Korruptionsskandal Die Fifa tickt nicht sauber

Düsseldorf · Vor der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wurden die Funktionäre im Scherz mit einer Kuckucksuhr bestochen. Wenn heute von der Korruption im Fußball die Rede ist, geht es um fast 100 Millionen Euro.

Die Fifa-Skandale unter Sepp Blatter
Infos

Die Fifa-Skandale unter Sepp Blatter

Infos
Foto: dpa, fve jhe bre nic

Auch vor 15 Jahren versammelten sich die Mächtigen des Weltfußballs in Zürich. Nicht im Fünf-Sterne-Hotel Baur au Lac unten am See, wo jetzt sieben Fifa-Funktionäre verhaftet wurden, sondern oben auf dem Berg im nicht minder feinen Grandhotel Dolder. Sie sollten entscheiden, wo die Weltmeisterschaft 2006 stattfinden würde. Deutschland und Südafrika galten als Favoriten, es lief auf eine knappe Entscheidung hinaus. Und es zeichnete sich ab, dass es auf die Stimme des greisen Neuseeländers Charles Dempsey ankommen würde. Doch vor dem entscheidenden Wahlgang verließ er das 24-köpfige Exekutivkomitee. Er galt nach dem frühen Aus der von ihm favorisierten englischen Bewerbung als Südafrika-Befürworter und machte mit seinem Rückzug den Weg zum deutschen Sommermärchen frei.

"Dieses letzte Fax hat mir das Genick gebrochen", sagte Dempsey später. Das Satire-Magazin "Titanic" hatte ihm wie den anderen Funktionären ein Schreiben zukommen lassen, in dem es ihm eine Kuckucksuhr, Würste, Schinken und einen Bierkrug als Belohnung für ein Votum pro Deutschland in Aussicht stellte.

Eine niedliche und amüsante Geschichte. Vielleicht war es nicht gerade die Aussicht auf einen zünftigen Schwarzwälder Präsentkorb, die Dempsey aufgeben ließ, doch unter Druck gesetzt fühlte sich der Neuseeländer allemal. Wodurch und durch wen auch immer. Die Fifa war damals schon eine höchst zwielichtige Organisation. Von Geldkoffern, die durch Zürich getragen wurden, war die Rede.

Seit Jahrzehnten ist die Geschichte des Weltfußballs auch eine der Korruption. Im Kleinen wie im Großen. Fifa-Präsident Sepp Blatter kommt gern auf die Nacht von Zürich zurück, wenn es ihm in den Kram passt. "Gekaufte WM ... Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ", sagte er vor drei Jahren, als er auf die Vergabe des Turniers 2022 an Katar angesprochen wurde.

Die jetzt vorliegende Anklageschrift der US-Behörden gegen 14 Fifa-Funktionäre deutet an, wie es in dieser Institution zugeht. Sie zeichnet ein Bild von Bestechung, Schmiergeld und Geldwäsche über Jahrzehnte. Es geht um 100 Millionen Dollar (91 Millionen Euro).

Ein Beispiel aus der Anklageschrift: Ein multinationaler Sport-Ausrüster aus den USA erwarb 1996 die Ausrüsterrechte der brasilianischen Fußball-Nationalmannschaft für zehn Jahre und zahlte 146 Millionen Euro. Der Ausrüster stimmte zu, weitere 37 Millionen Euro an ein anderes Unternehmen zu zahlen. Die Hälfte floss als Schmiergeld eines Mitverschwörers an eine weitere namentlich nicht genannte Person. 2002 wird der Ausrüstervertrag vorzeitig aufgelöst. Es gibt Dutzende ähnlich gelagerter Fälle.

