Jürgen Klopp Nicht der beste Trainer der Welt - na und?

Borussia Dortmund führte Jürgen Klopp aus dem Niemandsland ins Champions-League-Finale. Sieben Jahre lang prägte er den Verein, unter ihm wurde die Bundesliga wieder spannend. Dann ging Klopp zum FC Liverpool – und die Geschichte wiederholt sich. Eine Hommage.

Jürgen Klopp: Triumphe, Abschiede und ganz viele Strafen
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Jürgen Klopp: Seine besten Momente

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Jürgen Klopp führte Borussia Dortmund aus dem Niemandsland ins Champions-League-Finale. Sieben Jahre lang prägte er den Verein, unter ihm wurde die Bundesliga wieder spannend. Dann ging Klopp zum FC Liverpool – und die Geschichte wiederholt sich. Eine Hommage.

Pep Guardiola gilt als bester Trainer der Welt. Mit dem FC Barcelona, Bayern München und Manchester City wurde er in drei der besten Ligen der Welt (teils mehrfach) Meister. An Jürgen Klopp aber beißt sich jener Guardiola immer wieder die Zähne aus – zuletzt im Viertelfinale der diesjährigen Champions-League: Klopps FC Liverpool spielte leidenschaftlich-aggressiv und hochgradig effizient zugleich, und siegte souverän. Nicht anders erging es im Halbfinale, vor allem beim 5:2 im Hinspiel, dem AS Rom.

Seit bald einem Jahrzehnt überrollen Klopps Mannschaften immer wieder ihre Gegner. Mancher wirft ihm deshalb fehlende taktische Finesse vor, eindimensional sei seine Idee vom Fußball. Doch der taktisch zweifellos gewieftere Pep Guardiola ist mit City "nur" Meister, und Klopp zurück im Champions-League-Finale. Von englischen Fußball-Größen wird er mit Lob überschüttet. "Dieser Trainer bringt die Fans zum Fliegen, er lässt sie vor Freude übersprudeln", sagt etwa Liverpool-Legende Steven Gerrard.

Champions League 17/18: Pressestimmen zum Finaleinzug des FC Liverpool mit Jürgen Klopp
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Pressestimmen zum Finaleinzug von Klopp und Liverpool

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Guardiola mag der beste Trainer sein, aber Klopp ist der mitreißendste und der am innigsten geliebte. Das war zu Beginn seiner Trainierkarriere in Mainz so, das ist aktuell in Liverpool so. Unbegrenzte Zuneigung bekam und bekommt der Schwabe aber vor allem aus Dortmund.

Mitte April 2015: "Wir haben die gemeinsame Entscheidung getroffen, dass der Weg, den wir mit unglaublichem Erfolg gegangen sind, nach dieser Saison zu Ende ist." Als Hans-Joachim Watzke diesen Satz spricht, schluckt der BVB-Geschäftsführer einmal, zweimal, wischt sich mit der Hand durchs Gesicht. 2015 ist das siebte Jahr von Borussia Dortmund unter Jürgen Klopp. Und das letzte. Zwei Meisterschaften, ein Pokalsieg, ein Champions League-Finale stehen nach der Saison zu Buche. Ein großartige Bilanz, die aber nur in Ansätzen spiegelt, was Klopp in diesen sieben Jahren - zwischen 2008 und 2015 - in Dortmund bewegt hat.

Bevor er beim BVB übernimmt, sitzt auf der Trainerbank Thomas Doll. Er ist der siebte Trainer in den letzten sieben Jahren und auch sein Aus nach Saisonende ist längst beschlossen – trotz der ersten DFB-Pokal-Finalteilnahme seit 19 Jahren. Das Endspiel in Berlin gegen den FC Bayern geht knapp mit 1:2 nach Verlängerung verloren. Noch im Olympiastadion wird bekannt, dass Dortmund für die neue Saison diesen Jürgen Klopp aus Mainz holt. Jener Klopp, der die Mainzer erst in die Bundesliga führte, mit ihnen wieder abstieg, dann den erneuten Wiederaufstieg knapp verpasste – und deshalb ging, unter Tränen und mit großen Emotionen, gefeiert und geliebt. Jener Klopp, der angeblich danach gerne zum Hamburger SV gegangen wäre, dort aber als "zu kleine Nummer" eine Absage kassiert haben soll.

