Die Schmach von Palermo Wie es zu Italiens WM-Aus kam – und was jetzt gefordert wird

Analyse | Palermo · Der amtierende Europameister Italien scheitert an Nordmazedonien und verpasst zum zweiten Mal in Folge eine Weltmeisterschaft. Das könnte grundlegenden Konsequenzen für den Fußball in Italien haben.

 Entsetzen über das WM-Aus: Italiens Joao Pedro (r.) ist wie seine Teamkollegen tief enttäuscht nach der Niederlage gegen Nordmazedonien.

Entsetzen über das WM-Aus: Italiens Joao Pedro (r.) ist wie seine Teamkollegen tief enttäuscht nach der Niederlage gegen Nordmazedonien.

Foto: dpa/Antonio Calanni

Am Ende lagen sie alle auf dem Boden, wie Schatten ihrer selbst. Gianluigi Donnarumma hatte den Kopf in den Armen vergraben. Abwehrchef Alessandro Bastoni presste die Stirn auf den Rasen als haderte er mit dem Schicksal, Giorgio Chiellini rang mit den Tränen. Ciro Immobile lag auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Spielfeld des Renzo-Barbera-Stadions von Palermo und tat keinen Mucks.

Konnte es schlimmer kommen als 2017, als Italien in den Play-offs gegen Schweden die WM 2018 verpasste? Die Antwort lautete ja und wird wohl als Schmach von Palermo in die Annalen eingehen. Im Play-off-Halbfinale am Donnerstag gegen Nordmazedonien ging die Squadra Azzurra mit 0:1 als Verlierer vom Platz. Der amtierende Europameister und viermalige Weltmeister verpasst damit auch die im November beginnende WM 2022 in Katar. „Es ist die schlimmste Niederlage in 112 Jahren italienischer Fußballgeschichte“, schrieb La Repubblica.

Sprachlosigkeit und Katastrophenstimmung herrschten am Freitag bei den fußballbegeisterten Italienern. „Im vergangenen Juli habe ich die größte Freude meiner Karriere erlebt und jetzt die größte Enttäuschung“, kommentierte Trainer Roberto Mancini die Niederlage, die in letzter Minute zustande gekommen war, sich aber doch schon seit Monaten angedeutet hatte. In der Nachspielzeit (92. Minute) zog Aleksandar Trajevski aus 20 Metern ab und traf unhaltbar für Torwart Donnarumma ins linke untere Eck. Bis dahin hatte Italien das Spiel zwar dominiert, es aber verpasst, die vielen Chancen und das flüssige, lange Zeit anschauliche Spiel in Treffer zu verwandeln.

34 Torschussversuche zählten die Statistiker, die Nordmazedonier kamen gerade mal auf zwei Versuche. Der während der Partie immer verzweifelter agierende und nach Spielschluss regelrecht schockierte Coach Mancini machte zunächst höhere Mächte für die Niederlage verantwortlich. „Während der EM hatten wir Glück und das ist jetzt in totales Pech umgeschlagen“, sagte er. Er müsse die Enttäuschung nun erst einmal verdauen. Der Corriere dello Sport sah Italien auf dem Weg „zur Hölle“. „Der Traum der EM verwandelt sich neun Monate später in den schlimmsten Albtraum“, schrieb der Corriere della Sera.

Dabei hatte sich der Niedergang Italiens schon länger angedeutet. Manche machen den Anfang vom Ende sogar bereits im EM-Viertelfinale gegen Belgien aus. Damals hatte sich Lorenzo Spinazzola, der unermüdliche Flügelstürmer Italiens an der Achillessehne verletzt. Die begeisternden, vor Spielwitz sprühenden Auftritte der Mannschaft von Roberto Mancini waren damit dahin. Im EM-Halbfinale gegen Spanien und im Finale gegen England setzten sich die Azzurri erst im Elfmeterschießen durch.

Dem Triumph von Wembley folgte die erste Niederlage nach knapp drei Jahren, in der Nations League gegen Spanien. In der WM-Qualifikation kam Italien über vier Unentschieden gegen Bulgarien, Nordirland und die Schweiz nicht hinaus. In beiden Spielen gegen die Schweiz, die sich als Tabellenerster direkt qualifizierte, verschoss Mittelfeldregisseur Jorginho sogar zwei Elfmeter. Ein mentales Tief, die Ideenlosigkeit und auch die Überheblichkeit der EM-Sieger waren nicht mehr zu übersehen. „Wir haben immer sehr schön gespielt, aber in den letzten Spielen Probleme mit dem Abschluss gehabt“, gestand Jorginho.

Mit der Schuldfrage tat sich Italien am Tag eins nach der Katastrophe allerdings schwer. Das gesamte „System Fußball“ müsse neu aufgerollt werden, forderte die Gazzetta dello Sport. Gemeint war die ungenügende Infrastruktur, der Mangel an einheimischen Talenten in den Jugendabteilungen der Klubs, die 60 Prozent ausländische Kicker beschäftigen. Bemängelt wird auch, dass seit 2010 und dem Triumph Inter Mailands keine italienische Mannschaft mehr die Champions League gewinnen konnte. Im diesjährigen Achtelfinale schieden alle Serie-A-Vereine aus. Der Calcio, soviel steht fest, hat ein Problem.

Früher richtete sich Italiens Zorn in solchen Momenten stets gegen den Commissario Tecnico, den Nationaltrainer. Diesmal nicht. „Hoffen wir, dass Mancini bleibt“, sagte Kapitän Giorgio Chiellini. „Dem Trainer den Prozess zu machen, wäre falsch“, schrieb die Gazzetta. Mancini scheint Italiens letzte Hoffnung. Der Betroffene selbst bat um Bedenkzeit, er wisse noch nicht, ob er bleiben werde. „Was soll ich sagen über ein Spiel, in dem wir 40 mal aufs Tor geschossen haben und am Ende ein Tor kassiert haben und nicht wissen, warum?“, klagte der ratlose Coach.

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Foto: dpa/dpa, Evert-Jan Daniels

Der Blick nach vorne ist Italien derzeit verstellt, könnte aber Hoffnung machen. Die WM 2026 soll erstmals mit 48 statt mit 32 Teilnehmern ausgetragen werden. Als viermaliger Weltmeister unter jenen Umständen zum dritten Mal hintereinander nicht bei der WM teilzunehmen, wäre ein regelrechtes Kunststück.

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