Die Geschichte der krummen Geschäfte fängt bei Horst Dassler an, dem Sohn des Adidas-Gründers Adolf Dassler. Er gab den Athleten in den 60er Jahren Geld dafür, dass sie seine Schuhe trugen. Der Schuhmacher aus Franken erkannte als einer der Ersten das wirtschaftliche Potenzial, das im Handel mit Vermarktungsrechten an Sportveranstaltungen lag. Die von ihm gegründete Agentur ISL (International Sport and Leisure) erwarb von internationalen Sportverbänden Veranstaltungsrechte und gab sie an Sponsoren, Fernsehsender oder Lizenznehmer weiter. Ihren ersten Auftrag erhielt sie von der Fifa für die Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko, in den 90er Jahren hatten sie ihre Hoch-Zeit. Das in der Schweiz ansässige Unternehmen soll Fußballfunktionäre, unter ihnen Blatters Amtsvorgänger João Havelange, mit 142 Millionen Euro bestochen haben. Allein der brasilianische Fußball-Pate wurde mit 10,5 Millionen Euro geschmiert. Die ISL ist in Konkurs gegangen.

Leonardo Servadio, einst Chef der italienischen Sportartikelfirma Ellesse, sagte über Dassler: "Horst liebte nur einen Sport - die Leute zu kaufen." Auch der spätere Fifa-Präsident Sepp Blatter stand zeitweise auf Dasslers Lohnliste.

Je größer die globale Begeisterung für den Sport, umso größer die Beträge, um die es dabei geht - und umso größer die Gefahr der Korruption. Der Wettbewerb um die WM, das kostbarste Sportfest der Erde, wird immer härter.

Dass Katar den Zuschlag für das Weltturnier 2022 erhielt, setzte der ganzen Entwicklung die Krone auf. Die Vermutung, dass es bei der Vergabe der übernächsten WM - wie auch des Turniers 2018 an Russland - nicht mit rechten Dingen zuging, liegt nahe und wird durch Aussagen der amerikanischen Ermittler erhärtet. US-Justizministerin Loretta Lynch sagte, die Fifa müsse "tief in ihre Seele blicken", wenn es um Russland und Katar gehe. An die Funktionäre gerichtet, sagte sie: "Was sie gemein hatten, war die Gier." Die US-Behörden greifen ein, weil ein Teil der mutmaßlichen Straftaten auf amerikanischem Territorium stattgefunden haben soll.

Auch die Vergabe der WM 2010 an Südafrika steht unter Verdacht. Laut US-Anklageschrift zahlten südafrikanische Offizielle mehr als neun Millionen Euro und übergaben in Paris eine Aktentasche mit Banknoten im Wert von mehr als 9000 Euro. Die Beschuldigten wehren sich gegen den Verdacht.

Paragraf 2 e des Fifa-Statuts klingt im Gesamtzusammenhang wie Hohn: "Der Zweck der Fifa ist, Integrität, Ethik und Fairplay zu fördern und dadurch zu verhindern, dass Methoden oder Praktiken wie Korruption, Doping oder Spielmanipulation vorkommen."

Die Spitzenverbände des Weltsports - allen voran die Fifa - genießen in der Schweiz ein Eigenleben. Sie firmieren als "im Handelsregister eingetragene Vereine". Über Jahrzehnte blieben sie von den Behörden praktisch unbehelligt, zahlten keine Steuern. Rund 60 internationale Sportorganisationen haben ihre Heimat deshalb an Genfer See und Zürichsee gefunden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), das seinen schwersten Korruptionsfall bei der Vergabe der Winterspiele 2002 an Salt Lake City erlebte, etwa sitzt in Lausanne.

Von dort eilte Thomas Bach gestern hinüber nach Zürich. Er sieht sich im Moment in einer starken Position. "Im Internationalen Olympischen Komitee wissen wir aus Erfahrung, wie herausfordernd und schmerzhaft dieser Kampf sein kann", sagte der IOC-Präsident und rühmte damit indirekt die Null-Toleranz-Politik im Kampf gegen Korruption, die in seiner Agenda 2020 verankert ist. "Aber es gibt keinen anderen Weg zur Glaubwürdigkeit", sagte Bach während seiner Rede bei der Auftaktzeremonie des 65. Fifa-Kongresses: "Ich möchte Sie ermutigen, die Kooperation mit den Behörden fortzusetzen und alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Ich bin zuversichtlich, dass ein Weg der Transparenz dazu beiträgt, die Schwierigkeiten zu überwinden."

Es könnte allerdings sein, dass das Wort Transparenz im Sprachschatz der Fußball-Funktionäre nicht vorkommt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort