der spanischsprachigen Welt beeinflussen. Guardiola und mit Abstrichen Unai Emery (Paris Saint-Germain) propagieren den gepflegten Ballbesitzfußball gepaart mit klar strukturiertem Positionsspiel. Diego Simeone (Atlético Madrid) oder Jorge Sampaoli (Argentinien) stehen für physischen Defensivfußball, gepaart mit klar strukturiertem Pressing. Nahezu keine spanische Mannschaft geht konzeptlos auf den Rasen und versucht das Spiel zu zerstören. Auch deshalb dominiert Spanien im Europapokal, was nicht nur an den Weltklubs aus Madrid und Barcelona liegt.

Serie A Auch wenn Italien schon lange nicht mehr der Catenaccio-Stiefel ist, so sind immer noch die meisten Teams in der Serie A auf defensive Stabilität bedacht. Nicht wenige Trainer setzen deshalb drei zentrale Mittelfeldspieler vor der Abwehr und folglich nur drei Offensivakteure ein. Die meisten Verteidiger und Spieler generell sind individual- und gruppentaktisch hervorragend geschult und lösen Aufgaben nicht nur mit ihrer Athletik. Auch deshalb können sich in der Serie A so manche Abwehrspieler bis ins hohe Fußballalter behaupten. Die Mehrheit der italienischen Trainer möchte, dass ihre Mannschaften aus einer massierten Defensive heraus den Torerfolg suchen. Die zunehmend hohe individuelle Qualität in den Sturmreihen ist dabei eine große Hilfe. Was Italiens Teams an taktischer Reife und fußballerischer Klasse hinten versprühen, wird vorn eher durch Einzelkönner bewerkstelligt. Bekannte Ausnahmen sind im Moment Napoli und Atalanta Bergamo.

Ligue 1 Der französische Klubfußball war in Europa lange Jahre als langweilig verschrien. Wenig ansehnlich und mit niedrigen Torquoten präsentierte sich die Ligue 1 wie die graue Maus unter den Top 5 auf dem Kontinent. Das hat sich trotz der Ankunft ausländischer Großinvestoren in Paris oder Monaco nicht gänzlich geändert. Das breite Mittelfeld der Liga ist von Gleichförmigkeit geprägt. In einem gewissen Einheitsbrei stechen die wenigstens Klubs taktisch heraus. Somit hängt der Erfolg zumeist von der individuellen Klasse ab. Nahezu jeder Erstligist verfügt wenigstens über einen athletisch hervorragenden Dribbler, der den Unterschied machen kann. Die beiden ambitioniertesten Ballbesitzteams sind im Moment in der Abstiegszone zu finden. OGC Nice, trainiert vom Ex-Gladbacher Lucien Favre, und OSC Lille.

Die taktische Ambitionslosigkeit in der Ligue 1 schlägt sich auch in der Defensivarbeit nieder. Die meisten Erstligisten bleiben vornehmlich passiv und vermeiden Intensität und damit größeres Risiko im Pressing. Das erklärt auch die vergleichsweise hohe Passquote in der Liga. In Frankreich geht es wenig zur Sache, und die große Mehrheit der Trainer ändert nichts daran.

Constantin Eckner, 27, arbeitet für das führende deutsche Taktikportal Spielverlagerung.

Der Spezialist beobachtet seit Jahren intensiv die Entwicklungen in den europäischen Ligen. Er promoviert in Geschichte an einer britischen Universität.

(RP)
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