Als die Bundesliga mal spannend war

Stattdessen also Dortmund. Eine Stadt, die noch immer mit dem Ende der Stahlbranche zu kämpfen hat. Ein Verein, der noch immer mit dem Größenwahn einer ehemaligen Geschäftsführung samt Börsengang und Fast-Insolvenz zu kämpfen hat. 4,5 Millionen Euro darf Klopp damals investieren, um Innenverteidiger Neven Subotic aus Mainz mitzubringen, ein Jahr später wird Mats Hummels für 4,2 Millionen Euro aus München kommen – und der BVB Schritt für Schritt die Spitze der Bundesliga und der europäischen Königsklasse erobern.

Jürgen Klopp verbeugt sich weinend vor der Südtribüne
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Klopp verbeugt sich weinend vor der Südtribüne

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Als Dortmund 2011 Deutscher Meister wird, steht Jürgen Klopp auf der Ladefläche eines LKW und brüllt mit kaum noch vorhandener und alkoholgeschwängerter Stimme verliebte Worte auf seine Mannschaft und den Verein ins Mikrofon. Ein Jahr später wiederholt der BVB den Bundesliga-Triumph und legt sogar noch einen drauf: Mit 5:2 besiegen die Westfalen den in dieser Zeit klar unterlegenen Konkurrenten aus München im DFB-Pokalfinale. Für die Bayern ist die Demütigung von Berlin der Wachmacher, in den folgenden Jahren wechseln mit Mario Götze (2013), Robert Lewandowski (2014) und Mats Hummels (2016) die jeweils wichtigsten BVB-Spieler von Dortmund zu den Bayern.

Doch vor diesem Aderlass greift Klopp 2013 erstmals nach Europas Krone. Im Wembley-Stadion verliert der BVB das Champions League-Finale gegen die Bayern. Nach Spielschluss kommt Jürgen Klopp nochmal zurück auf den Rasen und verneigt sich vor den Zehntausenden in Schwarz und Gelb. Klopp lebt den BVB in dieser Zeit, Klopp ist zu dieser Zeit der BVB – mehreren Ausrastern gegenüber Schiedsrichtern und gelegentlicher öffentlicher Kollegenschelte zum Trotz.

Seine Kappe mit dem Schriftzug "Pöhler" landet im Fanshop. Ein karierter Schal, den er an einem frischen Abend beim Europapokalspiel gegen Sevilla trägt, wird zum Verkaufsschlager. Der Slogan "Echte Liebe" entsteht in dieser Zeit, und wer Klopp erlebt, der sieht in ihm die Verkörperung dieses Spruchs. Er wird Werbestar, Medien-Darling - und vor allem von den Fans geliebt.

Niemand will, dass er den BVB verlässt, aber es ist an der Zeit

"Mein Name ist in diesem Verein zu groß geworden. Der Verein verdient es, dass er sich nicht von Namen die eigene Zukunft verbauen lässt. Und deshalb ist die Entscheidung richtig." So verkündet Klopp wiederum zwei Jahre später das eigene Aus. Seine Mannschaft steht in der Saison 2014/2015 zu Beginn der Rückrunde auf Platz 18, in der Champions League scheidet man sang- und klanglos im Achtelfinale aus. Das System Klopp, sportlich bestehend aus aggressivem Gegenpressing und schnellem Umschaltspiel, menschlich bestehend aus flotten Sprüchen und klaren Ansagen, scheint entzaubert. Nur sagen oder wahr haben will es lange kaum jemand. Nicht die Fans, die trotz sportlicher Krise die Ruhe bewahren. Nicht die Vereinsführung, die – wie sich später herausstellte – sogar eine Versicherung abgeschlossen hat für den Fall, dass der BVB nicht die sportliche Qualifikation zur lukrativen Champions League schafft.

Also nimmt Klopp die Sache selbst in die Hand und verkündet seinen Rücktritt. Natürlich hatte er zuvor mit Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc gesprochen. Die drei verbindet bis heute eine Männerfreundschaft. Die Trennung wirkt wie eine Befreiung, die Mannschaft gewinnt plötzlich wieder Spiele, wird noch Siebter, zieht sogar ins DFB-Pokal-Finale ein. Wie seinem Vorgänger Doll aber ist es auch Klopp nicht vergönnt, sein letztes BVB-Spiel mit einem Titel zu feiern. 1:3 verliert der BVB im Endspiel gegen Wolfsburg, Klopps Abschied überschattet alles. Wieder steht er nach dem Abpfiff vor der Fankurve, wieder verneigt er sich.

Wer begreifen will, was Klopp mit dem Verein und seinen Fans angestellt hat, dem sei erzählt: Als Klopps Nachfolger Thomas Tuchel den BVB 2017 erneut ins Pokalfinale- und dort erstmals seit 2012 auch zum Sieg führt (2:1 gegen Eintracht Frankfurt), da reagiert die Fanmasse nicht ansatzweise so emotional wie nach Klopps letzter Niederlage. Das vorherrschende Gefühl ist Erleichterung. Weil es endlich wieder mit dem Titel geklappt hat. Vor allem aber, weil Tuchels Abschied nach diesem Abend ein offenes Geheimnis ist. Sportlich hatte der den BVB wieder in die Erfolgsspur geführt, die menschlich-emotionale Lücke konnte sein Nachfolger jedoch nie auch nur im Ansatz füllen.

Diese Lücke ist nicht nur in Dortmund noch immer spürbar. Einsam ziehen die Bayern ihre Kreise an der Spitze. Mit Julian Nagelsmann oder Ralph Hasenhüttl hat die Bundesliga zwar echte Fußball-Trainer-Fachmänner hinzugewonnen, an die Leidenschaft und den Charme eines Jürgen Klopp kommt jedoch am ehesten noch Domenico Tedesco heran – ausgerechnet. Der 32-Jährige trainiert seit dieser Saison den Dortmunder Erzrivalen Schalke 04, liefert dort in seinem ersten Jahr sportlich Hervorragendes und stellt sich auch mal zur Siegesfeier in die Fankurve. Klopp-Nach-Nach-Nachfolger Peter Stöger indes verfolgte die erste Dortmunder Derby-Niederlage seit 2014 leidenschaftslos mit verschränkten Armen von der Bank.

Die Suche nach dem Nachfolger

"Der Verein hat es verdient, vom richtigen Trainer trainiert zu werden", sagte Klopp im April 2015 bei seiner Rücktritts-Pressekonferenz. Diesen richtigen Trainer sucht der BVB bis heute: Tuchel passte menschlich nicht, Peter Bosz scheiterte sportlich und bei Stöger weiß man in Dortmund nicht so recht, was man überhaupt an ihm hat. Deshalb träumte in den vergangenen Monaten nicht nur mancher Fan davon, Jürgen Klopp kehre auf die Dortmunder Bank zurück. Entsprechende Gespräche zwischen den Freunden Watzke und Klopp soll es gegeben haben, doch der 50-Jährige genießt mehr und mehr seinen Job in England, beim FC Liverpool, wo Verein und Fans mindestens genauso emotional sind wie in der Bundesliga – und die Budget-Töpfe um einiges größer.

"Die Erinnerung wird immer bleiben, sie wird immer großartig sein", sagte Klopp zum Abschied aus Dortmund. Im Oktober 2015 übernahm er in Liverpool, in der Saison darauf führt er den Klub ins englische Pokalfinale und dieses Jahr nun zurück ins Endspiel um die Champions League. Dort steht Klopp als Erster von all denen, die den BVB seit 2013 verlassen haben: Hummels, Lewandowski, Gündogan und Mkhitaryan müssen zugucken, genau wie Pep Guardiola.

Als das Halbfinal-Rückspiel in Rom längst abgepfiffen ist und Liverpool als Final-Gegner von Real Madrid (26. Mai in Kiew) feststeht, kommt Jürgen Klopp nochmal aus der Kabine zurück, stellt sich vor die Kurve der mitgereisten Liverpool-Fans und verneigt sich. In Dortmund freuen sie sich für ihn – und trauern doch den alten Zeiten hinterher.

Der Autor ist BVB-Fan. Jürgen Klopp verdankt er nicht nur zwei legendäre Meisterfeiern, sondern auch Reisen in zahlreiche europäische Stadien und Städte. Er spricht deshalb auch für gewöhnlich nicht von Jürgen Klopp, sondern von "Jürgen Gott".

(cbo)
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